: Verstörung durch einen Fremden
DRAMA Das Theaterforum Kreuzberg spielt „Der Auswanderer“ des libanesischen Dichters und Dramatikers Georges Schehadé
Das Theaterforum Kreuzberg ist in blaues Licht getaucht, der Wind wirbelt hörbar die Wellen des Meeres auf. Man ist in Belvento, einem fiktiven sizilianischen Dorf. Das Bühnenbild des Stücks „Der Auswanderer“ ist simpel gestaltet. Eine Palme, ein Brunnen und Häuserfassaden zieren den Raum. Mehr braucht das kleine Theater nicht, um die Geschichte des libanesischen Dichters und Dramatikers Georges Schehadé zu inszenieren, der in seinem 1965 veröffentlichten Drama Geldgier mit der Zerbrechlichkeit der Liebe kollidieren lässt.
Nach langer Zeit kehrt ein im Ausland reich gewordener Mann in sein Heimatdorf zurück. Der Kutscher, gespielt von Monica Dechau-Pascuta, macht dem schweigenden Mann das Dörfchen schmackhaft und schwärmt von der Umgebung. Dechau-Pascuta vergreift sich dabei in der Lautstärke und überspielt ihre Rolle durch ausladende Gesten. Am Ende wird diese Figur noch eine unvermutete Wendung bringen.
Sie verliebt sich in das Bild des Fremden
Bis dahin lässt Schehadé alle Figuren durch eine Krise laufen. Denn der Zurückgekehrte stirbt am nächsten Tag und hinterlässt der Mutter seines Sohnes, deren Namen keiner weiß, sein ganzes Vermögen.
Doch alle Frauen im Dorf sind verheiratet. Die Bewohner versammeln sich also vor dem Rathaus, um den Fremden auf einem Foto zu identifizieren, was misslingt. Der Sekretär des Bürgermeisters (Alexander Riemann) amüsiert dabei durch sein affektiertes Spiel, als er mit hochgezogenen Augenbrauen die einzelnen Frauen beschuldigt.
Allein Anna (Laurine Betz), die selbst unverheiratet ist, betrachtet das Foto aufmerksam. Sie verliebt sich in das Bild des Fremden und träumt sich an seine Seite. Die Darstellung ihres Traums, in dem alle Beteiligten in einem stummen Spiel tanzen, während Anna sich an ihren verstorbenen Geliebten schmiegt, ist die gelungenste Szene des Stücks. Das schummrige Licht und die Ausdruckslosigkeit in den Gesichtern der Tanzenden wirken realitätsverzerrend. Anemone Poland, seit vielen Jahren künstlerische Leiterin des Theaterforums Kreuzberg, hat das Treiben rund um den Dorfplatz inszeniert. Die entscheidenden Dialoge des Stücks finden bei Nacht auf dem Dorfplatz statt.
Die Männer bezichtigen ihre Frauen der Untreue und fordern Ehrlichkeit. So will Barbi (Thilo Hermann) seine Frau Maria (Linda Sixt) zur Rede stellen, während er unter Hitzewallungen leidet und die Geldgier aus seinen Augen funkelt. Hermann setzt dabei die Rolle des mit sich hadernden Barbi ausdrucksstark um.
Auch das dritte Paar, bestehend aus Scaramella (Simon Mayer) und Laura (Sara Löffler), leistet sich einen verbalen Schlagabtausch. Sehr schön bei dieser Szene ist die Anmut, die Löffler ausstrahlt und die ihre Figur lebendig werden lässt.
„Der Auswanderer“ glänzt weniger aufgrund seiner folkloristischen Inszenierung, sondern vielmehr durch die Tatsache, dass der unbekannte Autor Georges Schehadé einen Platz im Theaterforum Kreuzberg gefunden hat. Aufgewachsen in Beirut und studierter Jurist, zog er 1949 nach Paris, arbeitete zeitweise für die Unesco und schrieb seine Werke auf Französisch. Mit Samuel Beckett und Eugène Ionesco war er befreundet. Doch deren Absurdität erreicht er im „Auswanderer“ nicht. LISA MAUCHER
■ Wieder 14. bis 16. März, 21. bis 23. März. Weitere Termine im März und April, jeweils 20 Uhr