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Archiv-Artikel

Einfach so hineingestürzt

KURZGESCHICHTE Ein Date führt zu Intimität, zu Sex und zum großen Thema: Was würde passieren, wenn jetzt ein Kind aus dieser Liebesnacht entsteht?

VON THOMAS FEIX

Es war so weit, er hatte es geschafft. Ist es etwa passiert, fragte sie ihn in sein Hochgefühl hinein, und er dachte sich gleich, dass das Laute der Frage und das „Etwa“ darin einen Vorwurf ihrerseits an ihn bedeuteten. Natürlich, sagte er deshalb wie aus Trotz zu ihr, oder was meinst du, wozu wir das alles hier gerade miteinander gemacht haben. Beide atmeten sie schwer, wie sie da übereinander und ohne Kleider auf dem Sofa lagen. Sie hatte die Unterarme beidseits seines Kopfes auf dem Sitzpolster, und ihr Mund war an seinem Ohr. Er hatte die Hände an ihrer Taille und blickte im Schein des Kerzenlichts an die Wohnzimmerdecke über ihm. Du hättest dich beherrschen müssen, sagte sie, ich will nicht schwanger werden, ich will kein Kind. Das sagst du mir jetzt danach, sagte er, jetzt, da nichts mehr daran zu ändern ist. Er fühlte sich schuldig ihr gegenüber, obwohl er nicht wusste, weshalb. Er hatte nichts mit ihr zusammen getan, das nicht auch sie gewollt hätte. Und nun sagte sie so etwas zu ihm.

Eine gemeinsame Bekannte hatte sie und ihn am Tag zuvor zusammengebracht. Dass ihre Freundin, die ihre beste Freundin ist, einen Mann sucht, hatte die Bekannte ihm im Vertrauen am Telefon erzählt. Dass er doch ebenso sehr auf eine Frau aus ist wie ihre Freundin auf einen Mann, und vielleicht könnten sie deshalb nachher zu dritt ausgehen. Dann würde er sie kennenlernen und sie ihn. Im Foyer des Kinos trafen sich die drei zur Abendvorstellung miteinander. Sie gefiel ihm sofort, und auch sie betrachtete ihn sich mit Interesse. Im Saal saß er zwischen der Bekannten und ihr. Die ganze Zeit über dachte er darüber nach, wie das mit ihrer Nummer zu machen wäre. Nach dem Film verabschiedete sich die Bekannte von ihr und ihm und ging fort. Sie standen beide zusammen vor dem Kino, und sie sagte zu ihm, dass sie zur Bushaltestelle muss und ob er nicht Lust darauf hätte, sie bis nach dorthin zu begleiten. Bevor sie in den Bus einstieg, verabredeten sie, am nächsten Tag miteinander zu telefonieren, und er notierte sich ihre Nummer in sein Handy.

Vor fünf Stunden hatte er sie angerufen. Dass er sie sehen möchte, sagte er ihr. Sie schlug ihm ein Café als Treff vor. Um acht, sagte sie. Um acht, sagte er. Sekunden, nachdem sie aufgelegt hatten, ging sein Handy, und dran war sie. Lassen wir das Treffen im Café sein, komm am besten einfach zu mir in die Wohnung, und sie nannte ihm ihre Adresse. Um acht Uhr war er vor der Haustür gewesen, hatte bei ihr geklingelt, und sie hatte ihm den Türöffner gedrückt. Erster Hinterhof, linker Seitenflügel, die Wohnung unterm Dach, sagte sie ihm über die Wechselsprechanlage. Durch den Hausflur hindurch, über den Hof, den linken Treppenaufgang bis zur letzten Etage hinauf, und sie erwartete ihn in der offenen Tür. Sie hatte ihn ins Wohnzimmer geführt, wo auf dem Couchtisch als einzige Beleuchtung drei Teelichter in einer Glasschale brannten. Sie und er setzten sich aufs Sofa, sie in die eine Ecke, er in die andere, und einander zugewandt, schlug jeder ein Bein über das andere. Sie unterhielten sich leise miteinander und waren dabei stetig zueinander gerückt, und dann kam der Moment, da er bemerkte, dass sie auf die Weise übereinander gerückt waren und er dabei unter sie geraten war. Bald darauf hatte sie die Etwa-Frage an ihn gestellt. Aber sie lösten sich nicht voneinander. Er hielt ihre Taille umfasst, und sie blieb mit dem Mund an seinem Ohr. Leise sprach sie jetzt wieder mit ihm. Sechsunddreißig bin ich, sagte sie, und ewig schon will ich ein Kind. Aber immer habe ich die Ahnung gehabt, dass wenn ein Mann bei mir war, dass er nicht der Richtige dafür wäre. Was weiß ich denn, ob du jetzt derjenige welcher bist. Hättest du dich doch beherrscht.

Beherrschen hätte ich mich sollen, dachte er. Wie denn. Als hätte ich da noch die Wahl gehabt. Dabei hätte sie vorher bloß ein Wort darüber zu mir zu sagen brauchen, dass sie nicht schwanger werden will. Hat sie aber nicht, nicht einen Ton. Hat sich stattdessen genauso wie ich da hineingestürzt. Dafür nun hinterher umso mehr ihr Klagen und der Tadel an mich. Wie Überschwang und Leichtigkeit mit einem Mal weg sind. Wie ihr mit einem Mal sogar ihr gesamtes Leben nichts als eine Klage wert zu sein scheint.

Sie hatte sich halb über ihm aufgerichtet, stützte sich mit den Händen auf dem Sofa ab und sah ihm ins Gesicht. Wie hältst du es mit einem Kind? Sie ließ sich zurück auf die Unterarme fallen und sank erneut auf seine Brust.

Er blickte wieder auf das Weiß der Zimmerdecke über ihm. Von sich aus wäre er vielleicht nie auf den Gedanken an ein Kind zusammen mit ihr gekommen. Einer Wendung der Dinge aber würde er sich nicht entziehen. Wenn nicht mehr das eine, dann eben das andere. Wenn nicht mehr Überschwang und Leichtigkeit, dann eben Ernst und Redlichkeit. Ganz wie Umstände es verlangen, die sich unversehens ins Gegenteil verkehrt haben. Er würde dem neuen Gesichtspunkt schon das Bestmögliche für sie beide abgewinnen.

Solltest du jetzt tatsächlich schwanger von mir werden, sagte er zu ihr, wäre ich selbstverständlich für dich da. Als Paar, das du und ich dann sein werden, füreinander einstehen, füreinander sorgen und vor allem für das gemeinsame Kind. Wie sie denn die Idee fände, fragte er sie.

Ihm käme die Aussicht auf ein Kind entgegen, hatte er beschlossen. Nie mehr allein sein, nie mehr auf der Suche sein, alles immer nur noch gemeinsam und dabei ineinander ruhen, so dachte er es sich.

Sie zögerte, und der Klang ihrer Stimme war klar und fest, als sie dann von dem Plan zu ihm sprach, den sie sich für einen solchen Fall zurechtgelegt hatte. Sie hob den Mund von seinem Ohr. Nicht Familie, sagte sie, nicht wie du es dir denkst. Das Kind würde ich ohne dich großziehen. Auf Unterhalt von dir würde ich ebenfalls verzichten, du sollst keinen Anspruch auf das Kind haben. Den Vertrag darüber könnten wir noch heute Abend zusammen aufsetzen. Wärst du damit einverstanden, fragte sie ihn.

Das also. Gestern erst waren sie einander begegnet und heute einander nähergekommen. Am Anfang miteinander waren sie und waren schon mittendrin in etwas, das er als Durcheinander empfand. Einverstanden, sagte er dennoch zu ihr. Er hoffte darauf, dass sich die Lage irgendwann zu seinen Gunsten fügen würde. Spätestens dann, wenn das Kind einmal da wäre. Bestimmt würde sie dann anders darüber denken.

Mit den Lippen war sie wieder an seinem Ohr. Sollte ich jetzt nicht schwanger von dir werden, wie wäre es damit für dich, würden wir beide es solange immer wieder miteinander probieren, bis dass es mit der Schwangerschaft geklappt hat. Es wäre nicht nur eines Kindes wegen, durchaus nicht, sagte sie.

Auch damit war er einverstanden. Vielleicht doch Überschwang und Leichtigkeit, dachte er bei sich, und nicht diese Last.

Die Last, voneinander zu wissen, dass jeder von uns beiden darum bemüht ist, einen Weg aus der Einsamkeit und dem Verdruss darüber zu finden.

Ich weiß nicht, was ich will, sagte sie. Ich weiß nicht, was ich mir mehr von beidem wünsche, mehr einen Mann oder mehr ein Kind. Beides zusammen, das wäre es, ja. Wäre da nur nicht immer diese Ahnung gewesen, diese Enttäuschung.

Die Teelichter in der Glasschale waren heruntergebrannt, und im Dunkeln sagte sie zu ihm, dass sie möchte, dass er über Nacht bei ihr bleibt, und wenn es ihm recht wäre, würde sie jetzt aufstehen und ihnen drei frische Kerzen holen gehen. Sie stand dann doch nicht auf, sie schmiegte sich lieber noch dichter an ihn, und er winkelte die Knie zwischen ihren ausgestellten Beinen an.