„Ich wusste definitiv nichts“

taz: Frau Roth, Sie waren rot-grüne Menschenrechtsbeauftragte. Woran hat es aus Ihrer Sicht gelegen, dass Murat Kurnaz erst jetzt aus Guantánamo freikam?

Claudia Roth: Das müssen Sie die Amerikaner fragen, die ihn viereinhalb Jahre festgehalten haben. Erst einmal bin ich froh, dass Murat Kurnaz endlich wieder in Deutschland ist. Aber ich habe ein großes Interesse daran, dass aufgeklärt wird, ob seine Freilassung früher möglich gewesen wäre.

Wie nun bekannt wurde, hat die Bundesregierung 2002 ein US-Angebot abgelehnt, Kurnaz freizulassen. Seit wann wussten Sie davon?

Ich bin im März 2003 Menschenrechtsbeauftragte geworden, und ich wusste definitiv nichts davon. Umso mehr möchte ich, dass es jetzt im Untersuchungsausschuss Aufklärung gibt. Ich habe ja damals landauf und landab eine deutliche Meinung zu Guantánamo vertreten. Das berührt mich persönlich.

Wie erklären Sie sich heute, dass dieses Angebot zur Freilassung abgelehnt wurde?

Das kann ich nicht erklären. Dass Guantánamo kein Ort ist, wo ein rechtsstaatliches Verfahren durchgeführt wird, war auch 2002 schon klar. Ich möchte wissen, ob es dieses Angebot wirklich gab, und wenn ja, warum es abgelehnt wurde.

Im Mai 2004 hat das Bundesinnenministerium eine europaweite Einreisesperre gegen Kurnaz veranlasst. Wussten Sie davon auch nichts?

Nein. Ich wusste nichts von der Einreisesperre. Ich wusste auch nicht, dass deutsche Beamte nach Guantánamo gereist sind. Ehrlich gesagt, auf die Idee bin ich auch nicht gekommen. Im Mai 2004 war ich zum Beispiel bei der Menschrechtskommission in Genf, wo übrigens auch der damalige Außenminister Fischer deutlich gemacht hat, wie wichtig es ist, im Kampf gegen den Terrorismus rechtstaatliche Kriterien zu erfüllen. Also, ich wusste nichts davon. Das ist kein gutes Gefühl im Nachhinein.

Haben Sie Joschka Fischer gefragt, was er von dem Freilassungsangebot der USA und der Einreisesperre wusste?

Ich weiß, dass Fischer versucht hat, in Gesprächen mit der US-Regierung auf die Freilassung von Murat Kurnaz zu dringen. Wenn es ein Nein aus Deutschland zu einem Angebot der USA gab, kann ich mir nicht vorstellen, dass ihm das bekannt war.

Fühlen Sie sich im Nachhinein von Kollegen aus der rot-grünen Regierung verarscht?

Das kann man schon sagen, wenn sich herausstellen sollte, dass ich alles versucht habe, gegen Guantánamo zu protestieren und gleichzeitig Teile dieser Regierung, in diesem Fall die Sicherheitsbehörden, etwas ganz anderes gemacht haben – dann verlange ich eine Erklärung.

Können Sie verstehen, wenn Rot-Grün jetzt Doppelmoral vorgeworfen wird?

Moment mal, nicht Rot-Grün hat Guantánamo eingerichtet. Eines ist klar: Die Hauptkritik richtet sich an die USA, die nach wie vor diesen rechtsfreien Raum aufrechterhalten. Umso mehr müssen wir aber klarmachen, was Rechtsstaatlichkeit heißt. Und dafür muss alles auf den Tisch und alles aufgeklärt werden. INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF