: Schulschwänzer ins Heim
Ins geschlossene Heim in der Feuerbergstraße will der Senat jetzt auch nicht-kriminelle Kinder stecken, die auf die schiefe Bahn zu geraten drohen. So will Staatsrat Wersich die zwölf Plätze füllen
Von KAIJA KUTTER
Sein Rettungskonzept für das Skandal-Heim an der Feuerbergstraße hat gestern der Senat vorgestellt. Das erste geschlossene Heim, das Hamburg im Jahr 2003 nach 20 Jahren einrichtete, sei mit seinen 18 Plätzen „überdimensioniert“, sagte Dietrich Wersich, Staatsrat in der Sozialbehörde. Als Konsequenz will er die Schwelle für die Einweisung herunter setzen und dort auch Kinder und Jugendliche einweisen lassen, die nicht durch kriminelle Handlungen auffallen. Außerdem können künftig nicht mehr nur das eigens dafür geschaffene „Familieninterventionsteam“, sondern auch alle sieben Jugendämter der Bezirke eine Einweisung beantragen.
Wersich bezeichnete die Arbeit der Feuerbergstraße als relativ erfolgreich. Von den 35 ehemaligen Bewohnern sei knapp die Hälfte nicht wieder straffällig geworden. Doch von den drei Stationen mit 18 Plätzen seien in der Regel nur vier bis fünf belegt. Eine Station mit sechs Plätzen soll jetzt zur offenen Wohnstation für Ehemalige werden. Die übrigen zwölf Plätze hofft Wersich mit der neuen „Mischkalkulation“ zu füllen.
Keine konzeptionellen Änderungen soll es für die schwierigen „Grenzfälle zischen Jugendhilfe und Psychiatrie“ geben. Hier soll lediglich intensiver und besser mit den Medizinern „kooperiert werden“, um im Einzelfall die richtige Lösung zu finden. Es könne weiterhin vorkommen, so Wersich, dass es hier eine Einzelbewachung durch den Securitas-Wachdienst gebe. Der zuständige Abteilungsleiter Wolfgang Hammer betonte, der Sicherheitsdienst sei seit Mai „nur noch nachts eingesetzt“ worden.
Die Feuerbergstraße sei „kein Kinderknast, sondern eine Erziehungsanstalt“, betonte der Staatsrat . Bislang wären nur „schwer- und schwerstauffällige Jugendliche“ in die Feuerbergstraße gekommen. Künftig sollten auch jüngere Kinder ins Heim, die durch Schuleschwänzen, Weglaufen oder Drogenkonsum auffallen und damit ihr eigenes Kindeswohl gefährden. Es gebe kein Bundesland mit geschlossenem Heim, das die Indikatoren für die Einweisung „so streng auf Delinquenz“ ausrichte, sagt Wersich und zitiert eine Studie des Deutschen Jugendinstituts aus München. Demnach fielen 86 Prozent der Heimkinder bundesweit zuvor durch Delinquenz auf und 14 Prozent nicht. Sie kamen wegen anderer kindeswohlgefährdender Umstände ins Heim, wie Schulverweigerung, Weglaufen, Alkoholkonsum oder belastender Familiensituationen. Auch seien die Kinder mit 13,3 Jahren im Schnitt anderthalb Jahre jünger als die Hamburger (14,7).
Laut Wersich sind sowohl die Bezirke als auch die Familienrichter für diesen Plan. Es sei für die Richter wichtig zu handeln, statt zuzusehen, „wie ein Zwölfjähriger anderthalb Jahre nicht zur Schule geht und die Situation sich verfestigt“. Man gehe damit auch einem Hinweis aus dem Gutachten des Jugendhilferechtsexperten Christian Bernzen (SPD) nach, der eine „zu enge Indikation“ bemängelt habe.
„Ich habe darauf hingewiesen, dass der Bedarf nach Freiheitsentziehung nicht zwingend mit Delinquenz verbunden ist“, erklärt Bernzen der taz. So gebe es auch Jugendliche, die Opfer seien und Schutz bräuchten. Bernzen bleibt aber bei seiner Kritik, dass das Konzept des Heims „zu harsch“ sei und der Freiheitsentzug auch durch „bauliche Dinge“ zum Hauptthema gemacht werde. Bernzen: „Es muss für die Jugendlichen ein guter Ort zum aufwachsen sein.“
Für die Grüne Jugendpolitikerin Christiane Blömeke hat der Senat mit seinem neuen Konzept „das Scheitern“ eingestanden. Dennoch versuche die Behörde „wirklich alles, um die Feuerbergstraße zu füllen“. Freiheitsentzug sei jedoch nur als „letzte Maßnahme“ erlaubt, wenn alle anderen Hilfen scheiterten. Blömeke: „Darüber entscheidet glücklicherweise nicht der Senat, sondern unabhängige Richter.“