: Ein Mann sucht die Zerbrechlichkeit
Nito Torres wollte schon immer Schauspieler werden. Oder Hebamme. Oder Elektriker. Dann entdeckte ihn Gerburg Jahnke für ihr Oberhausener Boulevard-Stück: Er spielt den schwulen Guido in der Ruhrgebiets-Version von „Ladies Night“ und hat in Oberhausen ein eigenes Kabarett-Programm
VON LUTZ DEBUS
Die Scheinwerfer gehen nicht rechtzeitig aus. Am Ende stehen sechs Männer komplett nackt auf der Bühne vor dem Publikum. Einer der Nackten ist Nito Torres. „Die Zuschauer gucken, als wären sie im November in die Ostsee gesprungen,“ beschreibt der Schauspieler, was er in den Gesichtern der Zuschauer sieht. Torres hat diese Blicke ausgiebig studieren können. Im Dezember 2005 hatte das Boulevardstück „Ganz oder gar nicht“ im Oberhausener Ebertbad Premiere. Dann gastierten die sexy Jungs zur Fußball-WM im Schmidt-Theater auf der Reeperbahn. Quasi als Alternativprogramm für fußballresistente Damen und Herren. Im November kommen sie nach Oberhausen zurück. In der auch als Kinofilm bekannten Geschichte finden arbeitslose Männer ihren Wiedereinstieg ins Erwerbsleben – als Stripper. „Wenn es schon ums letzte Hemd geht, warum soll man sich nicht zum Geldverdienen ausziehen“, heißt es in der Vorankündigung. Ein schlüssiges Argument. Was aber muss geschehen, damit sich Schauspieler, die auch andere Rollen bekämen, so bloß gestellt zeigen?
Nito Torres holt weit aus. Wenn schon nicht Rockstar, wollte er doch mindestens Schauspieler werden. Ein Kumpel bat den damals 16-Jährigen in einer Amateurtheatergruppe einen Baum zu spielen. Torres muss so talentiert mit den Zweigen gewackelt haben, dass man ihn sofort ins Ensemble aufnahm. Nach seiner Lehre als Elektriker wollte er deshalb zur Schauspielschule. Doch das private Institut war teuer. Tags zur Schule, nachts für das Geld kellnern, das klappte gerade mal drei Monate. Enttäuscht wandte er sich von seinem Traum ab. Fortan hegte er den Plan, Hebamme zu werden. „Geburtshelfer heißt das korrekt“, verbessert er sich selbst. Tatsächlich gäbe es in ganz Deutschland nur zwei Geburtshelfer.
Doch dann zog der gebürtige Kölner mit seiner Freundin nach Salzburg. Sie studierte am Mozarteum Schauspiel, während er auf dem Bau, in einer Pommes-Bude und in einem Fotolabor arbeitete. Doch Walter Riss, der Professor seiner Freundin, entdeckte ihn erneut und vermittelte ihm ein Engagement bei einer Jugendtheatergruppe. Nito Torres spielte jetzt Goethes Faust für Hauptschüler. „Ich kenne jede Turnhalle in Österreich“, bilanziert der 37-Jährige diese Zeit. Immer unter dem Basketballkorb sei für das Theaterprojekt die Bühne aufgebaut worden. Aber bei Walter Riss bekam er den lang ersehnten Schauspielunterricht. Torres zahlte in Dienstleistungen, verlegte im Haus des Professors Parkett, legte ihm Fliesen, installierte seine Elektrik. Ohne anerkannten Abschluss wurde Nito Torres vor sieben Jahren vom Stadttheater Oberhausen engagiert. Vor zwei Jahren wechselte er zum Stadttheater Bonn.
Doch der Schauspielbetrieb als Quasi-Beamter wurde ihm zu langweilig. Gerade Vater geworden, baute er mit einem Kollegen ein Kabarettprogramm. Logischerweise ging es ums Vaterwerden. „Kinderwahn“ hieß die Produktion. In einer Szene raste da Nito Torres wie Jack Nickolson bei „Shining“ mit einer Axt wie irre über die Bühne. Er wollte die Sorgerechtsfrage eben handwerklich klären. Im Publikum saß auch Gerburg Jahnke. Die ehemalige Missfits-Sängerin sagte nach der Vorstellung: „Der Abend war eine Katastrophe, aber du warst gut.“ So blieb man in Kontakt. Und als Jahnke das neuseeländische Theaterstück „Ladys Night“ ins Ruhrdeutsch übersetzt hatte und auf die Bühne stellen wollte, erinnerte sie sich an den Axt schwingenden Vaterdarsteller.
Der Papa von inzwischen zwei Kindern spielt nun in „Ganz oder gar nicht“ ausgerechnet den schwulen Guido. Einen Vorteil hat die Rolle. Im Gegensatz zu manchen anderen Darstellern wird Torres nach den Vorführungen nicht von Zuschauerinnen angesprochen. Das Ruhrgebietsepos sei, so räumt der stämmige Schauspieler ein, so etwas wie „California Dream Men“ für Frauen mit Abi. Besonders Omega, der dunkelhäutige Athlet unter den Schauspielern, sei der Publikumsschwarm. Torres wiederum werde schon Mal von Männern angebaggert. Aber selten. „Schwule riechen, dass ich nicht schwul bin.“ Aber sie nehmen ihm die Interpretation seiner Rolle auch nicht übel. „Natürlich benutze ich Klischees, denunziere Schwulsein aber nicht.“
Mit der Nacktszene am Ende des Stückes hat Torres kein Problem. Wenn es Sinn macht, spielt er auch ohne Kleidung. Und „Ganz oder gar nicht“ lebt ja von diesem Schluß. Problematischer ist die Szene, in der er einem Mitspieler sein zumindest in der Geschichte exorbitant langes Geschlechtsteil zeigt. Das Publikum sieht nichts. Aber der Mitspieler schaut lange und von ganz nah verblüfft bis entsetzt auf des Mimen Intimbereich. „In diesen Sekunden verdiene ich mir meine ganze Gage,“ lacht er. Schön sei es, Männer in ihrer Zerbrechlichkeit und Fehlerhaftigkeit darzustellen. Einer der Stripper ist zu dick, einer zu dünn, einer zu alt und einer zu jung. Ähnlich unperfekt ist die Figur in seinem neuen Soloprogramm.
Bei „Wennemann“ geht es um einen Kerl, der unverhofft Vater wird. Die Handlung bringt Torres auf den Nenner: „Wenn die Frau unzurechnungsfähig wird, hat der Mann den falschen Taschenrechner dabei.“ Statt Hebamme ist Nito Torres dann also doch Kabarettist geworden. Aber, so wird er heute im Ebertbad bei der Premiere von „Wennemann“ zeigen, die Grenzen sind fließend.