STEFAN KUZMANY über GONZO : Sind sie noch da?
Es heißt immer, nach drei Tagen werde Besuch lästig. Stimmt nicht: Nach drei Tagen wird er unsichtbar
Ich glaube, sie sind weg.
Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, eine Jacke hängt noch an der Garderobe.
Letzte Woche, am Dienstag, haben wir Besuch von drei Argentiniern bekommen. Eigentlich sollte es nur der Freund eines Freundes meiner Freundin sein, der sich einige Tage Berlin ansehen wollte. Aber dann wurden es doch drei Besucher: Facundo aus Buenos Aires, der Freund des Freundes, fragte an, ob er noch zwei mitbringen dürfte: Manuel aus London und Damiano aus Madrid. Auch kein Problem, unsere Wohnung ist groß genug, und Gäste haben wir immer gerne. Wenn sie nur nicht so nett gewesen wären.
Am Dienstagabend kamen sie an, wir hatten bereits gegessen, aber immerhin konnten wir den Jungs ein Begrüßungsbier anbieten, bevor sie sich in die Berliner Nacht aufmachten. Daraus wurde aber nichts. Beim Imbiss unten im Haus holten sie sich eine Pizza. Und brachten noch drei Sixpacks Bier mit. Wir unterhielten uns gut. Um halb zwei, meine Freundin war längst im Bett, fiel mir wieder ein, dass ich, im Gegensatz zu unseren Besuchern, keinen Urlaub hatte. Ich empfahl ihnen die Ankerklause, eine in jedem zweiten Berliner Touristenführer verzeichnete Kneipe gleich bei uns um die Ecke. Und wankte ins Bett. Und am nächsten Morgen zur Arbeit.
Als ich am Abend todmüde heimkehrte, waren die drei Besucher gerade aufgestanden. Damiano war noch unter der Dusche, Facundo bot mir eine Zigarette an, und Manuel war unten beim Imbiss, Frühstück holen (Pizza, drei Sixpacks). Ob ich ein Bier wolle? Nun ja … eigentlich … heute sollte ich ein wenig früher ins Bett, aber was soll’s, also gut. Auf Spanisch heißt Prost salud.
Wir sprachen über die Argentinienkrise und den Terrorismus, über die Mietpreise in London und das Nachtleben in Madrid, über unsere Berufe und unsere Pläne, es war richtig nett, und als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, war es zwei Uhr früh. Wir empfahlen den Gästen noch eine kleine Bar in unserer Straße und wankten ins Bett. Und am nächsten Morgen zur Arbeit.
„Du siehst gut aus, sehr gut, gratuliere“, sagte mein Kollege A. Ich wusste, was das bedeutete: Ich sah offenbar aus wie ein wandelnder Leichnam.
Am Abend, als ich heimkam, lagen die Besucher noch im Bett. Gegen neun, ich wollte gerade etwas vom versäumten Schlaf nachholen, kam wieder Leben in die Wohnung. Ob ich nicht doch noch ein Bier wolle? Na ja, ein Bier, warum nicht? Und es wurde noch richtig nett. Als ich wieder auf die Uhr sah, war es halb drei. Ich schickte die Besucher „irgendwo nach Mitte mit ’m Taxi“ und wankte ins Bett. Und am nächsten Morgen zur Arbeit.
Kollege A. kriegte sich gar nicht mehr ein im Lob über mein „dynamisches Auftreten“, wie er sich ausdrückte. Für Gegenwehr war ich zu müde. So konnte es nicht weitergehen.
Und es ging auch nicht so weiter. Als ich heimkam, schliefen die Gäste noch tief und fest. Meine Freundin und ich nutzten die Gelegenheit, aßen eine Kleinigkeit und gingen sofort ins Bett. Wir hörten und sahen nichts mehr von unserem Besuch. Irgendwann nach Mitternacht mussten sie aufgebrochen sein. Als wir am nächsten Morgen zur Arbeit gingen, waren sie noch nicht wieder zurück.
„Ist dein Besuch wieder abgereist?“, fragte Kollege A. Ehrlich gesagt, ich wusste es nicht. Auch am nächsten Tag sah ich keinen von den dreien. Unsere Lebensrhythmen hatten sich so weit auseinander entwickelt, dass wir zwar alle fünf in derselben Wohnung lebten – aber in zwei Schichten. Wir dachten schon, sie seien vorzeitig abgereist – bis sie uns gestern Morgen überraschten, mit Geschenken und Dank für unsere Gastfreundschaft. Dann legten sie sich wieder hin. Und wir gingen aus.
Heute Morgen sind sie abgereist. Vielleicht. Eine ihrer Jacken hängt noch an der Garderobe. Man kann nie wissen.
Fragen zum Besuch? kolumne@taz.de MORGEN: Jan Feddersen PARALLELGESELLSCHAFT