Das alte Haus als Kinderschreck

Wehe, wenn sich dies Gebäude allein gelassen fühlt: Gil Kenans Animationsfilm „Monster House“ arbeitet mit faszinierend dreidimensionalen Figuren – ein Verdienst, das nicht aus der technischen Entwicklung, sondern aus den künstlerischen Entscheidungen herrührt. „Motion Capture“ ist eben nicht alles

VON BARBARA SCHWEIZERHOF

Ist es genuines Interesse oder nur die Entschuldigung dafür, dass man sich mit einem „Kinderfilm“ beschäftigt? Die Besprechung des technischen Fortschritts bei Animationsfilmen nimmt auf jeden Fall stets einen besonderen Stellenwert ein. Zwar hat es etwas Kurioses, dass etliche Jahrzehnte nach „Bambi“ immer noch die „Lebensechtheit“ das meistbewunderte Kriterium der Animation darstellt. Im Fall von „Monster House“ erreichte das Lob auf die Ähnlichkeit zum „live action film“ ein Ausmaß, das das Unternehmen im Grunde in Frage stellt: Der ganze Aufwand der digitalen Animation mit ihren teuren Verfahren – und am Ende soll man froh sein, dass es so aussieht wie „echter“ Film? Dank „Motion Capture“ erhalten die Figuren eine Feinheit in Mimik und Gestik, eine physische Präsenz, die geradezu etwas Unheimliches hat. Und eben fast nicht mehr zur Animation passen will: Machten nicht einst die Typisierung, die einfachen Standardbewegungen der sieben Zwerge oder des Bären Balu den Zauber der Filme aus?

Nicht nur, dass in „Monster House“ die Figuren sich wie Schauspieler bewegen, auch die Handlung ist eher die eines „live action movies“: Der 12-jährige DJ legt sich mit seinem Nachbarn von gegenüber an, einem alten Kinderschreck, und das ausgerechnet am Vorabend von Halloween, als seine Eltern ihn allein in der Obhut einer gelangweilten Babysitterin zurückgelassen haben. Dann erleidet der Nachbar einen Herzanfall und muss ins Krankenhaus. Und gerade als DJ in schwere Gewissensnot darüber versinkt, am Tod des Mannes schuld zu sein, beginnt dessen allein gelassenes Haus seltsame und schreckliche Dinge zu tun. Mit seinem Freund Chowder verlegt sich DJ von seinem Zimmer aus aufs Beobachten. Bald stößt zu den beiden Jungs ein altkluges Mädchen, und in dieser unausgeglichenen Gemeinschaft machen sie sich schließlich auf, das Geheimnis um das Monsterhaus zu klären.

Das alles könnte auch ein ganz normaler Horrorfilm sein. Doch das Schönste am Film sind nicht die durchaus spektakulären Actionszenen und auch nicht die gut verpackte Parabel, die belegt, dass Ängste und Schrecken maskierte Nöte und Bedürfnisse sind, denen man sprichwörtlich die Hand reichen muss. Das wirklich Faszinierende an „Monster House“ ist die Dreidimensionalität der Figuren, die sich eben nicht dem technischen Fortschritt verdankt, sondern künstlerischen Entscheidungen. Da sind zum einen die hervorragenden Stimmen, diesmal verhältnismäßig unprominent besetzt, und zum anderen die ganz wunderbar geschriebenen Dialoge, wahre kleine Meisterwerke der Alltagssprache. Und beides zusammen weist zugleich auf eine Grenze hin: Ohne reale Stimmen wäre jede Animation tot, sei sie auch noch so lebensecht. Mit ihnen aber gelingt gerade mit dem Kontrast von alltäglichem Sprechen und feiner Animation ein bezaubernd eigenartiges Porträt dieser drei Kinder an der Schwelle zur Jugend.

Wie in DJ das kindlich Magere eines viel lesenden Jungen herauskommt, wie Chowder sich verfrüht die Gesten männlicher Coolness anzueignen versucht und das Mädchen Jenny noch so spritzig und besserwisserisch-auftrumpfend sein darf wie Frauen später nie mehr – das alles macht „Monster House“ zu einem der besten Animationsfilme der letzten Jahre.

„Monster House“. Regie: Gil Kenan, Animationsfilm, USA 2006, 98 Min.