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Archiv-Artikel

Der Mainstream ist links

Berlin wird mit Attributen umschrieben, die mit linkem Selbstverständnis einhergehen: tolerant, fortschrittlich, weltoffen. Kaum überraschend versuchen die Parteien zu diesem Image zu passen. Doch was charakterisiert heute noch linke Politik?

von Waltraud Schwab

Links ist, wo der Daumen rechts ist. Millionen Kinder werden mit diesem unsinnigen Spruch gefoppt. Niemand sagt ihnen, ob die Handfläche bei dieser Orientierungsübung nach oben oder unten zeigen soll. Dabei ist dies der entscheidende Faktor.

Links ist, wo der Daumen rechts ist, kann niemals als Anleitung taugen, sich in einer komplizierten Welt zu orientieren, in der es von Bedeutung sein kann, in welche Richtung man geht. Vielmehr ist es ein Spruch, der die Berliner Politik abbildet: Das Label „links“ mag noch relevant sein, die Richtung aber changiert, je nachdem wie die Hand gehalten wird.

Natürlich ist die Stadt in der überraschenden Lage, dass es sogleich drei Parteien gibt, denen das Attribut „links“ anhängt und die die Politik nach der Wahl – aller Wahrscheinlichkeit nach – wieder vorgeben werden. Es sind dies SPD und PDS, die die letzten fünf Jahre regierten, sowie die Grünen. Hinzu kommt heute sogar eine neue Partei, die WASG, die sich „linker“ als alle anderen Parteien versteht.

In der Berliner Öffentlichkeit ist die Zuschreibung „links“ nicht verpönt. Im Gegenteil. Dies mag mit dem Respekt vor Leuten wie Rosa Luxemburg oder Karl Marx verbunden sein, deren Renaissance eingeleitet ist. Gefragt, was in Berlin links ist, führt Volker Ratzmann das Recht aller an, ihr Leben selbstbestimmt zu leben, und zitiert dabei selbstredend die 1919 ermordete Sozialistin: „Freiheit ist immer nur die Freiheit des anders Denkenden.“

Viel wichtiger als der direkte Bezug der HauptstadtbewohnerInnen zu den großen politischen Vorbildern ist: Berlin hat das Image, eine fortschrittliche, weltoffene, tolerante Stadt zu sein. Genau diese drei Charakterisierungen verweisen auf typische Interpretationen, die im Links-rechts-Gegensatz eine Rolle spielen. Aus landläufigem Verständnis steht „links“ nämlich für: „egalitär, progressiv und internationalistisch“.

Wenn es heute stattdessen „tolerant, fortschrittlich und weltoffen“ heißt, dann deshalb, weil sich eine lockere Sprache eingebürgert hat. Die Ideen dahinter sind jedoch die gleichen. Vermutlich läge den drei genannten Parteien gar nicht so viel an „links“, wenn es – gespiegelt am Lebensgefühl – in der Berliner Öffentlichkeit nicht letztlich positiv besetzt wäre.

Bleibt die Frage, warum der unsinnige Spruch: „Links ist, wo der Daumen rechts ist“, so gut zur Berliner Politik passt? Er tut es, weil eine Politik des Pragmatismus in der Stadt den Rahmen vorgibt. Am Statement des SPD-Fraktionsvorsitzenden Michael Müller lässt sich dies ablesen: Links sei die „soziale Gerechtigkeit bei aller Konsolidierung“. Die SPD wie alle anderen Parteien, die in der Stadt relevant sind, also auch die CDU und FDP, ordnen die Inhalte dem Finanzierbaren unter. Machbar ist, was finanzierbar ist. In der Folge gilt auch als gerecht, was finanzierbar ist; als sozial, als angemessen und objektiv, was finanzierbar ist. Da die Regierung von zwei Parteien gebildet wird, die sich links einordnen, gilt zudem: Auch links ist, was finanzierbar ist. Dabei verschwindet die Frage, warum Daseinsvorsorge nicht mehr richtig finanzierbar ist, aber die Investorförderung.

Genau diese Politik, die Politik des Machbaren, ist indes nicht mehr fortschrittlich. Sie ist unentschieden, ist mittig. Bestenfalls zementiert sie den Status quo. Von dem Spruch, der dem französischen Ökonomen, Soziologen und Anarchisten des 19. Jahrhunderts Pierre Proudhon zugeschrieben wird – „Seid realistisch, fordert das Unmögliche“ – ist sie meilenweit entfernt. Aber Proudhon soll ja auch gesagt haben: „Parteien sind zum Schlafen da – und zum schrecklichen Erwachen.“ Genau das sollte sich Lucy Redler von der WASG ins Stammbuch schreiben. „Links ist, sich zur Wehr zu setzen gegen eine Politik, die die Reichen reicher und die Armen ärmer macht“, sagt sie. Braucht man dafür eine neue Partei?