: Das Märchen des Krautrock
Das Geheimnis des Krautrock: Es muss in der Sounds gewesen sein in den Mittsiebzigern, dass sich ein Rezensent gekränkt darüber beschwerte, dass Guru Guru bei einem ihrer Konzerte noch nicht mal eine anständige Version des Chuck-Berry-Klassikers „Johnny B. Goode“ hinbekommen hätten, und das obwohl Guru Guru doch eine der 1.) schon am längsten operierenden und 2.) beliebtesten deutschen Rockbands seien.
Aber sie konnten es halt trotzdem nicht.
Was man als Gebrechen hören kann. Oder man hört Guru Guru als eine Other-abled-Musik, bei der Berry und flotter Rock nicht zur Kernkompetenz gehören.
Faust, so eine Art Gral des Krautrock, haben sich gar nicht erst an Chuck Berry versucht. Und wenigstens am Anfang ist die Legendengeschichte von Faust vor allem auch die Geschichte des Uwe Nettelbeck, der, des großbürgerlichen Feuilletons überdrüssig geworden und von der Popmusik angefixt, der Band einen Plattenvertrag bei Polydor und einen Rückzugsort auf dem Land in Wümme besorgte, wo die Musiker machen durften, was sie wollten und zu jeder Zeit, weil immer ein Toningenieur im eigens eingerichteten Tonstudio bereit stand für die Aufnahmen. Gleich mit ihrem ersten Album präsentierten Faust 1971 ein musikalisches Kauderwelsch aus Pop-Bruitismus, selbstgebastelter Neuer Musik und Irgendwie-Rock, so irr und so wirr, dass man das damals einfach nicht verstehen konnte, wieso ausgerechnet so was von Uwe Nettelbeck als die Zukunft verkauft werden wollte und als das neue Ding aus Deutschland.
Was in Deutschland damals keiner haben wollte. Aber diese Other-abled-Musik war das neue Ding aus Deutschland, bald Krautrock genannt. Und mit Respekt gehört vor allem in Großbritannien, wo man ja genug Bands hatte, die notfalls auch ihren Chuck Berry korrekt können. Kein Zufall auch, dass diese Musik aus dem bereits peripheren Rockland Deutschland dort vor allem in der Abgeschiedenheit hinter den Bergen bei den Zwergen erprobt wurde. Auf dem Land. In Wümme Faust. Guru Guru im Odenwald. Kraan auf dem Gut Wintrup im Teutoburger Wald. Michael Rother, der Gitarrist von Neu!, auch so ein Gral des Krautrock, im Weserbergland.
Und weil der Krautrock eines der schöneren Märchen der Popgeschichte ist (oder weil der in der Wirklichkeit nie Hitparadenmusik war mit gesicherter Gewinnausschüttung), spielen die Musiker noch heute. Beim Krautrockangriff auf die Gegenwart in dieser Woche zum einen Faust am Dienstag im Festsaal Kreuzberg und zum anderen Michael Rother, der am Donnerstag im Admiralspalast mit Freunden wie dem Sonic-Youth-Schlagzeuger Steve Shelley die Neu!-Nummern reaktiviert. THOMAS MAUCH