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Archiv-Artikel

DER SCHLACHTHOF IN BAD BRAMSTEDT STAND ERST IN DER KRITIK, DANN WAR ALLES IN ORDNUNG, DANN WURDE IHM DOCH DIE BETRIEBSERLAUBNIS ENTZOGEN. WIE KANN DAS SEIN? Pendelnde Zustände

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

In Kiel haben am Montag rund 200 Mitarbeiter des Bad Bramstedter Vion-Schlachthofes gegen die Entziehung der Betriebserlaubnis ihres Arbeitgebers demonstriert. Der Schlachthof war wegen verschiedener Mängel in Verruf gekommen. Einem Angestellten der kontrollierenden Veterinärbehörde hat einiges missfallen und daraufhin hat er Fotos und Notizen gesammelt und das dann an seinen Vorgesetzten weitergegeben. Der Vorgesetzte ließ den Schlachthof untersuchen und fand nichts zu beanstanden.

Daraufhin wendete sich der Mann an die höhere Instanz, das Landwirtschaftsministerium in Kiel. Es handelt sich offensichtlich um einen pflichtbewussten und kämpferisch veranlagten Menschen. Ich habe im Laufe meines Lebens schon des Öfteren miterleben müssen, wie sich so ein Einsatz im Großen und Ganzen weniger als gar nicht ausgezahlt hat und der- oder diejenige am Ende ohne Freund und nur mit Feind dastand.

Aber davon mal ab, der Mann tat das und ab da gab es dann Ermittlungen von Seiten der Staatsanwaltschaft, die kurzerhand mit 250 Polizisten den Hof besuchte und als Ergebnis dieses Einsatzes unter anderem auf kranke Rinder, die auf dem Hof rumstanden (?!) und Rinderköpfe mit mehreren oder auch gar keinen Bolzen-Einschusslöchern stieß.

Gar kein Einschussloch bedeutet wohl gar keine Betäubung vor der Schlachtung? In den Kommentaren zu den Berichten, die man ja eigentlich nie lesen soll, äußern sich sachkundige Leute so, dass bei dem Geschieße schon mal was daneben gehen könne, wenn die Kuh etwa zappeln würde.

Die Staatsanwaltschaft von Kiel fand aber die Zustände alles in allem so untragbar, dass man dem Schlachthof die Betriebserlaubnis entzog. Im Kreis Bad Segeberg fühlte man sich ungerecht behandelt. Die Landrätin Jutta Hartwieg ließ vom Kreisveterinäramt ein paar neue Expertisen anfertigen, die besagten, dass im Schlachthof ordentlich und sauber geschlachtet würde. Das Landwirtschaftsministerium in Kiel will sich darauf aber nicht verlassen und selbst Gutachten erstellen.

Ich frage mich nun, wie kann es sein, dass verschiedene Leute zu so verschiedenen Auffassungen über ein und denselben Zustand in einem Schlachthof kommen können?

Der Arbeiter im Schlachthof übt einen für den Fleischesser nützlichen Beruf aus. Er übernimmt den unangenehmen Teil in der Beziehungskette Mensch – Fleischtier. Er tötet junge Tiere, denn alte Tiere werden selten gegessen. Er tötet sie jeden Tag, von morgens bis abends, und plötzlich soll irgendwas daran falsch oder verdächtig sein, soll es unsauber, unhygienisch oder sogar tierquälerisch sein.

Dagegen wehrt sich der Arbeiter, weil es entweder nicht stimmt oder er andere Auffassungen vom Tierschutz und der Hygiene hat. Verständlicherweise will er wieder arbeiten, weil seine Existenz daran hängt.

Ähnliches gilt auch für den Leiter des Veterinäramtes und die Mitarbeiter, die die drei Gutachten für den Kreis angefertigt haben. Sie sehen etwas Anderes, sie haben eine andere Wahrnehmung als die staatsanwaltschaftlich eingesetzten Prüfer oder haben sie nur eine andere Vorstellung von der Hygiene in einem Schlachthof? Gibt es da gesetzlichen Spielraum? Oder pendeln die Zustände von „heute ordentlich“ zu „morgen mal wieder unter aller Sau“? Und ist es tatsächlich normal, dass Rinder ab und zu mal nicht betäubt geschlachtet werden?

Und vor allem, was ist mit dem tapferen Mann, der den Stein ins Rollen brachte, der nicht aufgab und dokumentierte und aufschrieb und fotografierte und sich vom Kreisveterinäramt bis hoch zum Ministerium kämpfte? Wie kann er jetzt noch in der Kneipe an der Dorfstraße sitzen und friedlich sein Bier trinken? Ist sein Auto schon zerkratzt und wird er beim Bäcker noch bedient? Fragen über Fragen. Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen