: Eltern machen Schule
Beim ersten Elternkongress diskutierten Migranten über Erziehungs- und Schulprobleme ihrer Kinder. Für einen wirklichen Austausch über Integrationsfragen fehlte es allerdings an deutscher Beteiligung
VON ALKE WIERTH
Sie müssten doch eigentlich, sie würden aber nicht – dieser Vorwurf sei oft zu hören, wenn über das Engagement von Eltern nichtdeutscher Herkunft für die Bildung ihrer Kinder geredet werde, klagte Safter Cinar vom Türkischen Elternverein beim 1. Berliner Elternkongress am Samstag. Dass es sich dabei wirklich um ein Vorurteil handelt, legt die Anzahl der Vereine, Initiativen, Elternverbände und Beratungsstellen nahe, die sich und ihre Arbeit auf dem Kongress präsentierten.
Fast fünfzig waren es, die sich mit eigenen Ständen auf der Veranstaltung im Abgeordnetenhaus vorstellten. Der Polnische Schulverein „Oswiata“ beispielsweise, der seit zwanzig Jahren muttersprachlichen Unterricht für Kinder polnischer Herkunft anbietet, oder die Kindertagesstätten des „VAK“ (Verein zur Förderung ausländischer Kinder), die seit drei Jahrzehnten deutsch-türkische Vorschulerziehung anbieten – beides sind Elterninitiativen. Der Frauenverein „Al-Nadi“, der Eltern arabischer Herkunft bei Erziehungs- und Schulproblemen berät, die „Casa de las Culturas de Latinoamerica“, die ebenfalls Elternhilfe anbietet – und dazu viele Initiativen von und mit Eltern, die sich an Schulen, in Kitas, im Kiez engagieren.
Nur deutsche Eltern waren kaum präsent. Der Landeselternausschuss, der im Vorfeld angesprochen worden sei, habe leider kein Interesse an einer Teilnahme gezeigt, berichtete einer der Organisatoren. Die Senatsschulverwaltung war Mitveranstalterin des aus Lottomitteln finanzierten Kongresses – organisiert hatten ihn vor allem Vereine und Verbände von Migranteneltern.
Fast 400 TeilnehmerInnen waren gekommen. Noch nie hätten so viele Eltern unterschiedlichster Herkunft zusammengesessen, um über Bildung und Erziehung zu diskutieren, freute sich Bildungssenator Klaus Böger (SPD) in der Eröffnungsrede: „Und alle sind Berliner!“
Dass deren Probleme sich durchaus nicht immer von denen deutscher Eltern unterscheiden, zeigten die zehn Foren, bei denen Eltern mit Lehrern, Erziehern, Sozialarbeitern und Psychologen diskutierten. Da ging es um den richtigen Umgang mit Medien, um die Frage, wie man Kinder in Schule oder Kita sinnvoll unterstützt, oder darum, wie man das Thema Pubertät bewältigen kann.
„Die Eltern stehen vor den gleichen Problemen, ganz egal, welcher Herkunft sie sind“, so der Sozialpädagoge Lütfi Aglamaz, der mit seiner Kollegin Hatice Ciftci das Pubertäts-Forum betreute: Wie schaffe ich es, in Kontakt mit meinem pubertierenden Kind zu bleiben, wie setze ich dem wachsenden Freiheitsdrang Jugendlicher vernünftige Grenzen? Kulturell bedingt unterschiedlich seien die Antworten, die auf diese Fragen gegeben würden: „Manche türkisch- oder arabischstämmigen Eltern neigen beispielsweise dazu, Mädchen und Jungen dann unterschiedlich zu behandeln“, meint Hatice Ciftci.
Wie falsch es dennoch wäre, Ursachen für Erziehungsprobleme allein in ethnischer Herkunft zu suchen, verdeutlichte Thuy Nonnemann vom Migrationsrat. Sie erinnerte daran, wie nahezu problemlos sich die vietnamesischen Flüchtlingsfamilien, die als „Boat People“ in den Siebzigerjahren in die Bundesrepublik kamen, integrieren konnten: dank guter staatlicher Unterstützungsmaßnahmen und nicht zuletzt viel Wohlwollen in der Bevölkerung. Ganz anders sei dagegen heute die Lage der Vietnamesen, die als ehemalige Vertragsarbeiter der DDR in Deutschland leben: Unsichere Aufenthaltstitel, hohe Arbeitslosigkeit und die Ablehnung seitens der Bevölkerung verursachten dort starke innerfamiliäre Probleme: „Sie schotten sich ab“, sagte Nonnemann. Beratung oder Unterstützung anzubieten werde immer schwerer.
Dass aus Herkunft oder Religion der Eltern keine Rückschlüsse auf deren Erziehungsstil zu ziehen sind, zeigte auch das Abschlussplenum des Kongresses, bei dem die einzelnen Foren ihre Ergebnisse präsentierten. „Wenn wir von unseren Kindern verlangen, uns als Eltern Respekt entgegenzubringen“, meinte da eine kopftuchtragende Mutter unter viel Beifall, „dann müssen wir uns zuerst fragen: Respektieren wir denn unser Kind?“ Vielen DiskussionsteilnehmerInnen war anzumerken, wie neu und ungewohnt es für sie war, Forderungen und Kritik öffentlich zu formulieren. Eins sei jedoch deutlich geworden, resümierte ein Elternvertreter: „Eltern nichtdeutscher Herkunft haben sehr viel Interesse daran, über Bildung und Erziehung zu diskutieren, und ein großes Bedürfnis nach Unterstützung dabei.“
Umso bedauerlicher fanden manche Kongressteilnehmer deshalb, wie wenig Eltern deutscher Herkunft vertreten waren. Ausgeklammert blieben so beispielsweise das Thema der zunehmenden Segregation an Schulen – und die Chance, gemeinsame Initiativen deutscher und nichtdeutscher Eltern dagegen zu entwickeln. 43 Prozent der Berliner Kinder unter sechs Jahren hätten nichtdeutsche Wurzeln, beschwor denn auch Schulsenator Klaus Böger die An- und wohl mehr noch die Abwesenden: Es sei an der Zeit, diese Veränderung der Gesellschaft endlich anzuerkennen. Jedes Jahr werde es einen Elternkongress dennoch nicht geben, erklärten die Veranstalter. Sie wollten zukünftig aber, sagte Safter Cinar, „durch regelmäßige Veranstaltungen das Interesse wach halten“.