OFFIZIELLE ZAHL DER VERNACHLÄSSIGTEN KINDER STEIGT – DAS IST GUT SO : Supernanny hilft gegen Selbstvorwürfe
Solche Zahlen passen in den Zeitgeist. Immer häufiger, zeigt eine neue Studie, nimmt das Jugendamt Kinder in Obhut, weil die Eltern überfordert sind. Gerne interpretiert eine besorgte Öffentlichkeit solche Daten als Beleg für eine verrohende Gesellschaft, in der die Eltern ihre Babys verprügeln, statt sie zu liebkosen, in der sie Kinder vor leere Teller setzen, statt sie zu bekochen. Und in der sich Eltern, gebeutelt von Hartz IV, so in ihren Existenznöten verlieren, dass für Liebe und Fürsorge kein Raum mehr bleibt. Droht also der moralische Niedergang?
Bei allem Mitleid für den Einzelfall: Für eine Katastrophenmeldung taugen diese Nachrichten nicht. Dass heute mehr Fälle misshandelter Kinder publik werden, heißt nicht, dass die Gewalt in der Familie tatsächlich zunimmt. Im Gegenteil lassen sich die Zahlen auch als gute Nachricht deuten – nämlich als Hinweis, dass heute Nachbarn, Freunde und Verwandte sensibilisierter auf elterliche Entgleisungen reagieren. Offenbar betrachten immer weniger Menschen eine Tracht Prügel als legitimes Mittel der Zurechtweisung. Und das alte Dogma, Familienprobleme seien eine Privatsache, in die sich kein Lehrer oder Kollege einzumischen habe, verliert an Rückhalt.
Gerade die jüngsten Zahlen legen nahe, dass überforderte Eltern es heute eher wagen, um professionellen Beistand zu bitten. Die Allgegenwart der Supernannys im Fernsehen und der Erziehungsratgeber in den Illustrierten hat bei allem Populismus auch einen Vorteil: Es entlastet Eltern von dem Gefühl, persönlich versagt zu haben, wenn statt des lieben Kleinen ein Dauerschreier im Kinderzimmer tobt. Oder wenn der Teenager-Sohn nur noch Gewaltvideos anschaut, statt sich mit Büchern zu bilden. Und wo früher die Oma einsprang, wenn die Mutter überfordert war, müssen im Zeitalter der Kleinfamilie eben professionelle Instanzen greifen.
Es ist weder hilfreich noch begründet, einen Niedergang der Elternliebe zu beklagen. Sinnvoller wäre es, die neue Sensibilität zu nutzen. Statt Eltern anzuprangern, sollte die Gesellschaft umfassende Hilfe anbieten – und dafür das nötige Geld bereitstellen. COSIMA SCHMITT