: Ein Fan bedankt sich
AVANTGARDE Wolfgang Müller widmet Valeska Gert ein Buch und eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof
Valeska Gert (1892–1978) ist mehrmals in ihrem Leben und nach ihrem Tod „entdeckt“ worden, von Filmemachern, Künstlern, Tänzern. Für jeden ihrer Entdecker öffnet sich dabei mehr als der Blick auf eine skurrile Künstlerin, deren Tänze und schauspielerische Miniaturen in den dadaistischen und expressionistischen Aufbrüchen der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts wurzeln: nämlich ein Vorgriff auf die Kunst der Gegenwart. Vor einem Jahr etwa erschien das Buch „Am Rand der Körper“ von der Theaterwissenschaftlerin Susanne Foellmer, die im zeitgenössischen Tanz ästhetische Strategien verfolgte, die sie in den kurzen Stücken von Valeska Gert das erste Mal formuliert sah. In der Performance-Szene gilt Gert schon lange als Avantgarde. Aber im Raum der Kunst wurde sie dennoch kaum sichtbar.
Das zu ändern ist jetzt Wolfgang Müller gelungen, Autor, Künstler, Performer der „Genialen Dilletanten“ und der „Tödlichen Doris“ im Berlin der 80er Jahre. Er hat ein Buch über Valeska Gert geschrieben, „Ästhetik der Präsenzen“, und gibt ihre Performance „Baby“ als Schallplatte heraus: Da hört man sie die Geräusche eines Babys nachahmen, ach was, mit 80 Jahren in den Körper eines Babys mit all seiner Empfindlich- und Empfänglichkeiten zurückkriechen. Vor allem hat Müller eine Ausstellung über Valeska Gert im Hamburger Bahnhof initiiert, die kurze filmische Mitschnitte von ihren Auftritten zeigt und daneben Werke von Marcel Duchamp, Valery Export, Marcel Broodthaers und anderen stellt. Immer mit der Behauptung, bei ihr schon zu finden, wofür andere berühmt wurden.
Da geht es etwa um das Prinzip des Ready Mades, das man mit Duchamp verbindet. Gert stellte sich zum Beispiel Musik aus Fundstücken vor, aus Stadt- und Naturgeräuschen, nur fehlten die technischen Mittel der Umsetzung. Oder das filmische Denken, das Broodthaers eingesetzt hat. Aus ihm geht die Miniatur „Pause“ hervor, die der Ausstellung den Titel gab. In der Pause, die im Kino entstand, wenn die Filmrollen gewechselt wurden, erschien Gert vor dem Vorhang wie ein Stück Wäsche auf der Leine, die Hände erhoben, den Körper dazwischen versackt, dem Warten so eine sichtbare Form gebend.
Wolfgang Müller schreibt über Valeska Gert nicht nur aus der Perspektive des Fans und des Autodidakten, der in ihrer Geschichte Ermutigung für die eigene Rolle als Außenseiter und Künstler fand. Er nimmt sie vielmehr auch zum Maßstab, um Künstlerkollegen der Gegenwart an der Konsequenz und Offenheit ihres Werks zu messen: Und die sehen dann oft etwas an den Betrieb angepasst aus. Besonders schlecht kommt bei ihm der Regisseur Volker Schlöndorff weg, ebenfalls einer der Wiederentdecker von Valeska Gert in den 70er Jahren. Gleichwohl ist die Ausstellung auf Schlöndorffs Material angewiesen. In seinem Film „Der Fangschuss“ nutzte Gert eine kleine Rolle, ihr in den 20er Jahren entwickeltes Konzept für eine „Komposition auf ausgeleiertem Klavier“ vor der Kamera zu performen.
Für Schlöndorff wiederholte sie auch ihr einmaliges Stück, „KZ-Kommandeuse Ilse Koch“, zuerst 1950 in ihrem Berliner Lokal Hexenküche aufgeführt. Man muss sich das vorstellen: Mitten in der Zeit der virulenten Verdrängung des Nationalsozialismus, kehrt sie, Jüdin, die nach New York emigriert war, nach Berlin zurück und macht sich lustig über die mit Häkeldeckchen bedeckten Verbrechen der Vergangenheit. Ihre Ilse Koch ist nett zu allen, häkelt viel und erinnert sich an nichts, bis dann mit Lachen und Kichern Mordlust und Unterwerfungsfantasien aus ihr herausbrechen.
Valeska Gert war schon über 70, als einige ihre frühen Stücke endlich filmisch festgehalten wurden. Filmische Zeugnisse aus den 20er Jahren, als Kurt Tucholsky und Sergei Eisenstein zu ihren Verehrern gehörten, gibt es nur wenige; von vielen Stücken weiß man nur durch äußerst expressive zeitgenössische Beschreibungen. Aber auch die wenigen Dokumente reichen, um die Zündkraft zu spüren, die ihr Werk bis heute ausstrahlt.
KATRIN BETTINA MÜLLER
■ Wolfgang Müller: „Valeska Gert – Ästhetik der Präsenzen“. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2010, 272 Seiten, 18,80 Euro
■ „Pause. Valeska Gert. Bewegte Fragmente“, bis 6. Februar 2011 im Hamburger Bahnhof