: Die letzte Männerwelt
ARCHITEKTURFOTOGRAFIE Schöne Ansicht, schlechte Aussicht: Ruud Sies hat die Arbeiten an einem großen Geschäftshaus von Rem Koolhaas in Rotterdam fotografisch begleitet
VON BRIGITTE WERNEBURG
War Rem Koolhaas erleichtert, wieder eine Baustelle in Europa zu haben? Nicht nur, weil mit der Fertigstellung seiner vertikalen Stadt im alten Hafen von Rotterdam ein Projekt endlich zum Abschluss kam, das aus dem fernen Jahr 1996 stammte? Es könnte so sein. Denn in Rotterdam dankt man den portugiesischen Bauarbeitern, weil sie mehr als drei Jahre, weit entfernt von ihrer Heimat, geholfen haben, De Rotterdam – wie das Gebäude in Erinnerung an ein berühmtes Schiff heißt – zu bauen. In Dubai, Beijing oder Moskau, wo Rem Koolhaas auch Baustellen unterhält oder unterhielt, ist derartiges unvorstellbar. Von dortigen Baustellen werden Arbeitsunfälle mit Todesfolge oder unversicherter Invalidität kolportiert und Ausbeutung und Lohndiebstahl kritisiert.
Weil wir es also – auch wenn es erst einmal nur überheblich klingt – besser machen als der Rest der Welt, ist es okay, wenn der niederländische Fotograf Ruud Sies mit seinem Fotoband „Building The Rotterdam“ die Baustelle als Schauplatz männlichen Heroismus feiert. Sein vornehmlich mit Schwarz-Weiß-Fotografien ausgestattetes, großformatiges Bilderbuch zeigt, dass auch eine Stahlbeton-Konstruktion im 21. Jahrhundert von den Arbeitern noch immer Muskelkraft und Artistik, harten körperlichen Einsatz, Trittsicherheit, handwerkliches Können, Ideenreichtum und Genauigkeit verlangt. Dass ausschließlich Männer am Werk sind, das gibt es nicht einmal mehr beim Militär. Erst ganz am Ende, wenn gefeiert, getanzt und den portugiesischen Bauarbeitern gedankt wird, kommen auch ein paar Frauen ins Bild.
Mit ihrer Dramatik in schwindelnder Höhe erinnern Ruud Sies’ Bilder an die des berühmten New Yorker Fotografen Lewis Hine, der 1930 den Bau des Empire State Buildings fotografisch begleitete. Faszinierend und irritierend zugleich ist es zu sehen, wie bestimmte, oft gefährliche Arbeiten auch heute noch weitgehend auf die gleiche Art und Weise ausgeführt werden wie vor achtzig Jahren. Der Bildband macht also darauf aufmerksam, dass Bauen nicht weniger aufregend und wert ist, in seinen Abläufen, insgeheimen Ideologien oder technischen Experimenten diskutiert zu werden, als das Planen und Entwerfen.
Nicht anders als beim Bauen ist es mit der Aufregung meist vorbei, wenn das Geplante erst einmal in der Welt ist. Dabei ist De Rotterdam von der Straße und vom Wasser aus betrachtet ein Ereignis. An diesem Haus, diesem monumentalen Schrank (sehen nicht die venezianischen Dogenpaläste am Wasser ebenfalls wie prächtige kleine Schränke aus?), hat man das Gefühl, wird man sich nie sattsehen können. Dabei ist der Klotz kein ikonischer Bau, kein Wasserkocher und keine Eieruhr, wie die Solitäre in Weltstädten wie London oder New York gerne ausschauen. De Rotterdam ist ein luftiger Klotz. Koolhaas hat die zwei Türme, die auf einem Baugrund von der Größe eines Fußballfelds stehen, in sechs über- und nebeneinandergestapelte Kuben zerlegt und es scheint nun, als stünden die Türen des Schranks hier offen und wären dort geschlossen und man könne das je nach Bedarf auch wieder ändern. Das gibt dem Bauwerk einen spielerischen, transitorischen Zug.
Leider verkehrt er sich im Innern dann in sein Gegenteil. Zwar hat Koolhaas einige Schneisen für die Öffentlichkeit in das Geschäfts- und Bürohaus mit 60.000 Quadratmetern Bürofläche, 300 Hotelzimmern, 240 Apartments und über 1.500 Quadratmetern für Kongresshallen und Restaurants geschlagen. Das nhow-Hotel etwa macht seine Terrasse zum Wasser hin für jedermann zugänglich. Und in einer immerhin zweigeschossigen Halle können sich die verschiedenen Mieter zwanglos treffen, in einem Café mit Ausblick.
Als gewöhnlicher Büromensch aber und als Hotelgast findet man sich in einem Hochsicherheitstrakt wieder. Von wegen Ausblick! Die mächtige Betonkonstruktion zeigt im Innern des Hauses offen ihr Tragegerüst, die davor gehängte Fassade aber weist geschätzte alle dreißig Zentimeter eine vertikale Stahlleiste auf. Aus dem Fenster zu schauen ist unmöglich, denn von Leiste zu Leiste geben sie der Sicht nur sehr begrenzte Ausschnitte frei. Gefängnisse werden heute so gebaut, die Fassade ersetzt die Fenstergitter, durch die sie sonst verunstaltet würde.
Rem Koolhaas hat der Stadt Rotterdam eine grandiose Landmark gebaut und dem Investor ein Haus, das sich rentiert. Die Leute freilich, die im Haus arbeiten und leben, tragen die Kosten der Eleganz der Fassade und der Rendite der Bruttogeschossfläche. In Rem Koolhaas’ Welt kommen sie so wenig vor wie diejenigen, die seine Architektur als Gebäude realisieren.
■ Ruud Sies: „Building The Rotterdam“. Lecturis Eindhoven 2013, 232 Seiten, 49,50 Euro