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Archiv-Artikel

EU-Parlament für alle

DEMOKRATIE Die Dreiprozenthürde bei der Europawahl in Deutschland verstößt gegen das Grundgesetz, urteilt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Nun stehen die Türen des EU-Parlaments weit offen, was die taz-LeserInnen eher skeptisch stimmt

Quasselbude?

■ betr.: „Ein Prozent genügt“, taz vom 27. 2. 14

Ich habe immer sehr viel von unserem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehalten. Doch diese Entscheidung kann ich nun wirklich nicht nachvollziehen. Für die Wahlen zum Europaparlament am 25. Mai gibt es für deutsche Parteien keine Sperrklausel mehr. Begründung: Um die Funktionsfähigkeit des Europaparlaments zu erhalten, bedarf es keiner Sperrklausel. Damit kann jetzt jeder Spinner einer No-Name-Partei Abgeordneter in Straßburg werden und seinen geistigen Dünnschiss loswerden. Siehe Anne Helm von der Piratenpartei mit ihrer Sympathie für den Bomberkommandanten Arthur Harris, der Dresden in Schutt und Asche legte. Warum, liebe Verfassungsrichter, soll ich dann überhaupt im Mai das Europaparlament in Straßburg neu wählen, wenn es auch ohne Sperrklausel funktioniert? Mit ihrem Urteil demonstrieren sie doch geradezu ihre Geringschätzung des Europaparlament als reine Quasselbude, das ohnehin keinerlei Macht- und Entscheidungsbefugnis innerhalb der EU besitzt. ROLAND KLOSE, Bad Fredeburg

PR-Plattform

■ betr.: „Sieg der Demokratie“, taz.de vom 26. 2. 14

Das ist kein Sieg der Demokratie. Das ist eine Unrespektbekundung gegenüber dem Europaparlamentes. Das Bundesverfassungsgericht sagt ja nichts Geringeres, als dass das Europaparlament irrelevant ist. Die kleinen Parteien werden da eh nichts bewirken können und das Parlament nur als PR-Plattform benutzen, da sie es nicht in die nationalen Parlamente schaffen. TIM LEUTHER, taz.de

Undemokratisch

■ betr.: „Sieg der Demokratie“, taz.de vom 26. 2. 14

Auch wenn es gute Gründe für die Drei-Prozent-Sperrklausel gibt, Sperrklauseln im Wahlrecht sind undemokratisch. Sie verstoßen gegen die Grundrechte von Wahlgleichheit und Chancengleichheit der Parteien. Für mich sind die Regelungen der Geschäftsordnung des EU-Parlaments viel wichtiger! WALTER GLEICHMANN, taz.de

Da geht noch was

■ betr.: „Sieg der Demokratie“, taz.de vom 26. 2. 14

Klug gewählter Zeitpunkt für dieses Urteil. Ich prognostiziere: Spätestens 15 Monate nach der EU-Wahl führt der Bundestag eine Zweiprozentklausel ein. Erst haben sie es mit fünf Prozent versucht, bis das Bundesverfassungsgericht schimpfte. Dann mit drei Prozent. Da geht noch was… Rainer Winters, taz.de

Reale Folgen?

■ betr.: „Sieg der Demokratie“, taz.de vom 26. 2. 14

Ich bin sehr gespannt, inwieweit sich der Einzug von kleinen Parteien auf die reale Politik auswirkt und ob sich die diskutierte „Gefahr der Zersplitterung“ bewahrheitet. Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, dass gerade kleineren Parteien Stimmen verloren gehen, weil potenzielle Wähler glauben, die Partei könne auch mit ihrer Stimme keinen Wahlsieg erringen. Wenn das genug Wähler denken, fehlen schnell ein paar Prozentpunkte, und prompt hat man die sich selbst erfüllende Prophezeiung. Martin Exner (Autor von „Ausgeklinkt – Volksvertreter ohne Volk“) ist sich sicher, dass echte politische Veränderung nur durch kleine Parteien erfolgen kann. Mit der Europawahl ohne Dreiprozenthürde werden wir ja sehen, wie groß der Einfluss der Kleinen wirklich sein kann. JENS BREHL, taz.de

Übungsparlament

■ betr.: „Drei-Prozent-Hürde verfassungswidrig“, taz.de vom 26. 2. 14

Was soll’s? Das EU-Parlament bleibt auf absehbare Zeit ein „symbolisches“ Parlament, eine Art gemeinsames Demokratieübungsparlament für die EU-BürgerInnen, ein „Operettenparlament“, dem man jüngst ein paar Kompetenzen zugestanden hat, damit das nicht so auffällt. APOKALYPTIKER, taz.de

Mindestens naiv

■ betr.: „Drei-Prozent-Hürde verfassungswidrig“, taz.de vom 26. 2. 14

Das Verfassungsgericht hat sicher recht mit der Feststellung, dass eine Prozenthürde für die Arbeitsfähigkeit des Parlaments nicht nötig ist. Aber dieser Zustand kann und wird sich in Zukunft ändern, deswegen ist es kein besonders zukunftsweisendes Urteil. Die Fünfprozenthürde hat sich in Deutschland bewährt. Es gibt sie seit 60 Jahren, und sie ist jedem Wähler bekannt. Wenn die Leute eine Partei unbedingt im Parlament sehen wollen, geben sie ihr genug Stimmen. Die Hürde ist gut, um Splitterparteien aus dem Parlament zu halten, und sie sorgt für den Abgang verbrauchter Parteien (wie der FDP, die kaum einer vermisst). Die Deutschen wünschen sich in der Politik vor allem Ruhe und Ordnung und ganz sicher keine italienischen Verhältnisse. Diesen Umstand sollte man nicht ignorieren. Der Stimmenanteil der Volksparteien hat bei der letzten Wahl deutlich zugenommen. Die Volksparteien haben es heute schwerer, weil die Gesellschaft sich verändert hat und sie ihre Strukturen nicht modernisiert haben. Zu glauben, dass ein Wandel durch kleinere Parteien kommen kann, ist mit Blick auf die Piraten mindestens naiv. Sie sind kaum eine Bereicherung in den Landesparlamenten. SÖREN, taz.de