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Archiv-Artikel

Wie machen wir’s, Genossinnen und Genossen?

PODIUMSDISKUSSION LeserInnen und GenossInnen der taz diskutieren über die Perspektiven der Anti-Atom-Bewegung. Muss sie in die Mitte der Gesellschaft? Oder muss sie sich radikalisieren? Und was taugen die Grünen noch?

„Wir sind in den Parlamenten nur so stark, wie es die Bewegung ist“

BÄRBEL HÖHN, GRÜNE

Sie können nicht ohneeinander. Aber miteinander können sie auch nicht so recht. Es ist 10.30 Uhr, Samstagmorgen. Die 150 LeserInnen und GenossInnen der taz, die zur Podiumsdiskussion eingetroffen sind, repräsentieren das gesamte Spektrum der Anti-Atomkraft-Bewegung. Mit den Rednerinnen und Rednern fragen sie sich: „Keiner will’s, keiner braucht’s, trotzdem kommt’s: Wie lassen sich die Atompläne noch stoppen?“

Auf dem Podium sitzt Bärbel Höhn, die Umweltstimme der grünen Partei. Außerdem der Vorstand des Onlineportals Campact, Christoph Bautz, Profi in der Mobilisierung von Massen und der Inszenierung von Protestaktionen. Und Hanna Poddig, Buchautorin, Straßenaktivistin, die, die sich auch schon mal an Gleise kettet.

In ihrer Mitte sitzt Bärbel Höhn, die Umweltpolitikerin aus Nordrhein-Westfalen, die heute wieder für den gemeinsamen Kampf antritt. „Wir sind in den Parlamenten nur so stark“, sagt sie, „wie es die Bewegung ist.“ Sie wirbt für den gemeinsamen Kampf. Aber sie muss heute auch sehen: Links und rechts von ihr vertraut längst nicht mehr jeder den Grünen.

Mit seinem Onlinenetzwerk Campact mobilisiert Christoph Bautz seit Monaten erfolgreich immer neue Menschen gegen Atomkraft. Und die kommen heute aus allen Parteien. „Wir müssen die Bündnisse in die Breite der Gesellschaft weiter ausbauen“, sagt er. „Wir müssen tief hinein in die bürgerlichen Schichten. Und wir wollen ruhig auch FDPler und CDUler in unseren Reihen haben, wenn es gegen Atomkraft geht.“ Er fragt: „Wann kommt endlich die Einsicht von Spitzengrünen, die sagen: Unser Konsensansatz war falsch?“

Auf der anderen Seite des Podiums sitzt Hanna Poddig. Die Aktivistin vertraut nicht auf die Parlamente. Sie sagt: „Der Hoffnungsträger Rot-Grün hat doch glasklar bewiesen, dass der vermeintliche Atomausstieg gar keiner war. Der Parlamentarismus hat bewiesen, dass es nicht funktioniert. Ich muss einfach selbst tätig werden. Direkt und ganz konkret.“ Der „Atomkonsens“ von Rot-Grün heißt auch bei ihr nur: „Atomnonsens.“

Höhn sitzt gut in ihrer Mitte. Sie ist die, die ein bisschen die Bewegte ist, aber doch auch die Partei. „Ich verstehe nicht, warum wir uns jetzt gegenseitig angreifen“, sagt sie. „Gemeinsam sei man stärker als jeder allein. „Jetzt müssen wir Schwarz-Gelb richtig auf den Kopf hauen.“

Das Publikum klatscht. „Schwarz-Gelb auf den Kopf hauen“, das wollen hier alle. Aber nicht nur Bärbel Höhn erntet für ihren Mittelweg Applaus. Auch die beiden links und rechts von ihr bekommen Beifall. Und Höhn muss sehen: Die Grünen haben ihren Anspruch auf Alleinvertretung der Atomkritik in den Parlamenten verloren. Und sie muss eingestehen: „Wir werden darüber nachdenken müssen, mit welchen Strategien wir in die nächste Bundestagswahl ziehen.“

Die Grünen stehen nicht mehr an der Spitze einer immer breiter werdenden Bewegung. Sie sind bloß ein Teil des Spektrums. Zu diesem gehören linke AktivistInnen, die sich radikalisieren und im Rahmen der Kampagne „Castor schottern“ für November im Wendland zu zivilem Ungehorsam aufrufen. Und dazu gehören diejenigen, die bürgerliche Kreise einbeziehen wollen – auch und gerade ganz unabhängig von den Grünen. MARTIN KAUL