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Archiv-Artikel

„Complimenti Chile“

WACHRUF Nach dem schwachen Spiel gegen Chile, das die DFB-Mannschaft groteskerweise mit 1:0 gewonnen hat, wird Bundestrainer Joachim Löw wieder zum großen Mahner: „Andere schlafen nicht!“

AUS STUTTGART FRANK HELLMANN

„Complimenti Chile, complimenti Chile“, rief Bundestrainer Joachim Löw ein paar chilenischen Journalisten nach dem Spiel zu. Er blieb sogar stehen, schüttelte jedem die Hand. „Very good, very good!“ Die weit gereisten Gäste konnten ihr Glück kaum fassen, sofort zückte einer nach dem anderen sein Smartphone und schoss ein Erinnerungsbildchen in der überfüllten Mixed Zone. Der improvisierte Kauderwelsch hatte gezeigt, was der deutsche Fußballlehrer für den chilenischen Fußball empfindet: Hochachtung und Respekt. Löws Wertschätzung dürfte nach dem Auftritt der Südamerikaner am Mittwochabend noch größer sein. Sein Team gewann zwar 1:0, doch die Chilenen waren das viel bessere Team: druckvoll, technisch stark, kämpferisch.

Einerseits sind die Sorgen nach dem Gewürge gegen die Südamerikaner wieder ein ganzes Stück größer geworden, andererseits hätte dem 54-Jährigen nichts Besseres passieren können. „Genau der Gegner, den wir gebraucht haben“, konstatierte Löw. Den mahnenden Worten vom Montag („Die Uhr tickt“) folgte am Mittwochabend die Ernüchterung auf dem Rasen. „Mir muss niemand weismachen, dass es nur in Deutschland die weltbesten Fußballer gibt und nur wir mit Talent überschwemmt sind. Andere Nationen schlafen nicht“, sagte Löw. Es gebe nur wenige Mannschaften auf der Welt, die so variabel spielen wie dieser gallige Geheimfavorit, der es auch schon verstanden hat, die Ballbesitzkünstler des Welt- und Europameisters Spanien mit ihrem furchtlosen Pressing in Bedrängnis zu bringen. Und bitte, wer fürs kontinentale Kräftemessen nur mit Argentinien oder Brasilien argumentiere, vergesse, dass es neben Chile auch noch die Überfallfußballer aus Kolumbien gebe.

Trotz der gefühlten Niederlage: Löw spielt die „gute Lehrstunde“ (Per Mertesacker) in die Karten. Sowohl in der öffentlichen Argumentation als auch in der internen Kommunikation kann er nun sagen: Jungs, ihr müsst noch mehr tun! „Einige Spieler müssen ihr individuelles Leistungsniveau optimieren“, forderte er, und obwohl er den anfänglich am Flügel aufgebotenen und später in die Spitze versetzten Mesut Özil ausdrücklich in Schutz nahm, dürfte sich der Mittelfeldstratege am ehesten angesprochen fühlen. Mit so einem schwachen Auftritt wie in Stuttgart wird die WM-Mission garantiert schiefgehen.

Löw rechnete erneut vor, dass niemand glauben solle, solche Gegner würden beim Turnier auf Reisestrapazen, Hitze und Anstoßzeit Rücksicht nehmen, „die spielen um zwölf Uhr mittags nicht verhaltener.“ Ergo habe er seine Stars in persönlichen Gesprächen „informiert, ein bisschen was draufzulegen“. Gut, die fehlende Präsenz des Bayern-Blocks – geschönt vom goldenen Tor durch Mario Götze – könnte damit zu tun haben, dass der Münchner Trupp unbewusst ein bisschen heruntergeschaltet hat. Aber Löw kann nicht gefallen haben, dass sein Gebilde so unfertig wirkte wie sein WM-Quartier im Bundesstaat Bahia. „Die Räume waren riesengroß“, klagte er eingedenk des konfusen Auftritts in der zweiten Halbzeit. Die DFB-Auswahl war zeitweise nicht nur wegen ihrer ungewohnten rot-schwarzen Trikots nicht wiederzuerkennen, sie ernete auch noch gellende Pfiffe.

Doch die Unmutsbekundungen bei der überfälligen Özil-Auswechslung verärgerten Teammanager Oliver Bierhoff. „Schade, dass ein Spieler wie Mesut ausgepfiffen wird. Ich wünsche mir ein anderes Verhalten des Publikums.“ Die Kundschaft verlangt allerdings auch nach einer anderen Körpersprache der Nationalspieler. Viel besser als der abgetauchte Gestalter Özil wirkte der Arsenal-Kollege Per Mertesacker, der bei der teils zur Abwehrschlacht ausgearteten Auseinandersetzung gefühlte 57-mal angeschossen wurde und unter anderem auf Englisch beim Abgang dies ins Aufnahmegerät eines Reporters diktierte: „We have a lot to do!“

Nach diesem Statement ging der britische Berichterstatter zufrieden heim, und es kamen wieder die chilenischen Reporter, die das freundliche Gesicht des Bundestrainers hervorkehren sollten.