: Oh Mercy
DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER
Die Welt, in der wir leben, läßt sich als Resultat von Wirrwarr und Zufall verstehen. Aber wenn sie das Ergebnis einer bewußten Zielsetzung ist, dann muß dies die Zielsetzung eines Satans gewesen sein. Bertrand Russell
Manchmal könnte man meinen, wir leben in Entenhausen. Wenn der bayerische Innenminister in die Mikrofone quakt, dass nur bei Islamisten die Religionszugehörigkeit in die Terrordatei aufgenommen wird, dann ist das mindestens so komisch wie Donald Ducks Welterklärungen für seine Neffen: „Das Leben ist eines der schwersten.“ Wenn es so schwer ist, wie es gerade scheint, dann bleibt nur noch die Flucht in die Kunst.
Nie waren Ausstellungen so gut besucht wie derzeit. Sonntags Kunst statt Kirche. Museen als Kathedralen unserer Werte. Die versunkenen Schätze Ägyptens durften in Berlin am letzten Ausstellungstag bis zwei Uhr morgens betrachtet werden. Ein nächtliches Gemeinschaftserlebnis, wie es andere Kulturen nur als spirituelle Erfahrung kennen.
Der alternde Abendländer begreift angesichts leidenschaftlicher Religiosität von jungen Orientalen, die mit dem Ruf „Gott ist groß“ Menschengruppen inklusive sich selbst in die Luft sprengen, dass ihm etwas Entscheidendes fehlt. Und obwohl uns jeder Künstler versichern wird, dass uns die Kunst von gar nichts erlöst, sondern im besten Fall eine Atempause verschafft, rennen wir weiter von MoMA zu Rembrandt – und, in diesem Kontext als erweitertes Kunst-Event zu begreifen, von Fußball-WM zu Pyrotechniker-Festival.
Ja, und wir finden das spannender als fünfmal täglich beten. Aber die Leidenschaft, die Hingabe, die Unbedingtheit auf der anderen Seite macht uns trotzdem zu schaffen. Die Jungen probieren es mit dem Papst als Popstar. Und die Medien, allen voran das Fernsehen, hinterher. Wir werden es nächste Woche erleben, wie uns kein Detail der benediktinischen Bayernreise erspart bleibt.
Die Alten basteln indessen, nach gescheiterten esoterischen Versuchen der Spiritualität ohne Gott, weiter an hilflosen Begriffen wie Ethikunterricht, Leitkultur und Wertedebatte.
Diese Klientel konnte man letzten Sonntag in einem Charlottenburger Kino betrachten. Nicht ein Besucher unter 45, kaum unkontrollierte Lacher und erst recht kein Chipstütenknistern. Wir wissen, was sich gehört und was uns nicht guttut. Offenbar entsprechend zum Niveau des Publikums gab’s nur Eiscremewerbung, der Rest war Reklame zur Wahl von PDS und Grünen.
Der Film schließlich war ein überall hochgelobtes Werk aus Dänemark. Obwohl ich als Kind dort öfter mal die Sommerferien verbrachte, weiß ich doch über Dänen nicht viel mehr, als dass sie gerne Würste rot und gelb färben. Nach diesem Film weiß ich noch, dass sie offenbar mehr Neonazis als Islamisten dort haben. Und sie scheinen auch noch irgendwas Spezielles mit dem Christentum zu haben. Man denke nur an die verdrehten Filme des Konvertiten Lars von Trier – und nun dieser hier.
„Adams Äpfel“ erzählt die Geschichte von einem protestantischen Pfarrer, der in allem und jedem nur das Gute sehen will, obwohl er umzingelt ist von Lüge, Verderben, Krankheit und Tod. Seine Frau brachte sich um, das Kind ist behindert, die beiden jungen Männer, die er im Pfarrhaus aufgenommen hat, sind ein dicker saufender Däne und ein krimineller bärtiger Saudi. Ein glatzköpfiger Neonazi auf Bewährung stößt hinzu und will den Pfarrer brechen. Er prügelt den Gottesmann mehrfach zusammen und versichert ihm wiederholt, dass er rundum böse ist. Vergebens.
Zwischendurch fällt öfter mal eine Bibel von der Kommode und jedes Mal schlägt der dicke Zaunpfahl die Seite mit dem Buch Hiob auf. Irgendwann hat der Neonazi den Wink verstanden und liest fasziniert Gottes Wort. Anfangs ist die Komödie gewalttätig und lustig, dann kommt der Teil, wo einem das Lachen im Halse stecken bleiben soll, und am Ende sind alle geläutert: Der dicke saufende Däne heiratet die Mutter eines behinderten Kindes und will wieder Sport treiben. Der blauäugige Pfarrer sieht das Leben, wie es ist, bleibt aber trotzdem fromm, der Nazi hat jetzt Haare, die so gelb sind wie dänische Würste, und hilft brav dem Pfarrer.
Und der bärtige Saudi? Der sagt: „Scheiß Schwuchtelland. Ich geh jetzt besser mal nach Hause.“ Denn in dieser durch und durch abendländischen Geschichte rund um den guten alten Hiob hat der Muslim nichts mehr zu suchen.
Nur zur Erinnerung: Bei einer kleinen Familienfeier lobt Gott dem Satan gegenüber die Gottesfurcht seines rechtschaffenen Knechts Hiob. Der Satan sagt, das kann ja jeder: fromm sein, wenn’s ihm gut geht. Das will Gott nicht auf sich sitzen lassen, und gibt dem Satan freie Hand. Der darf nun furchtbar viel Böses anstellen, nur nicht Hiob vernichten. Die beiden schließen eine Wette ab. Gott setzt auf Hiobs festen Glauben, der Teufel dagegen. Dreimal finden diese Treffen mit anschließenden Wetten statt, und die Gemeinheiten gegen den armen Hiob werden immer brutaler.
Zwischendurch kommen noch drei wohlmeinende Freunde. Die müssen wie hiesige Esoterikerinnen beim Brustkrebs der Freundin auch noch ihren Senf dazugeben: Wer weiß, vielleicht hat es seinen Sinn, vielleicht ist es eine Strafe für etwas, was du getan hast … genau das, was man so braucht. Aber unverdrossen und eselsgeduldig beteuert Hiob weiter seine Unschuld, bis sich Gott zu einer langen Rede herablässt, in der er vor allem angibt, was er alles Tolles kann. Keine Kleinigkeit aus der Welterschaffung bleibt unerwähnt.
Der Satan ist unterdessen irgendwohin verschwunden – das würde man jedem Drehbuchautor als groben dramaturgischen Fehler um die Ohren hauen. Angesichts der göttlichen Laberlitanei gibt Hiob dann endgültig auf. Ihm fällt nichts mehr ein. Darum geht es auch, sagen die Fachleute: Gott ist groß, und wenn wir es nicht verstehen, was er tut, dann liegt es daran. Hier könnten jetzt anundfürsich die Muslime wieder ins Spiel kommen. Dass Gott groß ist, finden sie auch. Und viel besser als wir wissen sie, dass sich die Nachfrage gar nicht erst lohnt.
Als Kind hasste ich die Hiobgeschichte so sehr wie die von Abraham und Isaak. Beide erzählen von einem schlimmen Verrat und sind an Grausamkeit nicht zu übertreffen. Später erfuhr ich dann all die Erklärungen (die in der Erkenntnis gipfeln, dass Gott so gut wie böse sein kann), aber die kindliche, tiefe Abscheu, die Entrüstung über diesen Sadismus und die Verachtung derart ekliger Machtspielchen sind bis heute geblieben. Wieso bin ich mit so einem unguten Gefühl aus dem Kino gekommen? Wieso fiel mir als Erstes ein: Das ist das endgültige Statement zum Karikaturenstreit – wo doch der Film vermutlich schon längst fertig war, als irgendeine Zeichnung entstand.
Ist das die christliche Botschaft: Unsere Nazis machen wir fertig mit ganz viel Liebe, aber für Fremde reicht’s leider nicht mehr? Hier tappt die Geschichte genau in die Falle, aus der sie den Pfarrer gerettet hat. Sie guckt nicht richtig hin. Schon jetzt gibt es in Europa mehr Muslime als Neonazis. Also, Brüder und Schwestern, mehr Liebe gefälligst!
Fotohinweis: Renée Zucker lebt immer sittsam und fromm in der Diaspora.