: Schule im Funkloch
Eine Kieler Hauptschule will das Mitbringen von Handys verbieten. Die Schulleiterin sieht keine große Neuerung: Das Telefonieren in der Schule ist ohnehin längst verboten. Und eigentlich, findet sie, hat die Schule andere Probleme
von ESTHER GEISSLINGER
In den Glasvitrinen im Foyer sind Stickereien der Klasse 3 und Kunst aus Müll der Klasse 8 ausgestellt. Eine Urkunde beweist, dass die Fridtjof-Nansen-Hauptschule den ersten Platz bei einem Turnier der „FIFA-WM in der Schule“ geholt hat. Das Foyer ist hoch und hell, weiße Wände, blau aufgelockert. Draußen ist das Gebäude ziegelrot und blau – ein Haus in den Schleswig-Holstein-Farben, mitten im Stadtteil Kiel-Gaarden. Eine Schule, deren 390 SchülerInnen aus 28 Nationen stammen. Ein Drittel hat keinen deutschen Pass, die Hälfte „Migrationshintergrund“.
Schulleiterin Ute Kohrs-Heimann, auffällige Silberohrringe, rostbraunes Haar und ihre Stimme, die von Unterrichtsstunden, Debatten im Lehrerzimmer und Zigaretten rau klingt, könnte über vieles sprechen. Etwa darüber, welche Probleme es mit sich bringt, wenn zwei Drittel der Kinder arbeitslose Eltern haben. Darüber, dass kein Geld da ist für Kurse gegen Gewalt. Darüber, dass viele Kinder schon fast automatisch mit Schimpfwörtern antworten. Sie könnte auch über die positiven Dinge reden: dass vieles besser läuft, seit die Schule auf Ganztagsbetrieb umgestellt hat. Dass die Fridtjof-Nansen-Schule sich beim Modellprojekt „Demokratie leben und lernen“ beteiligt und dass die Kleinen auf den schuleigenen Optimisten-Booten segeln lernen. Aber mit ihr reden zurzeit alle nur über eines: das Handyverbot.
Ute Kohrs-Heimann und ihr Kollegium wollen die Fridtjof-Nansen-Schule zur handyfreien Zone erklären. Noch ist die Regelung nicht durch, erst muss die Lehrer- und dann die Schulkonferenz darüber abstimmen. Aber wenn alles durchgeht, könnte in einigen Wochen hier, mitten in Kiel, Funkstille herrschen.
Eigentlich sei das gar nichts Neues, sagt Kohrs-Heimann: „Wir haben bereits seit 2001 ein generelles Handy-Nutzungsverbot.“ Allerdings dürfen die SchülerInnen die Geräte zurzeit mit ins Gebäude bringen: „Taschenkontrolle macht hier niemand.“ Nur wenn jemand sein Handy benutzt, kann es konfisziert werden. „Das ist schon lästig für die Kinder“, weiß Kohr-Heimann: Nach dem Unterricht müssen sie vor dem Lehrerzimmer warten, um ihr Telefon zurück zu bekommen, und es besteht die Gefahr, dass der Lehrer schon weg ist und das Gerät über Nacht oder gar übers Wochenende eingeschlossen bleibt. „Das wäre dann ja ganz schade“, sagt die Schulleiterin mit einem Grinsen.
Weil diese Regelung bereits so lange gilt, sieht Kohr-Heimann keine deutliche Verschärfung und hofft, dass die Schulkonferenz diese Ansicht teilt. Die VertreterInnen der Schülerschaft können allerdings im ersten Wahlgang ein Veto einlegen, wenn sie geschlossen dagegen stimmen. Die meisten lehnen das Handyverbot ab – bei einer Umfrage auf dem Schulhof gab es niemanden, der dafür war.
„Das wäre blöd“, findet Ogin, auch ihre Freundin Ninál ist absolut dagegen. „Musik hören, SMS schicken“ – ohne das stehen die Siebt- und Achtklässlerinnen offenbar keinen Schultag durch. Ninál fügt hinzu, dass sie außer dem Handy gar keine Uhr habe. Und überhaupt: Wenn die Eltern etwas Wichtiges mitzuteilen haben, müsse sie schließlich erreichbar sein. Ihr Mitschüler Samet bemüht sich, weitere Argumente zu finden: „Klar, dass es im Unterricht nicht benutzt werden kann. Aber in der Pause müssen wir es aufmachen können. Zum Beispiel, wenn ich die Sportsachen vergessen habe, kann ich zuhause Bescheid sagen.“ Öznur besitzt gar kein Handy, findet das Verbot aber trotzdem voll daneben: „Vielleicht krieg’ ich bald eins.“
Neben Störgeräuschen und Ablenkung hat Kohrs-Heimann noch ein wichtiges Argument gegen die Handys auf dem Schulgelände: Ein Junge zeigte Pornos auf seinem Mobiltelefon, außerdem hätten Mädchen Angst, sie könnten von Mitschülern gefilmt werden. „Solche Sorgen müssen wir ernst nehmen“, sagt die Rektorin. Dass das Verbot wirklich die Schule zur handyfreien Zone macht, glaubt sie nicht – Taschenkontrollen wird es weiterhin nicht geben. Damit ist auch das Argument des kommissarischen Landesvorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Jan Nissen, außer Kraft. Der lehnt ein landesweites Handyverbot in Schulen ab: „Es ist nicht die Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern, wie Spürhunde über den Pausenhof zu schleichen.“ Sinnvoller sei, im Unterricht mit den Jugendlichen über Gewalt und Pornographie zu sprechen.
Da sind sie wieder, die Themen, über die Ute Kohrs-Heimanns eigentlich reden möchte: „Das größte Problem hier an der Schule ist verbale Gewalt. Wir müssen versuchen, Werte zu vermitteln, es muss um Demokratie und Beteiligung gehen.“ Die Handy-Debatte ist da nur ein Anstoß.