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Archiv-Artikel

Alle Bilder sind schon da

Im Fernsehen explodiert die Welt – doch das vertraute Bild der Katastrophe täuscht. Das Festival „Out of Disaster“ thematisiert den Umgang mit den starken Zeichen der Zerstörung in Film und Architektur

VON EKKEHARD KNOERER

Nicht ohne Ironie betitelte im Jahr 1958 der Künstler Bruce Conner seinen ersten, rasch zur Avantgarde-Ikone gewordenen Film: „A Movie“. Kommentarlos schneidet Conner zu Orchestermusik Found-footage-Material aneinander. Autos stürzen Hänge hinab, Flugzeuge explodieren, Surfer werden von Wellen überspült, ein Atompilz steigt auf, eine riesige Hängebrücke gerät ins Schwanken und bricht auseinander, das alles in rasantester Folge. Auch wenn es dazwischen friedlichere Passagen gibt: Für eine Reflexion von Zusammenhängen ist keine Zeit, die Bilder sind aus ihren Kontexten gerissen, es finden sich Momente aus Spielfilmen ebenso wie Dokumentarisches. Conner tackert ein Bild ans andere und es verdichtet sich so nur eines: der Eindruck der Allgegenwart des Katastrophischen.

„Out of Disaster“ ist der Name eines heute beginnenden Festivals, das sich Bruce Conners „A Movie“ – der natürlich auch gezeigt wird – zum Programm zu nehmen scheint. Es geht dabei schlechterdings um Katastrophendarstellungen im Film und in der Kunst, allerdings auch um Strategien der Rückgewinnung zerstörten Terrains. Bespielt werden zwei Kinos und sechs Galerien, das Programm bewegt sich zwischen Architektur, Videokunst und Mainstreamfilm.

Der Begriff, den sich die Kuratoren Petra Schröck und Reinhard Hasselbach von der Katastrophe machen, kennt wie bei Conner keine Grenze. Der Terroranschlag auf das World Trade Center, der Hurrikan „Katrina“, das Leben im Slum, der Atomkrieg und seine Simulation, das Gefängnis, die Flucht aus dem Elend – nichts wird ausgelassen. „Out of Disaster“ bringt die Katastrophe nicht auf den Begriff, bekommt sie nicht in den Griff. Wenn das ein Fehler ist, dann ist er jedenfalls der Weite des Gegenstandes adäquat.

Heute rückt das Fernsehen die Katastrophe in den Schein größter Nähe. In unserem Wohnzimmer explodiert die Welt. Spätestens mit dem 11. September ist die Katastrophe ins Zeitalter ihrer instantanen Reproduzierbarkeit und Ikonisierung eingetreten. Mehr noch: Die Wirklichkeit bedient sich, wie es scheint, inzwischen der aus der Fiktion vertrauten Repräsentationen. Alle Bilder sind schon vor dem Ereignis da; den brennenden Wolkenkratzer kannten wir bereits aus John Guillermins Katastrophenfilm „Flammendes Inferno“ (1974) – auch er ist bei „Out of Disaster“ zu sehen.

Wenn aber alle Bilder schon da sind, was bleibt dann den Bildmedien noch zu tun? Der Videokünstler Tony Oursler filmte am 11. September durch das Fenster seines Studios in Tribeca das Rennen, Retten, Flüchten vor seiner Haustür. Sein Video „Nine Eleven“ (2001) ist weniger eine Auseinandersetzung mit medialen Zusammenhängen als Ausdruck der inzwischen selbstverständlichen Allgegenwart von Videokameras und Fotohandys. Die sofort abrufbaren Augenzeugen-Bilder vermitteln den Eindruck: Wir sind mit allem Unglück der Welt auf vertrautem Fuß.

Das ist eine perspektivische Täuschung. Eher ist das Gegenteil wahr, denn durch das vertraute Bild wird gerade das Ereignishafte und Inkommensurable der Katastrophe verdeckt. Womöglich ist Bruce Conners „A Movie“ heute sogar fast unlesbar geworden. Er zielte noch auf einen analytischen Schock durch die Gewaltsamkeit der Montage und den Verzicht auf Sinnstiftung. Heute kennen wir die Bilderflut als Clip und Trailer und denken uns nichts dabei.

Lange schon polemisiert der britische Filmemacher Peter Watkins gegen diese von ihm so genannte „Monoform“ der Bildproduktion, die er in Hollywood wie im Fernsehen am Werk sieht. Die Bilder, so seine Diagnose, haben das Denken verlernt. Watkins, dem das Festival eine Hommage widmet, setzt eine sehr eigenwillige Form inszenierter Dokumentation dagegen. In „The War Game“ (1966), einer Auftragsarbeit für die BBC, die der Sender dann entsetzt ablehnte, zeigt er scheinbar dokumentarische Bilder eines Atomkriegs und führt so die Kraft des Bildes vor, uns glauben und fühlen zu machen, was wir sehen. Gezeigt wird auch sein Mammutfilm „The Journey“ (1983–87), eine vierzehnstündige Interview-Dokumentation zum Rüstungswettlauf.

Und was ist mit den Katastrophen, die unspektakulär sind, weil alltäglich? Ein Drittel der Stadtbevölkerung weltweit lebt heute in Slums. Ihr Leben ist dominiert von Gewalt, Mangel, täglichem Kampf ums Weiterleben unter menschenunwürdigen Bedingungen. Wie lässt sich das darstellen ohne Voyeurismus und ohne Klischee? „Shoot Back!“ (2006) demonstriert einen Versuch, der an ähnliche Unternehmungen – etwa Chris Markers – in den späten Sechzigerjahren erinnert: Der Filmemacher Michael Trabitzsch hat Jugendlichen aus dem Vorstadtslum Marathe in Nairobi Digicams anvertraut, mit deren Hilfe sie nun als Reporter aus ihrem eigenen Alltag berichten. Doch es bleibt fraglich, ob sich so einfach die Blickrichtung ändern lässt. Es wäre aber kein geringes Verdienst des dichten Programms von „Out of Disaster“, wenn es das Bewusstsein dafür schärfte, dass wir dringend andere Bilder brauchen als die, die immer schon da sind.

Programmüberblick: www.outof disaster.de. Eröffnung heute, 18 Uhr, im ehemaligen Kino Delphi in Weißensee. Gezeigt wird Roberto Rossellinis „Germania anno zero“