Melancholische Parallelwelt

NÄRRISCHE ZEIT Mit den Stilmitteln der Modefotografie nähert sich Axel Hoedt den Figuren der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, wilder als der Karneval im Rest der Republik

Schließlich sollen diese Wesen daran erinnern, dass der Mensch eitel und sein Leben vergänglich ist

VON MARKUS WECKESSER

Mit Gardeuniformen, Ordensgedöns und Prunksitzungen konnten die Narren im südwestdeutschen Raum noch nie so richtig etwas anfangen. In den kleinen Städten zwischen Schwarzwald, Schwäbischer Alb und voralpinem Hügelland feiert man Fastnacht eben anders als im Rest der Republik. Anarchischer, wilder und am liebsten in traditionellen Kostümen (Häs). Darum tauchen hier auch kaum Narren auf, die sich als tanzende Gurken, lustige Senftuben, blödelnde Wikinger oder Schneemänner verkleiden.

Mit Ausnahme des Endinger Storchen sehen die typischen Figuren der schwäbisch-alemannischen Fastnacht eher ein wenig unheimlich aus. Häufig tragen sie sogar Kennzeichen, die im Volksglauben auf eine Verbindung zum Bösen verweisen. Etwa die gestiefelte Messkirchner Katze oder die Sigmaringer Fledermaus, deren hölzerne Maske wie eine Kombination aus Monchichi, Wolfsschnauze und Hasenohren aussieht. Furchteinflößend wirkt auch der Hirlinger Butz. Ihn schmückt ein breiter Schnurrbart, aber seine Kleidung erinnert eher an die einer Waldhexe. Um Hüfte und Schultern trägt er Röcke und auf dem Kopf ein Fransentuch. Während der Fastnachtzeit ziehen die Butze und andere Figuren durch die Orte und erschrecken Passanten.

Wie ein Schaustück im Museum

Der Fotograf Axel Hoedt bat einige in ein provisorisches Studio und porträtierte sie vor einem weißen Hintergrund. Indem er sie ihrem quasi natürlichen Lebensraum entrückt, präsentiert er sie wie Schaustücke in einem ethnologischen Museum. Axel Hoedts dokumentarische Bilder betonen die im Kern ernste und didaktische Funktion von Gestalten wie dem Wilfinger Teufel, Jokili und Streifenhansel. Schließlich sollen diese Wesen daran erinnern, dass der Mensch eitel und sein Leben vergänglich ist. Selbst eine augenscheinlich lustige Figur wie der Villinger Narro ist als abschreckendes Beispiel angelegt. Seine Glockengurte, bunten Tüchlein und Schleifen weisen ihn als durchweg selbstverliebt aus. Wer aber wie der Narro nur an sich selbst denkt, dem mangelt es an Nächstenliebe. In der anschließenden Fastenzeit soll der Mensch seine Ausschweifungen der Fastnacht überdenken und sich läutern.

An fleischliche Gelüste, sowohl Völlerei als auch sexuelle Gier, erinnern hingegen die dicken Fleischwürste, die in vielerlei Form auftauchen: Sie hängen dem Butzesel, der auf einem Fichtenast reitet, um die Ohren, und der Altnarr schwenkt sie wie eine Kinderlaterne an einem Stock. Es geht hier also weniger um Kritik und Verhöhnung von Autoritäten. Im südwestdeutschen Raum fassen sich die Narren erst einmal an die eigene Nase. Mit heidnischer Winteraustreibung haben diese Bräuche nichts zu tun.

Die Ursprünge der christlichen Fastnacht reichen bis ins Mittelalter. Doch erst im 20. Jahrhundert entwickelte sich die südwestdeutsche Variante zu einem wahren Volksspektakel. Typische Einzelfiguren wie der Rote Fuchs oder der Gullerreiter wurden wiederbelebt. Allein in den 90er Jahren sollen etwa 1.000 Narrenzünfte gegründet worden sein. Einige Vereine führten wegen des enormen Andrangs Aufnahmebeschränkungen ein. Nicht zuletzt dem Fernsehen ist es zu verdanken, dass die schwäbisch-alemannische Fastnacht über die Grenzen der Region hinaus bekannt wurde.

Axel Hoedt, Jahrgang 1966, ist im Breisgau aufgewachsen, das Interesse für die Fastnacht packte ihn jedoch erst viel später. Zunächst studierte er Fotodesign an der FH Bielefeld, bevor er in London als Modefotograf für internationale Magazine arbeitete. Seine Aufnahmen von der Fastnacht wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Mit seinem Fotobuchdebüt „Einmal im Jahr“ gelingt ihm nun ein kleines Meisterwerk. Denn anstatt den folkloristischen Blick zu reproduzieren, nutzt Hoedt die ihm vertrauten Stilmittel der Modefotografie. Und zwar nicht nur für die Studioaufnahmen, sondern auch für Porträts an unspezifischen Orten wie Garagenhöfen, Feldrändern und unbelebten Dorfstraßen. Die untypische Platzierung verstärkt den Eindruck, dass Reisigbär, Federschnabel, Butz und Hexe lediglich temporäre Gäste sind, die nur während der Fastnacht ihr Unwesen treiben. Ihren Porträts stehen im Buch die Ansichten winterlicher Wälder gegenüber, romantische Gegenorte zur Zivilisation, wo die Figuren wohl in der übrigen Zeit des Jahres leben.

Axel Hoedt inszeniert eine märchenhafte und zuweilen melancholische Parallelwelt zum üblichen Rumsbums-Trubel der Umzüge. Obgleich der Fotograf die Bildformate variiert, mit Unschärfen und Überbelichtungen spielt sowie zwischen Farbe und Schwarzweiß wechselt, gerät ihm die Dramaturgie seines Fotobuchs kein bisschen außer Rand und Band.

■ Axel Hoedt: „Einmal im Jahr“. Steidl Verlag, 103 Seiten, 28 Euro