: „Nur da, wo ich bin, da ist alles“
JAZZ & IMPROVISATION Die Pianistin Aki Takase ist ein lebendiges Beispiel für kulturellen Austausch. In zahlreichen Kollaborationen spielt sie mit der Berliner Jazzszene und japanischen Künstlerinnen zusammen
VON FRANZISKA BUHRE
Als die japanische Jazzmusikerin Aki Takase im November 1981 auf dem Ostberliner Flughafen Schönefeld landet, ist ihr erster Eindruck von Europa: kalt und dunkel. Vom Publikum bei ihrem Auftritt auf der Bühne der damaligen Berliner Jazztage in der Philharmonie allerdings ist sie begeistert. Dem ersten Konzert folgen regelmäßige Tourneen durch Europa, bevor sie 1987 auch in Berlin heimisch wird.
Anfang September 2010 ist sie gerade von einem Japanaufenthalt zurückgekehrt und froh, der dort herrschenden Temperatur um 39 Grad Celsius und der hohen Luftfeuchtigkeit entflogen zu sein. Zum Gespräch in der großzügigen Altbauwohnung, in der sie mit ihrem Ehemann, dem Jazzpianisten Alexander von Schlippenbach, lebt, bereitet sie einen grünen Sencha-Tee mit wenigen Handgriffen perfekt zu. Neben dem japanischen Teegeschirr liegen Zigaretten, ein kleines elektronisches Wörterbuch und ihre Notizen.
Gottes Wille am Piano
Aki Takase lobt die vielfältigen Möglichkeiten für Musiker, in Berlin aufzutreten. Neben einer Fülle von Duo-Projekten gründete sie das Berliner Quintett Aki and the Good Boys 2004. Mit den gefragten Musikern Jan Roder und Oliver Steidle an Bass und Schlagzeug hat sie im Trio TAMA – japanisch für „Ball“, „Perle“ oder auch „Seele“, in diesem Jahr das erste Album veröffentlicht.
Takase komponiert viele Stücke und nähert sich Kompositionen von Persönlichkeiten der Jazzgeschichte wie Fats Waller, Eric Dolphy, Thelonious Monk oder frühen Stücken des Free-Jazz-Pioniers Ornette Coleman. Das Fundament ihres Schaffens ist improvisierte Musik, die im Augenblick des Spielens entsteht. Sie beschreibt deren Ereignishaftigkeit mit einem Zitat der ebenfalls in Berlin lebenden japanischen Schriftstellerin Yoko Tawada: „Ihr Buch heißt ‚Nur da, wo du bist, da ist nichts‘. Ich kann sagen, nur da, wo ich bin da, ist alles. Das bedeutet, ich werde spontan spielen. Ob ich dabei in Deutschland oder Japan bin, macht für mich keinen Unterschied. Wenn ich mich ans Klavier setze, ergebe ich mich in Gottes Willen.“
Mit Jazz in Berührung kommt Aki Takase zum ersten Mal als Einundzwanzigjährige in Tokio. Die Tochter eines Bankdirektors und einer Hausfrau, 1948 in Osaka geboren, wird in Japans Hauptstadt Tokio mit klassischer Musik groß. Ihre Mutter gibt der Dreijährigen bereits Klavierstunden. Ein Musikstudium mit dem Hauptfach Klavier an der Musikhochschule Toho Gakuen ebnet Takase den Weg zu einer Karriere als Konzertpianistin. Als Studentin lauscht sie in den damals zahlreichen Jazzcafés Aufnahmen von John Coltrane und Charles Mingus. Ihre Entscheidung, sich selbst im Jazz auszudrücken, ist ein Kampf gegen den Willen ihres Vaters, erst Jahre später respektiert dieser ihn. Mitte der 1980er lernt sie Alexander von Schlippenbach kennen, der bis dato schon europäische Free-Jazz-Geschichte geschrieben hat. „Er ist der wichtigste Mensch für mich. Mit ihm ist es nie langweilig, Gedanken auszutauschen, auch im Streit. Wir haben Ideen für das Spiel auf zwei Klavieren oder vierhändig. Er schreibt anders Musik als ich, wir verstehen einander aber sehr gut.“ Schlippenbach spricht kein Japanisch außer „muri dana“, „unmöglich“. Wenn sie beide in der Stadt sind, besuchen sie ihre Konzerte gegenseitig.
Takase sagt, ihre Musik sei in keine Schublade zu stecken. In intensiven Kollaborationen setzt sie sich mit bildender Kunst, Literatur, Tanz und auseinander. Sie hat mit der Perfomance- und Installationskünstlerin Chiharu Shiota gearbeitet, mit Yoko Tawada entwickelt sie seit 1999 das Duo „Klang und Texte“ kontinuierlich fort. Den befreundeten Frauen geht es um die Eigenständigkeit von Text und Musik. „Für mich ist interessant, wie überraschend sie schreiben kann und welche Ideen sie mir damit für mein Spiel gibt. Wir möchten beide nicht begleitet sein oder begleiten“, stellt Takase fest.
Sie wird verhaltener, als sie von ihrer besten Freundin und langjährigen künstlerischen Weggefährtin Anzu Furukawa erzählt. Die Tänzerin des japanischen Butohtanzes, trat noch 20 Tage vor ihrem Tod 2001 mit Takase, Tawada und Schlippenbach auf. Takase widmet Furukawa auf ihrem Soloalbum „Le Cahier du Bal“ den „Tango de Anzu“.
Sie wollte nicht wieder mit einer Tänzerin arbeiten, begegnete 2006 aber der im klassischen und zeitgenössischen Tanz geschulten Yui Kawaguchi. Die Duo-Produktion „Die Stadt im Klavier – Tarantella“, ist seit 2008 immer wieder zu sehen. In den Aufführungen improvisieren beide, gehen verschiedene Wege und treffen sich wieder. „Die Sichtbarkeit von Tanz ist sehr stark. Musik sollte auch sichtbar sein. Dafür müssen wir nicht aufeinander reagieren, wir sagen etwas gemeinsam.“
Musikalische Duette pflegt Aki Takase mit ihren „kongenialen Partnern“, den Klarinettisten Rudi Mahall und Louis Sclavis, mit beiden hat sie bedeutende Alben eingespielt. Dass sie bei allem, was sie tut, eine Brücke zwischen Japan und Deutschland schlägt, ist ihre größte Hoffnung.
■ Aki Takase Auswahldiskografie: Aki Takase, Louis Sclavis: „Yokohama“ (Intakt) Aki Takase, Rudi Mahall: „Evergreen“ (Intakt) Aki Takase, Alexander von Schlippenbach: „Iron Wedding“ (Intakt) Aki Takase: „Plays Fats Waller“ (Enja) ■ TAMA live, 21. September, im B-flat