PETER UNFRIED über CHARTS
: Im Herz der Gegenkultur

Kalifornisches Tagebuch (V): Auf den Spuren von Creedence Clearwater Revival an der Abzweigung nach Lodi

Ich fuhr von San José kommend Richtung Sacramento, und da kam dann dieses Straßenschild, auf dem stand „Lodi“. Na ja, man ist ja auch nicht immer richtig originell. Das Erste, was mir einfiel, war: „Oh! Lord, I’m stuck in Lodi again.“ Creedence Clearwater Revival (CCR), logisch. Tja, und da lief der Song auch schon im Classic Rock Radio.

Und wer jetzt denkt, das sei jetzt aber ein Zufall oder ganz schlecht erfunden, der soll gefälligst selbst auf der Interstate 5 nördlich von Stockton das Radio einschalten. Ich glaube nämlich, dass „Lodi“ da immer läuft. Vielleicht um die kollektive Erinnerung an die Existenz einer Stadt lebendig zu halten, die vor Erscheinen der CCR-Single 1969 kaum Menschen in der Welt kannten – und vermutlich auch in Lodi nur die wenigsten.

Das Lied ist ganz nett, aber Creedence Clearwater Revival waren eigentlich nie mein Fall. Lodi (sprich: Lo-Dai) wird in dem Lied ja auch nicht auch wirklich zum Besuch empfohlen („I was just passin’ through, must be seven months or more. Oh Lord!“).

Außerdem hatte ich mit Songstädten wie Mendocino (Nordkalifornien) und Amarillo (Texas) schon schlechte Erfahrungen gemacht. Kein Mythos, nix. Ich bog also nicht nach Lodi ab, sondern fuhr schnell weiter. Das heißt: für deutsche Verhältnisse eher langsam (65 mph).

Ein paar Tage später war ich in Berkeley, der Stadt der Gegenkultur. Ging auf den Campus und dann auf die Telegraph Avenue, die Straße der Gegenkultur, wollte zu Cody’s, dem Buchladen der Gegenkultur. 1968, Anti-Vietnam-Krieg, später bebombt wegen Pro-Salman-Rushdie-Aktion usw. Aber Cody’s war nicht mehr da. Hatte gerade seine Telegraph-Dependence zugemacht. Schuld waren laut Presseberichten leider weder Islamisten noch der Präsident. Bloß die ins Netz verlagerten Einkaufswege der Studierenden und die Obdachlosen.

Ich wühlte dann gegenüber bei Amoeba in den Kisten, in denen für einen Dollar pro Platte die Mainstream-Rockgeschichte verramscht wird. Suchte bei A, B, C nach „Surf’s Up“ (vergebens) und hielt dann „Cosmo’s Factory“ in der Hand, das meistgerühmte und bestverkaufte CCR-Album vom Juli 1970.

Hm. Seither höre ich es. Abwechselnd mit Neil Youngs „Let’s Impeach The President“, dieser unglaublichen, aber wahren Wiedergeburt des Protestsongs. Es ergibt keinen Sinn, ich weiß.

CCR waren ganz und gar keine Gegenkulturband. Nicht „politisch“. Eher eine proletarische Hitmaschine. Sänger, Gitarrist und Komponist John Fogerty und seine Jungs kamen aus einer Eastbay-No-Name-Schlafstadt, saßen in einem Lagerhaus in Berkeley (das man auf dem Cover von „Cosmo’s“ sehen kann) und hauten in zwei Jahren (1969/70) die meisten ihrer zwölf Singles raus – fast alle kommerzielle Hits, und zwar auf beiden Seiten. Und Fogertys Titelsong seines Solo-Comeback-Albums „Centerfield“ (das Centerfield ist das Zentrum des Baseballplatzes) aus den 80ern wird in den Baseballstadien so regelmäßig gespielt wie die Nationalhymne – und in etwa auch zum gleichen Zweck, der Huldigung des Patriotismus und des Baseballs, was in der Regel ein und dasselbe ist.

Warum fange ich 2006 an, CCR zu hören – die 1968 auf die Zeiten von Mark Twain zurückblickten statt nach vorn? Aus der Sekundärliteratur erfuhr ich, dass Fogerty eine Spannung ausdrückte im Verhältnis der eigenen Subkultur „zwischen Identifikation und Skepsis“. Dass er aber anders als C, S, N & manchmal Y (Crosby, Stills, Nash (and Young)) nicht davon ausging, dass wir die Welt verändern können.

Während Neil Young einst den Regen (Metapher!) mit Hilfe kollektiver Beschwörung stoppen wollte („No rain, no rain!“), war Fogerty skeptisch: „And I wonder, yes I wonder / who’ll stop the rain?“

Vielleicht ist es einfach so, dass CCR heute noch funktionieren, weil sie in Distanz zu 1968 waren. Und weil sie von einem klaren Bekenntnis zur „Kommerzialität“ angetrieben waren und also übers Ohr funktionieren und nicht über langatmige Kontexterklärungen. Das macht sie zeitlos und damit zum wahren Klassiker.

An diesem Wochenende hörte ich in Berlin den ehemaligen Pariser Studentenführer Daniel Cohn-Bendit mit wedelndem Zeigefinger sein Publikum agitieren. „Wir müssen handeln, damit die Welt sich verändert“, krächzte er unverdrossen. Er hat ja Recht. Wir müssen Europa voranbringen, den Präsidenten absetzen oder aussitzen, die Automobilindustrie und die Grünen zu Veränderungen zwingen und vieles mehr. Und während wir das machen, hören wir „Looking Out My Back Door“.

Das ist nicht zynisch gemeint, im Gegenteil. Was ich (ein letztes Mal) sagen will: Ein Popsong kann einiges. Aber vom Zuhören ist leider noch kein Präsident abgesetzt worden. Hm, das ist jetzt ein bisschen pathetisch geworden. Vielleicht hätte ich doch besser nach Lodi abbiegen sollen.

Fragen zu CCR? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über GESCHÖPFE