: Es grünt wieder
Zurück zu den Wurzeln heißt das sehr einfache Rezept der Grünen, um endlich in der Opposition anzukommen
AUS ROSTOCKULRIKE WINKELMANN
Grün wollen sie wieder werden, grasgrün, froschgrün, grüngrün. Von allen Seiten schieben die grünen Partei- und Fraktionsspitzen das Thema Ökologie ganz nach vorn – gestern auf der Klausurtagung der Bundestagsfraktion in Rostock, ab heute auf dem Zukunftskongress in Berlin. „Die Umweltpolitik nimmt an Gewicht zu“, erklärt Parteichef Reinhard Bütikofer. „Das Thema erfasst jetzt neue Bevölkerungskreise, das ‚Weg vom Öl‘, das wir lange betreiben, ist inzwischen ein Leitbegriff.“ Deutschland, sagt Fraktionschefin Renate Künast am Ende der Rostocker Klausur im Sitzungssaal – in der Mitte ist ein kleiner Rasen mit blühenden Sonnenblümchen ausgerollt –, „soll bei der Klimapolitik weiter Vorreiter bleiben und 2007 zum Energiewendejahr machen“. 2007 hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne und sitzt dem G-8-Gipfel vor.
Der Plan sieht ungefähr so aus: Die Grünen behaupten sich in der Opposition mit ihrer Kernkompetenz, und wer immer über das Thema der Zukunft reden will, wird sich an grünen Vorgaben und Vokabeln orientieren müssen. Öko ist auch zu allen anderen Parteien hin anschluss-, sprich koalitionsfähig. Und nicht zuletzt lässt sich so auch der kaum zu haltende Spagat zwischen ehemaligem Regierungshandeln und Visionenformulieren vermeiden – das Dilemma, das die kleinste Oppositionspartei vor allem bei Wirtschafts- und Arbeitsmarktthemen noch immer täglich einholt. Es ist einfach problematisch, an einem Tag Nachbesserungsvorschläge zum jüngsten Hartz-IV-Nachbesserungsgesetz der großen Koalition vorzulegen, dabei erneut die leidige Arbeitsmarktreform zu verteidigen – und am nächsten Tag eine neue Debatte über Grundsicherung und Grundeinkommen zu veranstalten.
„Ich kann mich nicht mehr blöd stellen“, sagt Renate Künast, Exministerin, jetzt Fraktionschefin, beim Klausur-Abendessen im Rostocker Ratskeller. Es sei eben ein anderes Opponieren, wenn man einmal regiert habe. Man wisse zu viel über Kompromisszwänge. Dies lässt sich auch als Hintersinn des neuen Titels der eigenen Arbeit verstehen: „Opposition plus“ wäre dann nicht nur die Behauptung, mehr zu leisten als FDP oder Linkspartei. Das „Plus“ wäre auch der stetige Bezug zu den Kompromissen und Demütigungen von sieben Jahren Rot-Grün. Das saugt an den wichtigsten Ressourcen der Opposition, Glaubwürdigkeit und Leidenschaft.
Zwischen allen Zwängen jedoch, finden die Grünen, haben sie sich die meisten Sporen mit Atomausstieg, erneuerbarer Energie & Co. geholt. Deshalb können sie sich auf diesem Feld sogar die sonst so bitter vermisste Selbstkritik und Vergangenheitsbewältigung leisten. Im Auftrag des Bundesvorstands hat Reinhard Loske für den Zukunftskongress ein Papier erarbeitet, das hierzu „wenig zu wünschen übrig lässt“, wie er meint – und das die Umweltpolitik neu fassen will. Loske hatte im vergangenen März nach einer Abstimmungsniederlage gegen den Ex-Umweltminister Jürgen Trittin seine Ämter als Fraktionsvize und Chef-Umweltpolitiker der Fraktion hingeworfen und erklärt: „Als Ökologe fühlt man sich bei den Grünen mittlerweile ziemlich einsam.“
Jetzt veranstaltet er einen Rundumschlag: Erstens „führt die Selbstbeweihräucherung, die Überhöhung der eigenen Regierungszeit nicht weiter“. Zweitens hätten die Grünen ihren ökologischen Schwung zu sehr beim Herunterbrechen aller Umweltthemen ins kleinste technische Detail gebremst. Drittens, wichtigstens: „Was fehlt, ist der Mut, die Radikalität des Themas wieder zu benennen, statt immer zu fürchten, man werde nicht mehr ernst genommen“, so Loske. Parteichef Bütikofer stimmt zu. „Wir können und sollten in der Umweltpolitik neue Aufschläge machen.“ Die Grünen hätten im ganzen Bereich Verkehr/Mobilität „Einsichten noch nicht so gut mit Strategien verbunden wie etwa bei den erneuerbaren Energien“.
Ob sich der Rest der Grünen des neuen, alten Themas annimmt? Ein jüngst aus Bundestag und Fraktion ausgeschiedener Haudegen ist skeptisch. „Die Ökologie ist zwar unsere Hausmarke“, sagt Werner Schulz. „Aber mit der Öko-Selbstdarstellung kommen wir nicht voran. Da haben wir schon den Durchblick, da geht es bloß noch um Vermittlung.“ Mit dem Umweltthema drohe politische Stagnation. Um Idealismus zurückzugewinnen, so Schulz, „dürfen wir die soziale Frage nicht offen lassen“.