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Archiv-Artikel

Putin freut sich schon

PARALYMPICS Heute werden die Olympischen Winterspiele der Behinderten in Sotschi eröffnet. Es fehlen viele Politiker und Prominente

„Die westlichen Medien sollten einsehen, dass sie die Welt nicht nur aus ihrer Perspektive bewerten können“

PARALYMPICS-CHEF CRAVEN

AUS SOTSCHI RONNY BLASCHKE

Die Einladung war vor Tagen verschickt worden. Am Samstagmorgen sollte Verena Bentele in Sotschi in die Hall of Fame des paralympischen Sports aufgenommen werden, in einer festlichen Zeremonie, gesponsert von einem weltweit agierenden Kreditkartenunternehmen. Bentele, die bei Winter-Paralympics zwölf Goldmedaillen gewonnen hatte, wird nun nicht ans Schwarze Meer reisen. „Es ist ein ganz klar politisches Zeichen an Russland“, sagte die neue Behindertenbeauftragte der Bundesregierung im ZDF. Sie möchte gegen den militärischen Vorstoß Wladimir Putins auf der ukrainischen Halbinsel Krim protestieren.

In den vergangenen Tagen hat das Internationale Paralympische Komitee (IPC) fast stündlich Absagen erhalten. Die Eröffnung der elften Winter-Paralympics an diesem Freitag wird weitgehend ohne ranghohe Politiker, Prinzen und Prominente auskommen, zumindest ohne jene aus den demokratisch geführten Industrienationen. Dass Bentele und die Bundesregierung sich spät diesem Chor anschließen, hat den Deutschen Behindertensportverband nicht überrascht. „Das war eine politische Entscheidung, die auch meine persönliche Zustimmung findet“, sagte Verbandspräsident Friedhelm Julius Beucher.

In den Bundestagsfraktionen löste Benteles Ankündigung eine Debatte über die Wirkmächtigkeit eines Boykotts aus, doch auf dem Olympiagelände von Sotschi hielt sich die Aufregung in Grenzen. „Das ist enttäuschend“, sagte Philip Craven, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees. „Es ist schade, dass die Regierung sich da einmischt.“ Worte wie diese hat Craven in den vergangenen Tagen immer wieder gebraucht, nachdem anfangs die USA und Großbritannien das Fernbleiben ihrer Minister angekündigt hatten – und ihnen im Laufe der Woche immer mehr Nationen folgten.

Bislang äußert sich das IPC sehr vage zur Militärintervention des Gastgebers. Ein glaubwürdiges Zeichen der Solidarität für die dreißig Sportler aus der Ukraine, deren Angehörige sich wenige hundert Kilometer weiter vor einem Krieg fürchten, ist nicht zu vernehmen. Stattdessen hofft das IPC auf die „besten Winter-Paralympics aller Zeiten“.

Philip Craven, 1973 Weltmeister im Rollstuhlbasketball, ist 2001 beim IPC angetreten, um den paralympischen Sport global wachsen zu lassen. Der studierte Geograf kann gut vermitteln, wie behinderte Menschen durch Sport ihre Grenzen ausloten. Er hat vor zehn Jahren ein Papier zum Thema Menschenrechte herausgebracht, in dem er gesellschaftliche Teilhabe fordert. Das IPC möchte Kriegsversehrte und Terroropfer für Sport gewinnen, im Sudan, in Afghanistan oder Syrien.

Was sind diese gesellschaftlichen Maßnahmen wert, wenn Craven die Paralympics nun auf Sport reduziert? In einem halbstündigen Interview Mitte Januar, vor dem Konflikt in der Ukraine, verteidigte er die Vergabe der Spiele an Sotschi. Im Quartier des IPC in Bonn sagte er: „Die westlichen Medien sollten einsehen, dass sie die Welt nicht nur aus ihrer Perspektive bewerten können. Sie sollten sich auf die Kultur anderer Ländern einlassen. Auch wenn wir gegen politische Grundsätze sind: Wir müssen in diese Länder reisen und über heikle Themen sprechen.“ Damals wurde Putin für Enteignung, Korruption und Umweltschäden kritisiert. Inzwischen hat er auch das Völkerrecht verletzt mit dem Einmarsch.

Die Weltpolitik will der oberste Paralympier den Politikern überlassen, das waren seine Worte nach der Ankunft in Sotschi. Im positiven Sinne aber ist er gern politisch: „Die Paralympics können Barrieren überwinden.“ Seit Jahrzehnten leben behinderte Menschen im Schatten der russischen Gesellschaft. Das soll sich nun ändern, auch durch eine intensive Berichterstattung im Staatsfernsehen. Etwa 500.000 Tickets sollen für die Wettkämpfe schon verkauft worden sein, sagt das russische Regierungsmitglied Dmitri Kosak. Täglich werden Fakten über die neue Barrierefreiheit von Sotschi verbreitet. Gute Nachrichten für das IPC, findet Philip Craven. Und für Wladimir Putin.