: Die schöne Vulva
VOLLKOMMENHEIT Eine neue chirurgische Methode hilft beschnittenen Frauen, sich das versehrte Geschlecht so rekonstruieren zu lassen, dass zumindest die sichtbaren Folgen verschwinden
VON SYBILLE BIERMANN (TEXT) UND BERND HARTUNG (FOTO)
September 2012 sei es gewesen, erzählt Amina Mbaye*. Sie saß im ICE von Frankfurt nach Aachen. Über ihre Kopfhörer liefen Lieder aus dem Senegal. Sie wollte ihre Muttersprache hören, um besser nachdenken, sich besser erinnern zu können – an den Tag, als sie beschnitten wurde. So werde sie zur Frau, hieß es. Und sie wollte an den Tag denken, an dem sie entschied, ihre zerschnittene Vulva chirurgisch wieder rekonstruieren zu lassen – um für sich selbst zu bestimmen, was Frausein heißt.
Eineinhalb Jahre später, im Januar 2014, erzählt sie das. Mbaye sitzt in ihrem Wohnzimmer. Den hellen Raum hat ihr Mann mit Möbeln aus der Heimat einrichten lassen. Das rötliche Holz ist grob gezimmert. „Da bestand er darauf, sie wurden extra angefertigt und hierher geschifft“, erzählt sie, als wolle sie sich für den Aufwand entschuldigen. Über der Kommode hängt ein Familienportrait, auf dem Tisch neben der Couch liegt ein Buch über die Geschichte der Sklaverei.
Sie sei damals alleine nach Aachen gefahren. Ihr Mann Tidiane blieb zu Hause, kümmerte sich um ihre zwei Söhne. 11 und 15 Jahre sind sie alt. Als sie ein Jahr zuvor erfahren hatte, dass es die Chance gibt, ihre versehrten Geschlechtsteile doch wiederherzustellen, erfolgreich, so, dass sie sie spüren kann, hatte sie sich gefühlt, „als wäre ich durch ein Labyrinth geirrt auf dem Weg zu mir selbst. Und plötzlich war da eine Tür.“
Ein plastischer Chirurg an der Uniklinik Aachen, Dan mon O’Dey heißt er, hat vor fünf Jahren eine Methode entwickelt, die Klitoris sowie die Labien so zu rekonstruieren, dass nicht nur die Nerven intakt sind, sondern auch die ursprüngliche Form der Vulva wiederhergestellt werden kann. Anders als bei seiner Methode wurde bisher nur die Klitoris rekonstruiert. Narbengewebe und Labien wurden nicht berücksichtigt und die Wiederherstellung des anatomisch normalen Genitals daher nicht erreicht. 300 Frauen wurden bisher von O’Dey operiert. Am Luisenhospital Aachen baut er derzeit als leitender Chefarzt das „Zentrum für Rekonstruktive Chirurgie weiblicher Geschlechtsmerkmale“ auf.
Zerstörung
Amina Mbaye kann sich noch gut an ihre Beschneidung vor mehr als vierzig Jahren erinnern. Sie schlägt die Beine übereinander und fährt mit den Fingernägeln immer wieder über den Stoff ihrer schwarzen Hose. Man hat ihr den von außen sichtbaren Teil der Klitoris, die Klitorisspitze mit der Vorhaut, entfernt, auch die inneren Labien wurden beschnitten. „Typ 2“, sagt sie, das ist die offizielle Klassifizierung für Mädchenbeschneidung der Weltgesundheitsorganisation. Fünf Jahre alt war sie.
Aufgewachsen ist Amina Mbaye bei ihrer Tante in einer Stadt nahe Dakar. In der Region wird eigentlich nicht beschnitten. Das erfährt Amina erst, als ihre Schulfreundinnen über Mädchenbeschneidung lästern. „Das fühlte sich komisch an“, sagt sie und es warf Fragen auf. „Die machen das nicht? Aber das ist doch normal?“
Körperliche Beschwerden wegen der Beschneidung bleiben ihr – im Gegensatz zu vielen der laut Unicef 125 Millionen Frauen und Mädchen, die mit den Folgen des Eingriffs leben müssen – erspart. Auch ihre Söhne bringt sie natürlich zur Welt. Dass ihre Periode sehr stark war, daran erinnert sie sich. Und daran, dass sie erst spät Sex hatte, obwohl sie nicht so streng aufwuchs.
Sie habe, erzählt sie, während der Zugfahrt nach Aachen auch an die Zukunft gedacht. Wie es wohl sein wird nach der Rekonstruktion? Doktor O’Dey wird aus den verblieben Klitorisanteilen eine neue Klitorisspitze und Vorhaut formen, damit sie besser empfinden kann und damit es nicht mehr weh tut. Der sichtbare Teil der Klitoris macht nur ein Zehntel des Organs aus, das bis zu 8.000 Nerven- und Sinneszellen hat. Auch Mbayes rechte innere Labie, die von der Beschneidung zerrissen war, soll rekonstruiert werden. Ihr wurde gesagt, dass die Spuren der Beschneidung verschwinden werden. Zumindest die sichtbaren.
Mbayes jüngerer Sohn stürmt ins Wohnzimmer, um sich die Fußballklamotten zu holen. Da wird sie plötzlich leiser und achtet auf ihre Worte. Die Kinder wissen nicht, dass ihre Mutter beschnitten ist. „Ich habe ihnen erzählt, dass ich wegen Bauchschmerzen operiert werden müsse.“ Da hätten sie sich Sorgen gemacht. Sie beruhigt die Kinder, sagt ihnen, dass der Papa des Arztes, der sie operiert, sogar aus Nigeria sei. Das habe ihnen Sicherheit gegeben, obwohl beide doch in Deutschland geboren sind. Sie selbst habe es auch beruhigt. So, als wäre sie bei einem afrodeutschen Arzt weniger verloren.
Von der neuen Rekonstruktionsmethode hatte Mbaye bei einem Gynäkologen, Doktor Zerm, gehört, der sie und andere betroffene Frauen in einer Beratungsstelle in Frankfurt berät. Während sie noch im Wartezimmer saß, sei eine Frau nach der anderen mit einem Strahlen aus dem Arztzimmer gekommen. „Als hätten sie etwas gewonnen.“ Das Bild bringt Mbaye auch jetzt noch zum Lachen. „Normalerweise ist es deprimierend, über Beschneidung zu sprechen.“
Mit Gynäkologen haben die meisten der betroffenen Frauen schlimme Erfahrungen gemacht. Bestenfalls wurde ignoriert, dass die Beschneidung sichtbare Spuren hinterlassen hat. Das hat Amina bei ihrem letzten Arzt erlebt. Sie habe ihn irgendwann angesprochen, ob ihm denn gar nichts aufgefallen ist. Doch schon, aber das sei halt Kultur und das respektiere er. „O.K.“, dachte sie, „aber wie soll ich dann selbst damit umgehen, wenn ich das Gefühl vermittelt bekomme, dass ich meinen Arzt mit meiner Geschichte belaste?“
Im schlimmsten Fall ist so ein Arztbesuch sogar erniedrigend. Das hat sie auch schon erlebt. Eine Ärztin verzog beim Anblick ihres Geschlechts das Gesicht. Mbayes Körper geht noch heute in Abwehrhaltung, wenn sie davon erzählt. Als zöge ihr die Erinnerung die Schultern zur Brust. „Alles in mir schrie ‚Nein‘, als sie zwischen meine Beine ging“, erinnert sie sich. Sie verkrampfte sich. „So kann ich nicht arbeiten“, schrie die Ärztin.
Zu Doktor O’Dey dagegen gewinnt Mbaye schnell Vertrauen, und sie entscheidet sich ohne zu zögern, die Rekonstruktion durchführen zu lassen. Die anderen Frauen aus der Gruppe sind froh, sie schicken sie vor, „mach du mal“, und wenn es gut läuft, dann machen sie es auch. „Die sind so unfair!“ lacht Mbaye und wirft ihren schwarzen Haarknoten in den Nacken. Aber egal, die Rolle des Opfers stünde ihr nicht.
Ihr Mann unterstützt ihren Plan, sich operieren zu lassen. Die beiden lernten sich in ihrem ersten Jahr in Deutschland kennen, in einem Sprachkurs vor dem Studium. Soziologin ist sie.
Auch ihr Mann kommt aus einer Region, in der Mädchenbeschneidung praktiziert wird. Dass sie ihm nie viel erklären musste, war ihr Glück, denn beim Sex hatte sie oft Schmerzen. Ihr Klitorisstumpf wurde ganz rot und brannte. Er wusste damit umzugehen, war lieb und geduldig. So konnte sie trotzdem genießen. Aber sobald sie öfter Sex hatten, wurden die Schmerzen zu stark. Das sei auch für ihn nicht schön, dieses Gefühl, ihr Qualen zu bereiten.
Morgens um acht Uhr, und zwei Stunden zu früh, kommt Mbaye in der Uniklinik Aachen an. Das Gebäude sieht seltsam aus, ganz bunt, meint sie. Sonst aber sei alles wie in anderen deutschen Krankenhäusern. Sauber. Hektisch. Funktional. Doktor O’Dey begrüßt sie, dann muss sie warten. Sie sei gelassen gewesen, Panik ob der Ungewissheit – klappt es, klappt es nicht, klappt es – habe sie sich verboten. „Es ist wie mit dem Paradies“, sagt sie, „bisher ist noch keiner zurückgekommen und hat gesagt, ‚hey das ist schön dort, da müsst ihr hin‘.“
An die Zeit vor der OP kann sie sich kaum erinnern. Nur daran, dass sie hungrig war. Zweieinhalb Stunden dauert der Eingriff. Erst abends wacht sie wieder auf. „Nach einer OP ist das immer komisch. Wo ist die Zeit dazwischen?“ Fünf Tage muss sie im Krankenhaus bleiben – in einem Spezialbett, damit die Wunde entlastet wird. „Man kann sich nicht bewegen und ist auf andere angewiesen, das fiel mir schwer.“
Doktor O’Dey hatte sein Team angewiesen, dass sich in seiner Abwesenheit nur zwei Ärzte um sie kümmern, und dass nicht jeder an ihr rumfummeln darf. „Weil das eben so oft passiert, bei betroffenen Frauen, dass jede Krankenschwester schnell vorbeischneit und nur mal eben gucken will.“ Das rechnet sie ihm hoch an, dass er das nicht zugelassen hat.
Als sie sich zu Hause das erste Mal ihre Vulva ansieht, fühlt sie sich fantastisch. Sie findet sie schön und symmetrisch, alles ist wieder da. Die Klitoris ist sichtbar samt Klitorisvorhaut und die Spitze ist auch nicht mehr rot. Auch die kleinen Labien sitzen um die Scheide, als wäre nie etwas gewesen. Sie hat sich mit der OP etwas zurückgeholt, das sie mit „Identität“, mit „Selbstbild“ zu umschreiben versucht, aber auf keinen Fall sei es Würde, betont sie. Die hatte sie schon vorher.
Wiederherstellung
In der Beratungsstelle findet eine Woche später ein Fest statt. Mbaye geht hin. „Und? Wie ist es?“, fragen die anderen Frauen. „Ich sag euch, wenn jetzt bloß ein Wind vorbei weht, habe ich schon einen Orgasmus.“ Schallendes Gelächter, aber so richtig genau wollten die Frauen es eh erst nach ihrem ersten Sex wissen. Zwar hatte Mbaye schnell keine Beschwerden mehr, aber damit hat sie dann doch sechs Monate gewartet. Und als es soweit ist, hat sie keine Schmerzen mehr, dafür mehr Gefühl.
Der Sex jedoch ist nur ein Aspekt, der sie veranlasste, sich operieren zu lassen. Für sie war es eine Entscheidung, die ihr ganzes Leben betrifft, die man nicht auf Sexualität reduzieren kann. Sie sei jetzt glücklicher, entspannter, sagt sie. Das merkt auch ihr Mann. Und die Kinder finden ihre Mutter jetzt netter, so haben sie es ausgedrückt, ohne zu wissen, was eigentlich bei ihr los war. Das will Mbaye ihnen später erzählen.
* Die Namen sind geändert