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Archiv-Artikel

„Wir drücken uns zu oft herum“

Vize-Fraktionschef Jürgen Trittin verlangt deutlichere Oppositionsarbeit von den Grünen und erklärt, warum er Ampelspiele für unrealistisch hält: „Wenn man an die Macht will, heißt das Rot-Grün“

taz: Herr Trittin, Sie lehnen sich neuerdings mit viel Kritik an Ihrer Fraktionsspitze aus dem Fenster. Vor dieser Fraktionsklausur bemängelten Sie die Tagesordnung …

Jürgen Trittin: Wenn ich heftige Kritik übe, sieht das anders aus. Es geht um ein gemeinsames grünes Problem. Es geht um unsere Wahrnehmbarkeit. Die Union ist in ein Umfragetief gerauscht, die SPD befindet sich schon lange darin. Davon profitieren derzeit aber vor allem FDP und Linkspartei. Wir müssen unsere Wahrnehmbarkeit schärfen – zum Beispiel mit dem klaren Ja zu einem gesetzlichen Mindestlohn im Wahlprogramm. Beim Koalitionsstreit um die Gesundheitsreform und die Privatversicherungen wäre es an uns, für die Bürgerversicherung zu streiten. Die wollte ja auch die SPD kürzlich noch. Die Bürgerversicherung, die wir fordern, bedeutet im Kern die Abschaffung der Privilegien der privaten Krankenkasse. Aber dies so deutlich zu sagen, darum drücken wir uns zu oft herum.

Sind die Grünen mehr mit schwarz-gelb-rot-rot-grünen Koalitionsoptionen als mit der aktuellen Innenpolitik beschäftigt?

Ich bin ganz zufrieden damit, dass das Sommertheater um die Koalitionsmöglichkeiten der Grünen, das völlig losgelöst war von politischen Inhalten, nicht fortgesetzt wurde. Die Mehrheit der Diskutanten war hier wie ich der Meinung, dass diese Debatte insbesondere für den Berliner Wahlkampf schädlich war.

Mit dem Theater hat die Fraktionsführung aber nicht angefangen.

Nein, das war das Verdienst von Joschka. Aber die Debatte wurde nicht mit dem genügenden Nachdruck eingefangen.

Aber ist es nicht schon seit Beginn der Legislaturperiode Konsens, dass nun nach anderen als rot-grünen Machtoptionen gesucht werden soll?

Wenn ich eine Koalitionsdebatte führe, dann unter zwei Aspekten: Erstens muss der Zeitpunkt stimmen. Für den aktuellen Wahlkampf in Berlin gilt, dass wir hier stärker werden wollen als die Linkspartei und dafür die rot-grünen Wechselwähler holen müssen. Die aber wählen SPD, wenn wir Richtung CDU oder FDP blinken. Zweitens muss es eine Rückkopplung zu den Inhalten geben. Und wenn ich die Dreierkonstellationen schwarz-gelb-grüne Schwampel, rot-gelb-grüne Ampel oder Rot-Rot-Grün vergleiche, sprechen für die Schwampel immer die schlechtesten Argumente – ob bei Umwelt und Energie, ob bei Arbeit und Soziales. Immer heißt es zwei zu eins gegen Grün.

Wann sollen sich die Grünen dann um die Öffnung zu anderen Parteien kümmern?

Bei keiner der Landtagswahlen in den kommenden Jahren – Bremen, Niedersachsen, Hessen, Bayern – wird es zu einer Dreier-Konstellation kommen, sondern zur Wahl stehen jeweils Zweier-Konstellationen. Da sollten wir sofort aufhören, die FDP schönzureden, weil wir so bloß die SPD-Wechselwähler verschrecken. Weiterhin ist bei den meisten dieser Wahlen wahrscheinlicher, dass die Union sich für die FDP als für uns entscheidet. Also, wenn man an die Macht will, heißt das Rot-Grün. Das ist die Realität.

Hat die neuerdings wieder besonders starke Betonung des grünen Markenkerns „Umwelt“ damit zu tun, dass die Grünen sich auf erzielten Erfolgen ausruhen, das Sozialthema umschiffen und so eine Rechts-links-Debatte vermeiden wollen?

Nein. Sollen wir unseren Markenkern etwa aufgeben? „Weg vom Öl“ ist kein Ausruhen, sondern ein dringend notwendiges Konzept – und weltweit brennend aktuell. Das Ökothema stagniert nicht. Wir brauchen neue Aktivitäten, um Konsequenzen aus den neuen Erkenntnissen zu ziehen, was den Verlust von Gletschern und von Mooren angeht. Die Warnungen der Klimaforschung waren und sind keine Schwarzmalerei, sondern eher beschönigend gewesen. Wir haben darauf einige Antworten, aber wir brauchen auch neue. Doch, die Grünen sind hierfür besser aufgestellt als alle anderen.

Und was ist nun an den Gerüchten dran, Sie wollten noch mehr werden als bloß Vize-Fraktionschef?

Nach dem Parteitag im Dezember wird die Parteispitze dieselbe sein wie jetzt. Und auch die Fraktionsspitze wird nächstes Jahr im Amt bestätigt werden.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN