: Neue Wege auf alten Trassen
AUS KALL HENK RAIJER
Der Uerdinger ächzt, als Michael Fuge mit zwei Handgriffen und einem sanften Tritt aufs Pedal den fünften Gang einlegt. Mit 50 Stundenkilometern prescht der purpurrote Schienenbus durch das sattgrüne Eifeltal, links der Trasse die Urft, rechts die Chaussee nach Gemünd. „Der VT 54 reizt, weil er noch handwerkliches Geschick verlangt“, erzählt der 51-jährige Zugführer, der im normalen Leben die Hi-Tech-Loks einer Privatbahn durch NRW chauffiert. „Ich glaube nicht, dass die computergestützten Fahrzeuge von heute in einem halben Jahrhundert noch im Einsatz sind“, sagt Fuge, der im Frühjahr seinen Führerschein für den 50 Jahre alten Triebwagen aus der Waggonfabrik Uerdingen gemacht hat. Bahnfreak Fuge, der seine frühe Leidenschaft erst vor sechs Jahren zum Beruf machte, hat „nach fünf Tagen Bahnfahren noch immer nicht die Schnauze voll“. Und so zieht es ihn, wie mehrere hundert Ausflügler mit ihm, sonntags nach Kall, dem Ausgangspunkt der sechs Sonderfahrten durch das Oleftal nach Schleiden und zurück.
Es ist nicht die schiere Nostalgie, die Bahnverrückte wie Michael Fuge in diesen Wochen auf die ehemalige DB-Nebenstrecke treibt. Der Touristik- und Freizeitverkehr ist für den Lokführer wie für die Aktivisten der seit elf Jahren aktiven „Bahn- und Businitiative Schleidener Tal“ (BuBi) ein letzter Strohhalm im Kampf um den Erhalt der Strecke, die am 8. März 1884 eröffnet und 1994 endgültig stillgelegt wurde. „Eine Reaktivierung des regulären Personennahverkehrs ist in Zeiten leerer Kassen und offenkundiger Prioritäten der schwarz-gelben Koalition in Düsseldorf eher unwahrscheinlich“, sagt die BuBi-Vorsitzende Gisela Neveling. In der „integrierten Gesamtverkehrsplanung“ des Landes Nordrhein-Westfalen schneiden Schienenprojekte wie die Oleftalbahn nach Meinung der Grünenpolitikerin aus Schleiden „fast zwangsläufig schlecht ab“: durch die einseitige Förderung des Autoverkehrs seit den Siebzigerjahren und durch den von der DB betriebenen Abbau von Anschlussstrecken im Vergleich mit Straßenbauprojekten. Neveling: „Die Oleftalbahn wird scheibchenweise kaputt gemacht.“
Ohne Zuschuss vom Land
Als besonders perfide empfindet es Neveling, dass das Land NRW, seit der Bahnreform 1994 in der Verantwortung für den Nahverkehr, dem Kreis Euskirchen im Jahre 1999 die Finanzierung von Kauf und Betrieb der Strecke in Aussicht gestellt hatte, ihm dann aber empfahl, andere Maßnahmen vorzuziehen. Am Ende wurden die Zuweisungen aus Berlin für das Land gekürzt, die Mittel des Landes eingefroren. Aktuell werden nur noch Projekte zu Ende geführt, die bereits im Jahr 2001 begonnen waren. Die Oleftalbahn gehört nicht dazu. Obwohl die BuBi-Vorsitzende auch dem Kreis unterstellt, eine Reaktivierung nie ernsthaft ins Auge gefasst zu haben und statt dessen mit EU-Mitteln für eine Autostraße und einen Fahrradweg auf der Oleftal-Bahntrasse zu liebäugeln, sitzt für sie der Hauptgegner in Düsseldorf: Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU). „Wittke möchte alles, was nach unrentablem Schienenbetrieb aussieht, platt machen“, moniert Neveling. „Gegen den werden wir zu kämpfen haben.“
Vorerst haben ihre Initiative und der im April 2006 eigens für den sommerlichen Nostalgiebetrieb gegründete „Arbeitskreis Oleftalbahn“ den politischen Kampf auf die Schiene verlegt. Dabei stellt der „Nationalpark Eifel“ für die Oleftalbahn eine lohnende Perspektive dar. Auf nur 12 Kilometern verbindet die Strecke den DB-Bahnhof in Kall mit dem „Nationalpark-Tor“ in Gemünd, dem Urftsee, dem historischen Ortskern von Olef und mit der seit dem 1. Januar öffentlich zugänglichen ehemaligen Nazi-Ordensburg Vogelsang.
Ehrenamtlich karren Arbeitskreisaktivisten an diesem verregneten Spätsommertag wie an allen voran gegangenen Sonntagen seit dem 25. Mai Bahnfans und Wanderer von Kall nach Schleiden und wieder zurück. Der „Rote Brummer“, den der Verein Hochwaldbahn e.V. aus Trier unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat, fährt keine Gewinne ein, obwohl allsonntäglich bis zu 350 Touristen den historischen Schienenbus besteigen und einen Fahrpreis berappen. „Wir müssen der DB Netz als Eigentümerin der Trasse für jeden gefahrenen Kilometer drei Euro bezahlen“, sagt Andreas Kurth, Sprecher des Arbeitskreises Oleftalbahn. „Da kommen pro Betriebstag an die 400 Euro zusammen“, rechnet der 25-Jährige vor, der in Köln studiert. „Mit dem Fahrkartenverkauf und den Spenden allein kommen wir nicht hin. Langfristig brauchen wir Großsponsoren und einen Zuschuss vom Land, um den Fahrbetrieb zu sichern.“
Der läuft an diesem Tag, zumindest für diesen Sommer, zum letzten Mal. Entsprechend groß ist der Andrang. Auch zur dritten Tour am frühen Nachmittag ist der Wagen gerappelt voll. Die beiden Zugbegleiter in ihren orangefarbenen Überzügen haben alle Hände voll zu tun, die Sitzbänke für jene, die den Schienenbus nicht aus der Kindheit kennen, bis zur Abfahrt in die gewünschte Fahrtrichtung umzuklappen und erste Tickets zu verkaufen. Ein Ehepaar aus Burscheid, das extra angereist ist, „um mit den Kindern ein paar mal Bahn zu fahren“, ist vertraut mit dem Innenleben des VT 54. Jürgen Sievering nicht. Der 23-Jährige aus Mechernich, der mit drei Freunden von Gemünd aus den Wanderweg hoch zur Burg Vogelsang ansteuern möchte, kommt aus dem Staunen über die 50 Jahre alte Technik des roten Brummers kaum heraus: „Dass so was noch fährt...“
„Der Zug hat Vorfahrt“
Michael Fuge hat, zurück in Kall, inzwischen seinen Fahrersitz an einem Ende des Uerdingers geräumt. Während der kommenden Tour übernimmt auf der anderen Kabinenseite sein Kollege Reiner Fuchs das Kommando in dem nach allen Seiten offenen, zwei Mal 150 PS starken Doppeltriebwagen. Auch Fuchs hat kürzlich den Sonderlehrgang für den VT 54 absolviert. Doch anders als Bahnprofi Fuge arbeitet der 46-Jährige im Hauptberuf als Verwaltungsbeamter – wenn auch, durchaus bahnaffin, bei der Bonner Bundesnetzagentur, die seit dem 1. Januar 2006 die Aufsicht über den Wettbewerb im Bereich der Eisenbahnschienennetze übernommen hat.
Zwischen Kall und Gemünd trommeln immer dickere Regentropfen aufs Dach, Fuchs wirft den elektromechanischen Scheibenwischer an. Der arbeitet in etwa so effizient wie die Heizung eines VW-Käfers der Baureihe 1956. Vor jedem ungesicherten Bahnübergang auf der Strecke ertönt ein Pfeifen, Zugführer Fuchs geht mit dem Tempo auf 20 runter. „Der Zug hat zwar immer Vorfahrt, trotzdem muss vor jedem Andreaskreuz getrötet werden“, erklärt Michael Fuge die Vorschrift. An gesicherten Bahnübergängen, wie an jenem kurz vor der Gemünder Tunneldurchfahrt, springt einer der Zugbegleiter ab und lässt am dortigen Schalterkästchen mit einem Handgriff die Schranken rauf und runter, bevor es weitergeht. In Olef geht sogar einer mit einer roten Fahne bewaffnet zu Fuß vor dem schleichenden Schienenbus her, bis dieser am Ortsende wieder Fahrt aufnehmen darf.
Nur zu gerne habe die Bahn 1981 in Zeiten zunehmenden Autoverkehrs die Frage der Sicherheit als Argument ins Spiel gebracht, um die unrentable Strecke für den Personenverkehr zu sperren, meint Michael Fuge. „‘Nicht mehr zeitgemäße Betriebsabwicklung‘ nannte das die Bahn damals“, erinnert sich der gemütliche Lokführer mit dem kurzem grauen Bart und dem zu einem Pferdeschwanz zusammen gebundenen Haar. „Aber Sie sehen ja, es klappt.“ Fuge freut sich auf den nächsten Sommer und setzt langfristig auf ein Einsehen der Landesregierung. Und träumt laut von alten Zeiten, als die purpurroten Züge Generationen von Eifelanern jeden Morgen sicher zur Schule, zur Ausbildungsstelle und zur Arbeit brachten. Und auch wieder zurück.