Die Tage der geschluckten Kröte

HIPPEN EMPFIEHLT Auf dem 17. Oldenburger Filmfest werden bis Sonntag Spielfilme und Dokumentationen gezeigt, von denen die meisten unabhängig produziert wurden

Mit der Retrospektive beweisen die Programmmacher wieder ihr Interesse an jenen Randgebieten der Filmkunst, die keinen guten Ruf haben

VON WILFRIED HIPPEN

Etwas gerupft sieht es in diesem Jahr aus. Das Filmfest in Oldenburg hat in seinem 17. Jahr sparen müssen und dem sind ein paar Programmpunkte, wie etwa der traditionelle Kino-Brunch am Sonntagvormittag oder die zusammen mit dem Staatstheater ausgerichtete Gala zum Opfer gefallen. Auch das Programm ist ein wenig ausgedünnt, und wenn etwa die internationale Jury den „German Independence Award“ unter nur vier Wettbewerbsteilnehmern ausloben muss, stößt dies schmerzlich an die Grenzen.

Aber gerade diese Programmreihe war schon immer für Überraschungen gut, und mit einem Drama aus dem Bankermilieu („Unter der Stadt“ von Christoph Hochhäusle), dem Psychogramm einer 40-jährigen Architektin, die sich selber im Dickicht der modernen Frauenbilder verliert („Die flexible Frau“ von Tatjana Turanskyj), der auf einer wahren Begebenheit basierenden Geschichte von Misshandlungen in einem Jugendgefängnis („Picco“ von Philip Koch) und der tragikomischen Suche einiger Großstadtmenschen nach Arbeit („Morgen ist das Leben“ von Alexander Riedel) sind die Themen der nominierten Filme ganz auf der Höhe unserer Zeit.

Die Jury leiten wird die kanadische Schauspielerin Deborah Kara Unger, die in Filmen wie Cronenbergs „Crash“ und Finchers „The Game“ ihre Vorliebe für eher schräge Filmprojekte bewies und den pessimistischen Thriller „Takedown“ von Raul Inglis vorstellt, in dem sie zusammen mit Lou Diamond Philipps zu sehen sein wird. Der zweite Stargast des Festivals ist Timothy Bottoms, dem ein „Tribute“ gewidmet ist, das in diesem Fall mit drei Filmen und der Weltpremiere seiner neusten Arbeit „Pound of Flesh“ zum Abschluss des Filmfestes am Sonntagabend angemessen sparsam ausgefallen ist. Denn Bottoms ist einer von jenen Schauspielern, die mit einer oder zwei Rollen international erfolgreich werden und von denen man danach Großes erwartet, das dann aber nie kommt. Bottoms bildete 1971, trotz der überragenden Leistung von Jeff Bridges, in „The Last Picture Show“ von Peter Bogdanovich das melancholische Zentrum des Films, im gleichen Jahr meisterte er in Dalton Trumbos „Johnny Got his Gun“ die schwere Aufgabe, einen durch Kriegsverletzungen fast völlig zerstörten Soldaten erschütternd menschlich wirken zu lassen. Warum er danach nie wieder solche Rollenangebote bekam, ist kaum zu erklären und der dritte in Oldenburg gezeigte Film „Rollercoaster“ von 1977 illustriert, wie Bottoms dann im Genrekino seine Nische fand.

Mit der diesjährige Retrospektive beweisen die Programmmacher des Filmfestes wieder einmal ihr Interesse an jenen Randgebieten der Filmkunst, die nicht unbedingt einen guten Ruf haben. Während in den Vorjahren mit Abel Ferrara und Ken Russell berühmte Bilderstürmer vorgestellt wurden, kommt diesmal mit Radley Metzger ein Regisseur und Produzenten nach Oldenburg, der nicht nur umstritten, sondern auch noch weitgehend unbekannt ist. In den wilden 60er und frühen 70er Jahren war er einer der Filmemacher, die versuchten, erotische Filmkunst zu machen. Sein Film „The Lickerish Quartet“, der auf Luigi Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“ basiert, wird mit Kubricks „Eyes Wide Shut“ verglichen, aber eine tiefere künstlichere Würdigung seiner eleganten Erotik-Filmen, deren europäisches Flair eine Zeit lang in den USA in Mode war, ist bisher ausgeblieben.

Da als ironische Antwort auf die Kürzungen durch die Stadt der Frosch zum diesjährigen Maskottchen des Festivals ernannt wurden (siehe taz vom 18. 8.) müssen natürlich in mindestens einem Film des Programms Amphibien die Hauptrolle spielen. In „Cane Toads: The Conquest“ zeigt Leon Gast, wie 1935 aus Hawaii eingeführte Kröten in Australien durch ungebremste Vermehrung zu einer Naturkatastrophe führten. Mit der Dokumentation wird zum ersten Mal ein Film in 3D auf dem Filmfest gezeigt. Die Zukunft beginnt quakend.