: Reden ist Gold
Der Sieg der schlechten, aber umso frecher vorgebrachten Argumente: Jason Reitmans Film „Thank You for Smoking“
„Spin“ lautet das Zauberwort. Es wird bald der Schlüsselbegriff unserer Zeit sein. Schon heute erleben wir immer öfter, wie an die Stelle studierter Politikberater und geachteter Experten diese windige Gestalt tritt, dieser Parvenü unter den Lobbyisten: der Spin Doctor. Wer noch nicht wissen sollte, was das ist, hat im Film „Thank You for Smoking“ allerbestes Anschauungsmaterial: Die Handlung setzt ein mit einer Fernsehtalkshow zum Thema „Gefahren des Rauchens“, in der ein krebskranker Jugendlicher gerade die Argumente der Anti-Raucher-Bewegung so nachhaltig illustriert hat, dass sie unwiderlegbar erscheinen.
Stimmungsmäßig steht es schlecht für „Big Tobacco“, wie man die Tabakkonzerne in den USA nennt. Doch dann bekommt Nick Naylor (Aaron Eckhart) das Wort erteilt. Es sei doch absurd zu unterstellen, die Tabakindustrie wolle den Tod dieses Jungen. „Nein, im Gegenteil, in unserem Interesse ist es doch, dass er möglichst lange überlebt und weiterraucht!“ Und weiter: „Es ist die Anti-Raucher-Liga, die seinen Tod will, damit sie Recht behalten kann!“ Die Stimmung dreht, Applaus für Nick Naylor. Das ist „spin“; das Gewinnen der Medienschlacht durch geschicktes Hase-und-Igel-Spielen. In Fernseh-Talkshows und vor Jurygerichten, also dort, wo es darauf ankommt, punktet man mit den schlechteren, aber umso frecher vorgebrachten Argumenten, mit selektiven Forschungsergebnissen, passiv-aggressiven Unterstellungen und anderen rein rhetorischen Manövern.
In „Thank You for Smoking“ geht es um diesen neuen Helden unserer Zeit, hier in Gestalt von Nick Naylor, dessen Beruf es ist, dem in Verruf geratenen Rauchen ein besseres Image zu verleihen. Kein leichter Job, aber Nick ist ein wahrer Genius des schlechten Arguments. Der Film funktioniert als Besichtigungstour seines Arbeitsfelds zwischen hemdsärmligen Vorgesetzten, die seit dem Vietnamkrieg vor gar nichts mehr zurückschrecken, und aalglatten, schnell sprechenden Hollywoodagenten, die noch unverschämter lügen als er selbst. Sein Privatleben sieht dagegen wenig glamourös aus: ein misstrauischer Sohn in der Frühpubertät, der bei der ungeduldigen Exfrau lebt, die gelernt hat, seinen Argumenten gegenüber einfach die Ohren zu verschließen. Zu den schönsten Stellen im Film gehören die Momente, in denen er dem Sohn sein Geschäft erklärt – „Wer richtig argumentiert, hat nie Unrecht!“ – und dieser das Gelernte prompt bei der eigenen Mutter erfolgreich einsetzt.
Die Handlung des Films folgt allzu vertrauten Mustern, als dass man sie hier beschreiben müsste. Interessant wird er durch die dargestellten Redetechniken. Wenn Naylor sich mit seinen Kollegen von der Alkohol- und Waffenindustrie zum Stammtisch trifft, schlägt das Drehbuch förmlich Funken, so scharfzüngig konkurrieren die drei um den Titel des teuflischsten Agenten. Im Original nennen sie sich das MOD-Squad, von „merchants of death“, Händler des Todes. Die deutsche Synchronfassung macht daraus das TAG-Team, für „tödlich, aber gut“. Ansonsten trifft sie den forschen Sprachduktus mit seiner fein austarierten Ironie so hervorragend, dass man in bester Argumentierlaune das Kino verlässt.
Nick Naylor ist übrigens eine sympathische Gestalt. Als Stimme aus dem Off stellt er sich dem Zuschauer zu Beginn so vor: „Michael Jordan spielt Basketball, Charles Manson bringt Menschen um, und ich – ich rede.“ Das klingt zwar wie Zynismus, ist gleichzeitig aber die Arbeitsethik, die Amerika groß gemacht hat: egal ob für einen guten oder schlechten Zweck – gib dein Bestes! Jemand, der so viel Talent hat, sei es auch fürs Lügen, dem wird in Amerika immer verziehen, so will es zumindest dieser Film. Aber da wird er vielleicht Opfer seines eigenen Argumentationsgeschicks. Denn im wahren Leben erweist sich das menschliche Gemüt manchmal eigenartig „spin“-resistent: Größer als die Abneigung gegen die, die dumm aussehen, ist nur noch die Abneigung gegen die, die einen selbst dumm aussehen lassen. BARBARA SCHWEIZERHOF
„Thank You for Smoking“. Regie/Buch: Jason Reitman. Mit Aaron Eckhart, Maria Bello u. a., USA 2006, 92 Min.