: Überall lebloses Blech
Die Netzwerke CARambolagen und NUr Zu! Berlin setzen sich für eine grundlegend andere Mobilität und somit für ein ganz anderes Berlin ein. Für eine Urbanität mit Zukunft
■ Die Netzwerke CARambolagen und NUr Zu! Berlin freuen sich nicht nur über Unterstützung, sondern auch über Gleichgesinnte aus anderen Stadtteilen, die sich vernetzen wollen. All denjenigen, die sich gegen „Stehzeuge“ (Fahrzeuge, die 23 Stunden am Tag nur rumstehen) und die prinzipielle Vorfahrt für Autos wehren wollen, bietet Frank Möller eine Internetplattform, Hilfe bei der Erstellung von Flugblättern oder Informationen zu Abläufen in der Bezirkspolitik an:
Kommenden Freitag findet zum zweiten Mal nach 2009 die Aktion „Mobility Parade“ statt: eine Demonstration vom Mauerpark zum Helmholtzplatz, wo im Anschluss eine „Mobilitätsausstellung“ stattfinden soll, auf der sich die Mitglieder des Organisationsbündnisses präsentieren. Das Bündnis besteht vor allem aus Bürgerinitiativen, Verbänden und Unternehmen und fordert „klimaneutrale Verkehrsmittel“ für Berlin. Aufgeführt sind mit CARambolagen und NUr Zu! Berlin auch zwei Netzwerke von Basisgruppen.
Maßgeblich an beiden beteiligt ist Frank Möller. Er begann das Projekt CARambolagen nach eigener Aussage 2007, als er in einer „Bürgerinitiative“ mit seinen autokritischen Positionen nicht recht durchkam. Es vereint heute drei Initiativen aus Prenzlauer Berg, die den Autos an konkreten Orten den öffentlichen Raum streitig machen, und agitiert auf seiner Homepage gegen „die destruktive Vorherrschaft des individuellen Autoverkehrs“.
Anfang dieses Jahres war Möller dann bei der Gründung von NUr Zu! Berlin dabei, dessen Name für „Neue Urbanität mit Zukunft“ steht. Unter diesem Motto vernetzen sich die autokritischen Gruppen von CARambolagen mit ähnlichen, aber auch mit anderen stadtpolitischen Basisinitiativen im Bezirk Pankow, zu dem Prenzlauer Berg gehört.
Anlass der Gründung war die Propagierung des Konzepts „Shared Space“ (geteilter Raum) auf Bezirksebene. Möller lässt wissen, der Begriff stehe nicht nur für die Abschaffung von Straßenmarkierungen und Ampeln, damit alle Verkehrsteilnehmenden wirklich den gleichen Raum teilen und, wie es Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung verlange, aufeinander Rücksicht nehmen. Bei diesem Ansatz, wie er vor rund 20 Jahren in den Niederlanden entwickelt wurde, sei nämlich auch die Beteiligung der Nachbarschaft an der lokalen Verkehrsplanung integraler Bestandteil.
NUr Zu! Berlin geht es jedoch nicht nur um den Verkehr, sondern um grundsätzliche Fragen der Stadtentwicklungspolitik. Möller will eine „langsamere, ökologischere Stadt“. Gewollt ist auch der Schutz von Mieten und öffentlichen Flächen vor der kommerziellen Ausschlachtung. Das größte Anliegen, geradezu eine kleine Utopie, ist die Forderung nach einem städtischen System von Mietautos, die überall stehen gelassen werden könnten und nicht, wie bei den verschiedenen „CarSharing“-Unternehmen, bei jeder Nutzung auch wieder zurückgefahren werden müssten. Das würde zwar die Zahl der Autos radikal reduzieren, Chancen für einen solchen „großen Wurf“ sieht Möller in Berlin aber nicht: „Es fehlt an Leuten in der Stadt, die den Mut haben, neue Ideen umzusetzen.“ Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer sei „nicht zeitgemäß“. Allein die Einhaltung der von der Bundesregierung eingegangenen Klimaschutzverpflichtungen mache ein Umdenken nötig, auch in Berlin, „das sich sonst immer als hip, cool und Avantgarde darstellt, bei der Stadtentwicklung aber hinterher ist“. „Shared Space“ etwa gebe es vielerorts, aber ohne dass der Begriff gebraucht werde.
Dass ihr Wohnumfeld anders aussehen würde, wenn die Nachbarschaft mal gefragt würde, glaubt auch Cornelia Dittrich von der AG Gethsemaneplatz. Um die gleichnamige Kirche herum gebe es 200 Parkplätze. Der Spielplatz ist deshalb in einem Schutzkäfig. Doch das ist nicht das einzige Problem: „Im Sommer quillt der über, wir gehen da schon längst nicht mehr hin“, so Dittrich. Auch Pfarrer Christian Zeiske fände eine autofreie Kirchenumgebung „sehr gut“, teilt er der taz mit – und das, obwohl er selbst Autofahrer ist.
Bemerkenswert sei der viele Parkraum, so Dittrich, weil eine Bezirksstudie kürzlich ergeben habe, dass nur ein knappes Viertel der Bevölkerung um den Helmholtzplatz herum ein Auto besitzt. Die AG Gethsemaneplatz und der Kirchengemeinderat hoffen nun auf eine positive Wirkung der vom Bezirk beschlossenen Parkraumbewirtschaftung, die alle Nichtansässigen zur Kasse bittet. Aus dem vielen Abstellraum für „lebloses Blech“ sollen „nutzungsoffene Freiflächen“ für Kinder und Jugendliche werden.
Dass Derartiges gerade im kinderreichen Prenzlauer Berg schwer durchsetzber ist, mag verwundern. Doch laut Möller sind die beiden stärksten Parteien im Bezirk, SPD und Die Linke, „ganz klar Autoparteien“. Ihre Bezirksverordneten „nehmen unser Anliegen mit erstaunlicher Bräsigkeit zur Kenntnis und lassen es an sich abperlen.“ Nachdem die AG Gethsemaneplatz im Januar ohne nennenswerten Erfolg beim zuständigen Bezirksausschuss vorstellig wurde, bringt sie jetzt einen „Bürgerantrag“ in die Bezirksverordnetenversammlung ein, der einen „Planungsworkshop“ unter Einbeziehung der Nachbarschaft fordert. RALF HUTTER