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Archiv-Artikel

Falscher Krieg, falsches Wort

Mit dem Begriff „Islamo-Faschismus“ reduzieren Bush & Co. die komplexen politischen Realitäten in den muslimischen Ländern auf die schlichte Formel: Wir gegen sie

„Islamo-Faschismus“ schützt die Neocons vor harschen Urteilen über das Resultat der US-Invasion im Irak

Wer die Worte kontrolliert, beherrscht die Debatte. Also wird der Slogan vom „Krieg gegen den Terror“ nun entsorgt, da die Politik der Bush-Regierung im Nahen und Mittleren Osten in blutigem Chaos versinkt. Stattdessen heißt es jetzt „Krieg gegen den Islamo-Faschismus“.

Dieser Ausdruck existiert schon eine ganze Weile. Als Erster verwendete ihn der Publizist und Historiker Malise Ruthven im Londoner Independent in den 90ern, um die Diktaturen in der muslimischen Welt zu beschreiben. Nach dem 11. September 2001 übernahmen Neocons und Bellizisten wie Christopher Hitchens den Begriff – und meinten damit so ziemlich alle muslimischen Bösewichte, von Bin Laden bis zu den iranischen Mullahs. Richtig populär ist der Ausdruck allerdings erst seit kurzem. George W. Bush fühlte sich neulich durch den geplanten Flugzeuganschlag britischer Islamisten daran erinnert, dass sich „unsere Nation im Krieg gegen islamische Faschisten befindet“. Der demokratische Senator Joe Lieberman verglich den Krieg im Irak mit dem Spanischen Bürgerkrieg vor 70 Jahren, der auch „Vorbote des Folgenden“ war, nämlich eines noch größeren Krieges.

Der Wechsel des Slogans mag pedantischen Zeitgenossen sogar gefallen, die es intellektuell immer etwas problematisch fanden, Krieg gegen eine Taktik, nämlich Terrorismus, zu führen. Ganz zu schweigen von denen, die sich wunderten, warum Terrorismus das Problem und der Krieg gegen Irak die Lösung sein sollte. – Präsident Bush antwortete übrigens am 21. August auf die Frage eines Journalisten, was „der 11. September mit dem Irak zu tun“ hatte: „Nichts“. Das sagt er uns jetzt!

Nun, was ist falsch am Begriff „Islamo-Faschismus“? Der italienische Faschismus, der deutsche Nationalsozialismus und die faschistischen Bewegungen im Europa der 20er- und 30er-Jahre waren chauvinistisch, säkular und eng mit Kapitalinteressen verknüpft. Ihr Ziel waren mächtige, moderne Staaten. Es gab auch antimoderne Elemente – etwa Mussolinis Retrobegeisterung für das alte Rom oder die Faszination der Nazis für die nordische Mythologie. Aber das ändert nichts daran, dass der Faschismus im Kern modern, bürokratisch und rational war.

Es gab keinen faschistischen Führer, der in der Bibel nachschaute, um zu ergründen, wie das Bankensystem, das Strafgesetzbuch oder die Modeindustrie auszusehen hatte. Sogar der Antisemitismus der Nazis war „wissenschaftlich“. In ihrer Ideologie waren die Juden genetisch minderwertig, was zahllose Biologen, Anthropologen und Mediziner zu beweisen suchten. Das religiöse Motiv, dass die Juden Christus ermordet hatten und den wahren Glauben nicht anerkannten, spielte indes keine Rolle. Auf die Gefahr hin, etwas kleinlich zu wirken: Die schlimmsten Verbrechen der Neuzeit wurden von modernen Politikern geplant und durchgeführt – und der Begriff „Faschismus“ sollte für diese Ära und diesen historischen Kontext reserviert bleiben.

Der zweite Einwand gegen die Vokabel „Islamo-Faschismus“ ist wichtiger. Der Begriff meint eine Vielzahl von höchst unterschiedlichen Staaten, Bewegungen und Organisationen, suggeriert aber, dass wir es, wie beim Faschismus, mit etwas klar Umrissenem zu tun haben. Die Neocons aber haben Saddam Hussein und die syrische Baath-Partei als islamo-faschistisch charakterisiert. Doch diese säkularen, nationalistischen Tyranneien haben mit geheimnisumwitterten, fundamentalistischen Gruppen wie al-Quaida nichts gemein – das hat sogar George W.Bush inzwischen begriffen.

Die Taliban wiederum sind ziemlich verschieden von den Mullahs im Iran, die wiederum anders und sogar weniger repressiv sind als das Regime unseres Verbündeten in Saudi-Arabien. Ja, wer sind denn derzeit die „Islamo-Faschisten“ in Saudi-Arabien – die Regierung oder ihre fanatischen-religiösen Gegner? Immerhin sorgt dieses Regime dafür, dass Frauen nicht Auto fahren dürfen, dass nichtmuslimische Religionen verboten sind und dass der Wahhabismus, die „islamo-faschistische“ Konfession, in die ganze Welt exportiert wird.

„Islamo-Faschismus“ ist ein Gefühlsbegriff, der uns dazu bringen soll, weniger zu denken und mehr Angst zu haben. Er reduziert die verwirrend komplexen, politischen Realitäten in den muslimischen Ländern auf ein simples Schema: Wir gegen sie. Und er suggeriert, wie diese Auseinandersetzung enden muss: mit einem Krieg, wie damals gegen Hitler. Wer bezweifelt, dass jeder junge britische Muslim bereit ist, sich für Allah in die Luft zu jagen, wer bezweifelt, dass es notwendig ist, unsere Verfassung zu zerschreddern, um uns vor Selbstmordattentätern zu schützen, oder wer glaubt, dass die Hamas vielleicht weniger populär wäre, wenn es den Palästinensern besser ginge – der betreibt Appeasement. Er ist ein Wiedergänger des unglückseligen Neville Chamberlain. Und George W. Bush darf in diesem Bild die Rolle von Franklin Delano Roosevelt spielen.

Präsident Bush auf die Frage, was „der 11. September mit dem Irak zu tun“ hatte: „Nichts“!

„Islamo-Faschismus“ schützt, nebenbei, die Neocons vor den harschen Urteilen über das Resultat der US-Invasion im Irak. Denn in dem Konzept des „Islamo-Faschismus“ schrumpft das fortwährende Debakel im Irak zu einer zweitrangigen Episode der Großen Erzählung vom unserem Kampf gegen das Böse. So gesehen ist plötzlich nur noch ein Detail, dass Saddam Hussein gar keinen Kontakt mit den Attentätern des 11. 9. hatte und auch keine Massenvernichtungswaffen, die Israel und die USA hätten fürchten müssen. Saddam hasste die Freiheit – das war Grund genug, um einen Angriffskrieg vom Zaun zu brechen. Ebenso zweitrangig erscheint im Konzept des „Islamo-Faschismus“, dass Sunniten und Schiiten derzeit im Irak wenig Interesse zeigen, sich in der islamischen Umma zu vereinen – und sich stattdessen gegenseitig massakrieren.

Wer an den „Islamo-Faschismus“ glaubt, soll so viel Angst haben, dass er kaum fragen wird, warum wir weiterhin ausgerechnet Leuten trauen sollen, die für den spektakulärsten politisch-militärischen Misserfolg der USA in den letzten 30 Jahren verantwortlich sind. Und er soll ertragen, dass wir diese Fratzen weiterhin auf dem TV-Bildschirm sehen, in der zweiten Staffel der gleichen Serie – mit neuer Mission: Auf nach Teheran! „Islamo-Faschismus“ ist ein Angstbegriff, mit dem die Republikaner die liberalen „Security Moms“ zurückgewinnen wollen. Die haben 2004 meist Bush gewählt, neigen inzwischen aber den Demokraten zu. Dies ist das innenpolitische Kalkül.

Ziemlich sicher ist aber, dass der Begriff „Islamo-Faschismus“ auch noch jene Muslime gegen uns aufbringen wird, die uns noch nicht hassen. Der Begriff „Islamo-Faschismus“ verbreitet einen ideologischen Nebel, in dem verschiedene Konflikte und Orte – Libanon, Palästina, Selbstmordattentäter. Afghanistan und Irak – verschwimmen. Nötig ist das exakte Gegenteil – nämlich klar die Unterschiede zu erkennen und entsprechend zu handeln. KATHA POLLITT

Übersetzung: Stefan Reinecke