Paul aus Großkongo

AFROEUROPÄISCHE TRICKSTER Alain Mabanckous Roman „Black Bazar“ war in Frankreich ein Bestseller, auf Deutsch hat er es schwerer. Er beschreibt die Szene der Sapeurs in Paris

Formvollendet vereinen die Sapeurs Eleganz und postkoloniale Parodie

VON CHRISTINE REGUS

Man erfährt bis zum Schluss seinen Namen nicht. Man weiß nur, dass er aus Brazzaville nach Paris gekommen ist und zwei Leidenschaften hat. Die erste hat ihm den Spitznamen „Arschologe“ eingebracht. Die zweite sind elegante Kleidungsstücke. Und so hat man gelernt, wenn man den Roman „Black Bazar“ weglegt, woran die Qualität von Frauenhintern zu erkennen ist: Verheißungsvoll sind die, die im Gegenuhrzeigersinn schwingen; Misstrauen ist angebracht, wenn sie von oben nach unten wackeln, denn solche lassen auf einen reizbaren Charakter schließen. Außerdem weiß man nach der Lektüre, dass es ohne Schuhe aus Echsenleder und maßgeschneiderten Ungaro-Anzug eigentlich nicht geht.

Alain Mabanckou, 1966 in der Republik Kongo geboren, hat lange in Paris gelebt, zunächst als Jurist, dann als Schriftsteller, und ist heute in Los Angeles Professor für Vergleichende Literaturwissenschaften. Er erzählt in „Black Bazar“ einige Monate aus dem Leben eines kongolesischen Migranten: Die Freundin verlässt ihn wegen eines Bongospielers, also hängt er mit Paul aus Großkongo und Yves dem Franko-Ivorer in den Bars des 1. Arrondissements herum, trinkt zu viel Pelforth, schneidet vor dem arabischen Gemüsehändler auf, findet eine neue Gefährtin und schreibt einen Roman.

Der Plot ist aber nebensächlich. Die Hauptsache an Mabanckous Roman, der es in Frankreich auf die Bestsellerlisten schaffte, ist, dass er uns in ein schillerndes Milieu eintauchen lässt, das weißen Europäern weithin verborgen ist: die Szene der Sapeurs. Sie verstehen sich als Mitglieder von La Sape, der „Société des Ambiancieurs et des Personnes Élégantes“. Vor Jahrzehnten im Kongo entstanden, haben die Sapeurs ihren komplizierten Kodex in die Migrantenviertel von Paris, London und Brüssel exportiert. Sie sind überaus glamouröse Erscheinungen und erinnern zwar an das Phänomen des europäischen Dandys, verkörpern aber eher eine afrikanische oder afrodiasporische Tricksterfigur. Formvollendet vereinen sie Eleganz und postkoloniale Parodie.

Schon in der Kolonialzeit imitierte man mit Anzug und Hut, sogar mit künstlichen Glatzen und vorgetäuschtem Bauch den Stil der französischen Bourgeoisie. Extravaganz und Luxus gehören bis heute unbedingt dazu, auch wenn die obligatorischen Cohibas aus finanziellen Gründen meist nicht geraucht werden. Die Eleganz der Sapeurs basiert nicht auf Understatement oder Natürlichkeit – es geht um europäische Designermarken und pink-weiß geringelte Seidenstrümpfe, die der Träger zur Schau stellt, indem er virtuos sein Hosenbein lupft.

Die „Fashion Battles“, in denen Sapeurs gegeneinander antreten, sind großes Theater; die Kunst der Rhetorik dieser männlichen Diven formt sich in kleinsten Details der Farben und Schnitte, Gesten und Posen, bei der Fingerstellung beim Vorführen der wertvollen Manschettenknöpfe.

„Natürlichkeit“ ist eines der gängigsten Attribute für Schwarze in den diversen rassistischen Ideologien. Der einst antikolonial motivierten „Négritude“-Bewegung etwa, die im Gefolge Aimé Cesaires bis heute Naturverbundenheit, Ganzheitlichkeit, Gemeinschaftssinn als gegebene Eigenschaften der „schwarzen Rasse“ versteht.

Wohin so ein essenzialistisches Konstrukt führen kann, hat man an Diktatoren wie Mobutu Sese Seko studieren dürfen, der um einer vermeintlichen Reafrikanisierung willen im Zaire der 1970er Jahre unter dem Motto „Authenticité!“ westliche Kleidung bis hin zum BH verbot. Vor diesem Hintergrund ist die bizarre Modeschöpfung des Afro-Pop-Stars Papa Wemba, „le pape de sape“, die Labels der französischen und italienischen Haute Couture außen an der Kleidung zu tragen, durchaus als politisches Statement zu verstehen.

Penislänge und Kolonialschuld

Auch im Rassismus der Weißen spielt das „Natürliche“ schon immer eine wichtige Rolle. Stuart Hall, einer der großen Protagonisten der Cultural Studies, hat anhand vieler populärkultureller Beispiele nachgewiesen, dass „schwarze“ Kultur und „schwarze“ Natur oft gleichgesetzt werden, wobei „schwarz“ dann so viel wie „primitiv“ heißt. Deshalb ist auch Sexualität in der rassistischen Fantasie so zentral. Afroamerikaner wurden noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gelyncht, wenn sie im Verdacht standen, mit weißen Frauen geflirtet zu haben.

Und da erzählt nun „Black Bazar“ also ganz unbeschwert von schwarzen Männern, die sich als erotische Objekte inszenieren, auf das Exzentrischste herausputzen und in Parfümwolken einhüllen. Die fortwährend über Penislängen fachsimpeln und diskutieren, ob man sich als Afrikaner die Entschädigung für die Kolonialschuld selbst beschaffen kann, indem man Französinnen schwängert. Das Personal in „Black Bazar“ ist insgesamt wenig sympathisch, jeder steht völlig ungehemmt zu seinen sexistischen und rassistischen Vorurteilen: Die Kameruner finden die Kongolesen daneben, die Westafrikaner verachten den Mann aus dem Tschad, Araber hetzen gegen Chinesen. Die schwarzen Männer halten ihre „Schwestern“ für zänkisch und sexbesessen, bevorzugen Hellhäutige; lediglich „frische Gazellen aus der Heimat“, die also erst ganz neu nach Europa ausgereist sind, „jagt man“. Es wird sorgfältig nach Hautfarben unterschieden, tiefdunkle, dunkle, helle, auch „Weißneger“ gibt es. In den Albträumen des Protagonisten wollen menschenfressende Pygmäen aus Gabun sein Töchterchen in einen Kessel kochenden Palmöls werfen.

Der Roman ist also erfrischend politisch unkorrekt. Viel hat sich geändert seit Frantz Fanons Buch „Schwarze Haut, weiße Masken“. Die depressive Schwere, die über Fanons Klassiker der postkolonialen frankofonen Literatur liegt, ist abgelöst durch das Groteske und Tragikomische. Und so befindet unser Protagonist auch gut gelaunt: „Für einen Neger ist es keine so große Hexerei, den Neger zu spielen.“ Die Kultur der Sapeurs bewegt sich subversiv an der Grenze der kolonialen Mimikry: Sie bedient scheinbar selbstverständliche Wahrnehmungskonventionen, thematisiert diese aber und macht sie so zugleich fragwürdig.

Wer den Code nicht perfekt beherrscht, weiß meist nicht, was ernst gemeint ist und was nicht. Und so erinnern die Sapeurs auch an den „Signifying Monkey“, der für den Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates die zentrale afrodiasporische literarische Figur darstellt. Beim „Signifying“ werden Stilmittel wie Ironie, Metaphern, Übertreibungen eingesetzt: Es ist aus der Praxis hervorgegangen, Begriffe der Weißen mit anderen, oft gegensätzlichen Bedeutungen zu belegen, um kommunizieren zu können, ohne von Nichteingeweihten verstanden zu werden: In den überlieferten Fabeln weiß der Affe um die Polyvalenz der Sprache und überlistet durch Wortspiele den Löwen, der ihn naiv stets beim Wort nimmt.

Und da sind wir beim Problem der deutschen Fassung des Romans „Black Bazar“. Modische Selbstinszenierung der Sapeurs, ihr Spiel mit rassistischen Stereotypen sowie ihre Sprache loten ein System allerfeinster Unterschiede aus. Die franko-afrikanischen Dialekte, Jugendsprachen wie das Verlan, Schlagfertigkeitswettbewerbe an den Tresen der afrokubanischen Pariser Bars – immer geht es auch verbal um einen bestimmten Stil, um Eleganz oder Coolness, um eine spezifische Ästhetik, die zu einer konkreten Identität gehört, und die schwer zu fassen ist. Und offenbar noch schwerer zu übersetzen. Weder cool noch elegant klingt es jedenfalls, wenn man sich in der deutschen Fassung „Dressman“, nicht „Sapeur“ nennt, oder wenn man „stolz wie ein Muskeltier“ ist statt „fier comme Arbatan“.

Die holprige Eins-zu-eins-Übertragung führt zu Sätzen wie diesem: „Wie auch später, als der Araber von der Ecke uns seine Witze über die Israelis erzählte, von denen gesagt wurde, dass der Finanzminister kein Moos hat, oder der Araber, um nach Hause zu telefonieren, die ewige Kabylei satt hatte, lachte ich vor allem über ihr Lachen, denn wenn sie lachte, klang es wie ein altes Auto, das an einer Steigung der vierten Kategorie nicht mehr anspringt?“ Sprachlich wirkt der Roman derart umständlich, dass man auf Dauer regelrecht ungeduldig mit dem Ich-Erzähler wird. „Paul aus Großkongo“ und „Paul du grand Congo“ sind eben genauso wenig identisch wie „Brot“ und „pain“ – dieses Wortpaar hat Walter Benjamin berühmt gemacht, als er feststellte, dass das Gemeinte zwar dasselbe sei, die Art, es zu meinen, dagegen nicht: „In der Art des Meinens nämlich liegt es, dass beide Worte dem Deutschen und Franzosen je etwas Verschiedenes bedeuten, dass sie für beide nicht vertauschbar sind, ja sich letzten Endes auszuschließen streben.“

Es ist genug gesagt worden über die Schwierigkeiten und Paradoxien des literarischen Übersetzens. Die Übersetzungsaufgabe ist im vorliegenden Fall aber besonders verzwickt, da ja bereits das Französisch des Autors ein spezifisches Französisch ist, eines, das im Kontext der Kolonialgeschichte, der Ungleichheit der Sprachen und Kulturen, der afrodiasporischen Identität des Protagonisten eine eminent politische Dimension hat. Bei Translationsprozessen geht es immer auch um soziale Interaktion und kulturelle Differenz. Und so ist Übersetzung kein harmloses Unterfangen: Sie ist immer auch Repräsentation des Anderen. Übersetzung kann immer nur Annäherung sein und mehr oder weniger glücken. Hier ist leider Letzteres der Fall.

■ Alain Mabanckou: „Black Bazar“. Aus dem Französischen von Andreas Münzer. Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2010, 272 Seiten, 19,80 Euro