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: Zerstört die dreckigen Dinge!

Cristina Nord ist in Venedig, wo der neue Film des thailändischen Regisseurs Apichatpong Weerasethakul bezaubert

„Wofür steht DDT?“, fragt Dr. Tei, die junge Ärztin. „Das Pestizid?“, fragt Dr. Nohng zurück. Die beiden sitzen im Sprechzimmer von Dr. Tei, von Dr. Nohng sieht man nur den Rücken, er scheint sich einem Eignungstest zu unterziehen. Hinter Dr. Tei stehen die Fenster offen, sie geben den Blick frei auf das luftige Grün von Baumkronen. Nachdem er eine Weile gezögert hat, antwortet Dr. Nohng schließlich auf Englisch: „Destroy dirty things.“

Dr. Tei und Dr. Nohng sind zwei Figuren in Apichatpong Weerasethakuls Wettbewerbsbeitrag „Sang Sattawat“ („Syndromes and a Century“). Der Film ist in zwei Teile gegliedert; der erste spielt in einem Krankenhaus auf dem Land, der zweite in einem Krankenhaus in der Stadt; zum Teil kommen Ärzte, Patienten und Szenen, mit denen man im ersten Teil Bekanntschaft schließt, auch im zweiten Teil vor. Es sind die gleichen Gespräche und die gleichen Figurenanordnungen, geändert haben sich die Räume und die Kameraperspektiven. Sah man im ersten Teil von Dr. Nohng nur den Rücken, sieht man ihn jetzt von vorne, während nun die Ärztin der Kamera den Rücken zukehrt. Wieder lautet seine Antwort: „Destroy dirty things.“

„Sang Sattawat“ verschränkt viele Motive aus dem bisherigen Oeuvre des thailändischen Filmemachers. Die Art, wie die Erzählungen der Figuren mäandern, erinnert an den halbdokumentarischen Debütfilm „Mysterious Object at Noon“ (2002). Die Teilung in zwei miteinander verbundene Hälften ist aus „Tropical Malady“ (2004) bekannt, und das Sujet der Krankheit, das sich diesmal durch den Schauplatz Krankenhaus wie von selbst ergibt, lieh „Tropical Malady“ den Titel und prägte schon „Blissfully Yours“ (2002). Darin litt ein junger Mann an einer Hautkrankenheit, die zu kurieren kein Arzt in der Lage war. Weerasethakul verbindet diese Motive und Sujets so, dass etwas Eigenständiges erwächst, etwas, das in seiner rätselhaften Schönheit an die seltene, wilde Orchidee erinnert, um die es in einem der Erzählstränge von „Sang Sattawat“ geht. Der Orchideensammler, der sie in einer Baumkrone erspäht, erklärt, dass viele Blumenliebhaber sie der wuchernden Luftwurzeln wegen hässlich finden. „Es scheint ihr an Form und Ordnung zu mangeln“, sagt er. Doch sie leuchtet, fährt der Orchideensammler fort, im Dunkeln. Um die Schönheit von „Sang Sattawat“ ist es ähnlich bestellt. Auch sie speist sich nicht aus geläufigen Kinoordnungen und -formen, auch sie hat, wo die Figuren ihre Erzählungen frei fließen lassen, etwas Wucherndes. Sie speist sich darüber hinaus aus dem Grün der ersten, auf dem Land spielenden Filmhälfte und aus dem Weiß der Krankenhausgänge in der zweiten Hälfte, aus der Güte und der Freundlichkeit, mit denen die Figuren einander begegnen, aus der Muße, die es schafft, ihnen in ihren Momenten der Muße zuzuschauen, aus den Einstellungen, die länger dauern als üblich und dadurch das Auge zur Versenkung einladen, schließlich aus den kleinen Schrullen, denen oft eine leichte Melancholie innewohnt.

„Sang Sattawat“ ist Teil eines ehrgeizigen Projekts namens „New Crowned Hope“, das sich von Mitte November an in Wien in Form eines großen Festivals materialisieren wird. Angesiedelt ist es im Rahmen des Wiener Mozartjahrs, geleitet wird es von Peter Sellars. Neben Theater-, Opern- und Tanzaufführungen sind sechs Langfilme und ein Kurzfilm in Auftrag gegeben worden. Die Aufgabe bestand nicht darin, sich in den Filmen unmittelbar auf Mozart und dessen Werk zu beziehen; stattdessen ging es darum, die Lebensumstände und Leitmotive jener Zeit aufzugreifen und deren Nachhall in der Gegenwart zu erforschen. Von den geförderten Filme war einer, das Debüt der paraguayischen Regisseurin Paz Encinta, „Hamaca Paraguya“, in Cannes zu sehen, in Venedig werden nun neben Weerasethakuls Arbeit noch vier weitere gezeigt: „Hei yan quan“ („Ich möchte nicht alleine schlafen“) von dem taiwanischen Regisseur Tsai Ming-liang, Garin Nugrohos indonesische Version des Ramayana-Epos, „Opera Jawa“, Mahamat-Saleh Harouns „Daratt“ („Trockene Jahreszeit“) aus dem Tschad und schließlich der Kurzfilm „Sekalli Le Meokgo“ („Meokgo und die Stockkämpfer“) von Teboho Mahlatsi aus Südafrika. Sollten diese Filme an die Schönheit von „Hamaca paraguya“ und „Sang Sattawat“ heranreichen, muss man sich um die diesjährige Mostra keine Sorgen mehr machen. CRISTINA NORD