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Archiv-Artikel

Lernen in Lichtspielhäusern

Das Schulprojekt „Im Kino NRW erleben“ zieht über das Land. In mehr als 52 Städten sollen Jugendliche mit Spiel- und Dokumentarfilmen etwas über die Geschichte ihres Landes lernen

VON PETER ORTMANN

Schule ist out. Kino ist in. Immer schon konnte Bildung für Jugendliche mit laufenden Bildern besser transportiert werden. Daran hat sich im digitalen Zeitalter nichts geändert. Das NRW-Ministerium für Schule und Weiterbildung hat zusammen mit den beiden Landschaftsverbänden, dem WDR und der Vision Kino gGmbH aus Babelsberg ein Projekt gestartet, das bis Dezember mit Spiel- und Dokumentarfilmen 60 Jahre NRW-Landesgeschichte näher bringen will.

Lokaltermin Warendorf. Über 300 SchülerInnen sitzen im Theater am Wall, das 1950 als Lichtspielhaus gebaut wurde. „Es war mein Leben“ sagt Mary Meyer-Sparenberg, Ehefrau des ehemaligen Betreibers. Sie hat dort lebenslang freien Eintritt und so besucht sie auch die Eröffnung des Schulprojektes „Im Kino NRW erleben“. Ungewöhnlich still ist es im Saal. Kein Popcorn, kein Geschnatter, kein Herumlaufen. Das liegt nicht nur an den strategisch verteilten Lehrern in den Reihen, sondern auch am Programm. Die Redaktion Bildung des WDR hat zwei Dokumentationen über die Beatgeneration im Ruhrgebiet mitgebracht. Hauptact des sonnigen Vormittags ist aber der Film „Die Heartbreakers“ (D, 1983), der von den 1960ern erzählt. Von Jugendlichen, die so werden wollen wie die Rolling Stones: berühmt, umgeben von schönen Mädchen. Allerdings mit einem Standortnachteil: Sie leben in Recklinghausen. Das Lebensgefühl von damals interessiert die 10 bis 15-Jährigen und so löchern sie Michael Wiedemann, der den Film produziert hat, heute bei der NRW-Filmstiftung arbeitet und das Lüner Filmfest organisiert, mit interessanten Fragen: Warum denn damals so viel geraucht wurde und ob die Tabletten, die einer der Jungs ständig einwarf, tatsächlich echt waren? Echte Tabletten bei Schauspielern? „Natürlich nicht“, sagt Wiedemann, der noch jammert, das der Film vor 20 Jahren nur rund 200.000 Zuschauer hatte.

„Die Heartbreakers“ ist einer von 40 Filmen, die von einer Schule zusammen mit einem Kino bestellt werden können. Dann finanzieren die NRW-Staatskanzlei, die Filmstiftung NRW und die Landeszentrale für politische Bildung NRW dazu das kulturelle Rahmenprogramm. Schauspieler, Lesungen oder auch mal der Regisseur kommen vorbei. In Duisburg wurde beispielsweise der Film „Solino“ (D, 2002) gezeigt. Das ist die Lebensgeschichte einer italienischen Gastarbeiterfamilie und spielt 1964 in Duisburg. Als Fachmann wurde Paul Hofmann von der Kinemathek des Ruhrgebiets eingeladen, der damals die Drehorte für den Regisseur Fatih Akin gesucht hat. Die Kinematheken in NRW sind nicht am Projekt beteiligt. „Obwohl wir historische Perspektiven ergänzen könnten“, sagt Hofmann.

Die 35-mm-Streifen liefert die Vision Kino gGmbH gleich bundesweit. An dem gemeinnützigen Netzwerk für Film- und Medienkompetenz, vor einem Jahr gegründet, sind praktischerweise Kinoverbände und Verleiherverband Gesellschafter. 70 Kinos in NRW haben ihre Teilnahme bereits zugesagt. „Nicht nur politische Bildung steht bei dem Projekt im Vordergrund“, sagt Markus Köster, stellvertretender Leiter der Medienberatung NRW, die noch aus der rotgrünen Ära im Land stammt und eine neue IT-Lernkultur fördern will. Die Filmbildung der Jugendlichen (Schnitttechnik, Kameraführung, Dramaturgie) und der Raum Kino stehe im Vordergrund, sagt er. Aber auch die Weiterbildung der Lehrer. Und so gibt es auch Impulse für die Filmbesprechung in der Schule. Auswahl aus dem Fragekatalog bei „Die Heartbreakers“: „Durch welches Verhalten wird die Ablehnung der Erwachsenen gegen Beatmusik deutlich?“