: Grätiges Fanvolk
BESENWECHSEL Huub Stevens soll Stuttgart zum Klassenerhalt coachen. Auf den Projekttrainer Thomas Schneider, der nach dem Unentschieden gegen Braunschweig nicht zu halten war, folgt ein Haudegen der ganz alten Schule
AUS STUTTGART JÜRGEN LÖHLE
Es gibt Serien und Treueschwüre die lange halten – aber eben nicht ewig. Nach acht Niederlagen und einem kläglichen Unentschieden gegen den Tabellenletzten Braunschweig hat der VfB Stuttgart gestern seinen Leib-, Magen- und Jugendphilosophie-Trainer Thomas Schneider entlassen. Am Montag kommt der 60-jährige Huub Stevens. Auf den sanften Schwaben folgt ein kantiger Holländer. Jeder hat eben den Trainer, den er verdient.
Dabei hatte es tags zuvor noch so friedlich-freundlich ausgesehen – vor dem Spiel gegen Braunschweig. Die Märzsonne war auf Rekordkurs, das Stadion ausverkauft, weil der Verein jedem Dauerkartenbesitzer das Recht eingeräumt hatte, zwei Karten zusätzlich zu kaufen – für Zweifuffzich das Stück. Da sagt der Schwabe: „Her damit!“ Und so strömten 59.000 in die Arena voller Hoffnung, endlich den ersten Sieg seit dem 7. Dezember 2013 einzufahren. Das Spiel lief aber so wie die meisten der letzen acht Partien auch. Schneiders Kicker konnten einen Vorsprung nichts in Ziel retten, bekamen in der 82. Minute den 2:2-Ausgleich, und das auch noch durch Erman Bicakcic. Der bosnische Nationalspieler hat seine fußballerische Ausbildung von 2005 bis 2011 beim VfB bekommen und stand auch ein Jahr im Bundesligakader, ehe man ihn nach Braunschweig ziehen ließ.
Also war es wie immer, der VfB gab kurz vor Schluss zumindest zwei Punkte aus der Hand. Ebenso trist war es gegen Bayern, Mainz, Leverkusen, die Hertha und vor einer Woche in Frankfurt, wo der VfB ein Unentschieden nicht halten konnte und kurz vor Abpfiff 1:2 verlor. Fünf Punkte mehr wären das Vermeiden dieser Last-Minute-Niederlagen seit 7. Dezember wert gewesen plus die zwei verschenkten vom Samstag – macht sieben. Damit stünde der VfB jetzt auf Platz zwölf – das ist zwar auch nicht gerade grandios, aber kein Abstiegskampf.
Entsprechend „grätig“ (schwäbisch für erzürnt) zeigten sich die Fans nach dem Schlusspfiff. Besonders die treuen in der Cannstatter Kurve, die ja nach dem Stadionumbau eine Gerade ist, brüllten sich den Frust aus dem Leib, forderten vom Vorstand: „Stellt euch!“. Und das taten die dann nach Abpfiff auch. Aufmarsch zum Tribunal. Vorneweg Präsident Bernd Wahler, dahinter Finanzvorstand Ulrich Ruf und Manager Fredi Bobic. Und vor allem den traf der Zorn der Volksseele. Der Mann, der für den VfB zwischen 1994 und 1999 in der Bundesliga 69 Tore geschossen hat, ist jetzt die Hassfigur der Fans. „Lasst mich ausreden!“, rief er immer wieder durchs Mikro, aber man ließ ihn nicht. Gellende Pfiffe und zornig geballte Fäuste reckten sich dem Mann entgegen, der sich gern als „der Fredi“ und fannah gibt. Bobic hat beim zahlenden Volk den Rückhalt verloren. 18 der 25 Spieler aus dem aktuellen Kader hat Bobic für seinen Verein verpflichtet – in Mehrheit Leute, die den VfB offenbar nicht weiterbringen. Meint das Volk, und die Kicker auf dem Platz zeigen auch kaum Hinweise darauf, dass sich die Fans irren könnten. Und so schwindet das Ansehen des Managers, der sich vor kurzer Zeit noch zum Liebling der Massen aufschwang, als er den ungeliebten und rabaukenhaften Gerd Mäuser aus dem Präsidentenamt drängte und mit ihm gleich den selbstverliebten Aufsichtsratschef und Unternehmer-Funktionär Dieter Hundt. Dafür hat sich Bobic in den Vorstand des Vereins „eingekauft“ und sitzt deshalb recht fest auf seinem Managerstuhl.
Fragt sich nur, wie lange noch. Bobic wollte sich schon nach der Niederlage von Frankfurt vor einer Woche von Schneider trennen, präsentierte aber als Nachfolger seinen alten Spielerspezel Krassimir Balakov. Und das war dann dem neuen Präsidenten Bernd Wahler zu viel der Kumpelei. Zudem hat „Bala“ als Abstiegstrainer miese Referenzen. Kaiserslautern stieg mit ihm als Retter sang- und klanglos ab. Acht Spiele – sieben Niederlagen.
Jetzt also Huub Stevens. Sicher, ein Mann mit Qualitäten, wenn es um eine Trendwende geht, aber mit 60 Jahren keiner, der in die Jugendphilosophie des VfB Stuttgart passt. Am Montag wird er vorgestellt, und in Stuttgart machen sie sich vor allem mit einem Mut: Es gab schon einmal einen holländischen Trainer. Arie Haan führte den VfB gar ins Finale des Uefa-Cups. Das war 1989. Lange ist das her, sehr lange.