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Archiv-Artikel

„Staat muss jetzt zur Aufklärung beitragen“

TÜRKEI Angehörige des ermordeten Hrant Dink reagieren mit Befriedigung auf das Urteil aus Straßburg

ISTANBUL taz | Mit Befriedigung haben die Angehörigen des ermordeten armenischen Publizisten Hrant Dink auf die Verurteilung der Türkei durch den Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg reagiert. „Der türkische Staat muss jetzt seine Pflicht erfüllen und zur Aufklärung des Hintergrundes des Attentats beitragen“, hieß es gestern.

Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte nach dem Urteil die Türkei auf, Konsequenzen aus dem Richterspruch zu ziehen und mehr für die Aufklärung des Verbrechens zu unternehmen. „Diese Entscheidung sollte nicht das Ende der Geschichte sein“, sagte die Türkeiexpertin der Organisation, Emma Sinclair Webb. Wie die Familie auch fordert sie, die Behörden und das Gericht sollten herausfinden, ob Teile des Staates gemeinsame Sache mit den Mördern gemacht haben.

Bislang haben höchste staatliche Stellen das Gegenteil getan. Obwohl Polizeiführung, die Chefs der Gendarmerie und Mitarbeiter des Geheimdienstes MIT von dem Mordkomplott wussten, haben sie nichts getan, um die Täter zu stoppen. Durch Recherchen der Anwälte der Familie von Hrant Dink, die im Prozess als Nebenkläger auftreten, ist mittlerweile auch klar, dass staatliche Stellen in die Vorbereitungen des Mordes verstrickt waren. Es gab informelle Mitarbeiter des Geheimdienstes innerhalb der rechtsradikalen Gruppe, aus der der Attentäter Ogün Samast kommt.

Vor diesem Hintergrund versuchte die Regierung, im letzten Moment eine Verurteilung in Straßburg abzuwenden. Zunächst sagte Staatspräsident Abdullah Gül: Ja, der Staat habe wohl eine Mitschuld am Tod des Journalisten. Wenig später, nachdem bereits bekannt geworden war, dass der Nebenklage in Straßburg stattgeben werden soll, wurden Justiz- und Außenminister dann noch konkreter. Justizminister Sadullah Ergin sagte: „Ja, der Staat hat es versäumt, Hrant Dink zu schützen. Wir würden gerne eine freundliche Übereinkunft mit der Familie erreichen.“ Außenminister Ahmet Davutoglu ließ erklären, man werde eine entsprechende Erklärung in Straßburg abgeben.

Doch die Familie von Hrant Dink wollte keinen Hinterzimmerdeal. „Wenn sie zugeben, dass der Staat eine Mitschuld hat, dann sollen sie endlich dafür sorgen, dass die Hintermänner des Attentats auf die Anklagebank kommen“, sagte die Anwältin der Familie, Fethiye Cetin, der taz. „Der Staat kann sich doch jetzt nicht mit einem ‚Sorry‘ aus der Affäre ziehen.“ JÜRGEN GOTTSCHLICH