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Archiv-Artikel

Der „post-heroische“ Irrtum

Israel hat im Libanon den Fehler der USA im Irak wiederholt: Mit Hightechwaffen ist eine Bevölkerung nicht zu kontrollieren. Doch Bushs Cowboy-Politik ist noch nicht vorbei

Unter Muslimen ist die Hisbollah der angesehenste Gegner Israels seit Ägyptens Niederlage von 1967 Auch Israel hat sein Vietnam erlebt – den Rückzug aus dem Libanon im Jahr 2000Der Iran hält sich mit seiner Israel-Feindschaft die arabischen Kontrahenten vom Hals – anders als 1979

Die Regierung von US-Präsident Georg W. Bush wird als ungeschickteste Crew, die das amerikanische Imperium je gesteuert hat, in die Geschichte eingehen. Ein Leitartikel des Time-Magazins, der noch kurz vor Beginn von Israels jüngstem Libanonkrieg veröffentlicht wurde, verkündete das „Ende der Cowboy-Diplomatie“. Die Aussage beruhte auf der Erkenntnis, dass die „Bush-Doktrin an der wichtigsten Stelle, an der sie die USA anzuwenden versuchten, gescheitert ist“: im Irak. Doch was die Time-Autoren als Zeichen für den Bedeutungsverlust der Traditionalisten um Bush ankündigten – „den Aufstieg von Außenministerin Condoleezza Rice“ –, erwies sich, als Israel seinen Angriff auf Libanon startete, als bloßes Wunschdenken.

Denn die Cowboy-Diplomatie wurde einfach durch eine Cowgirl-Diplomatie ersetzt, die im Wesentlichen dieselben Ziele verfolgte. Der Auftrag von Rice bestand hauptsächlich darin, die vielen Lecks der US-Außenpolitik zu stopfen. Ein allerdings unerfüllbarer Auftrag. Das Schiff sinkt unaufhaltsam, und der Kapitän gibt nicht zu erkennen, dass er irgendetwas merkt.

Die Rüstungsausgaben für die US-Armee sind höher als die der über 200 Staaten der restlichen Welt zusammen. Allein der Militärhaushalt übersteigt die Wirtschaftskraft aller Länder weltweit mit Ausnahme von 14 Staaten. Und doch zeigt diese „Hypermacht“, die in der Lage ist, jede andere reguläre Armee weltweit niederzustrecken, einmal mehr, dass sie unfähig ist, eine aufständische Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen. Denn dafür ist all das ausgeklügelte Tötungsarsenal des Pentagons von sehr begrenzter Hilfe. Um die Einwohner einer ganzen Region zu kontrollieren, braucht man Soldaten.

Dies ist eine Art von Gewerbe, in dem Arbeitskraft kaum durch Hardware ersetzbar ist. Die USA haben sich schon als unfähig erwiesen, Vietnam unter Kontrolle zu bringen, obwohl dort wesentlich mehr Soldaten pro Einwohner im Einsatz waren als im Irak. Die Militärmacht Washingtons ist heute in jeder erdenklichen Hinsicht stärker als zu Zeiten des Vietnamkriegs – außer in diesem einen Bereich, der für eine Besetzung entscheidend ist.

Der Personalstand der US-Truppen wurde seit Vietnam und dem Ende des Kalten Krieges radikal abgebaut. Das Pentagon glaubte, die Unzuverlässigkeit und Verletzlichkeit des Humankapitals durch eine starke Abhängigkeit von hochtechnologischen Waffen ausgleichen zu können. Damit einher ging der Übergang ins Zeitalter der „post-heroischen“ Kriege, wie sie einst von einem unangepassten Militäranalysten treffend genannt wurden, also vor allem der Kriege auf Distanz, die deswegen auch keine Helden mehr produzieren. Und es bereitete den USA mit ihrem Waffenarsenal tatsächlich keine große Mühe, die Armee von Saddam Hussein zu besiegen. Die Kontrolle über die irakische Bevölkerung erwies sich dagegen als Herausforderung ganz anderen Kalibers.

Die Art und Weise, wie der amerikanische Gulliver von den irakischen Liliputanern festgeschnürt wurde, hat dem Iran erheblichen Auftrieb gegeben. Die Provokationen des Iran, von Bush ebenfalls zur „Achse des Bösen“ gerechnet, sind nur möglich, weil die Amerikaner im Irak Schwächen zeigten. Und Teheran konterte erfolgreich die Versuche von Washingtons arabischen Gefolgsleuten, die Religionsfehde im Irak auf den Rest der arabischen Region auszudehnen, um das iranische Regime als schiitisch und damit antisunnitisch zu isolieren. Dieser Trick wurde nach der iranischen Revolution 1979 noch mit einem gewissen Erfolg praktiziert.

Teheran konterte, indem es die arabischen Regime in ihrer Feindschaft gegen Israel überbot und sich damit das Image eines Vorkämpfers der panislamischen Sache gab. Ein Schlüssel zu diesem Erfolg liegt im Bündnis mit der Hamas, der populärsten Verkörperung des sunnitisch-islamischen Fundamentalismus. Der Aufstieg der Hamas zur Macht bei den palästinensischen Wahlen von Januar 2006 versetzte der Regionalstrategie Washingtons nach dem Desaster im Irak einen weiteren Schlag. Teheran jubelte und forderte durch die Unterstützung der neuen palästinensischen Regierung einmal mehr all seine arabischen Rivalen heraus. An diesem Punkt griff Israel ein. Es sollte die US-Strategie gegen die „Achse des Bösen“ retten, weil Washington zu einem Umsteuern nicht mehr in der Lage war.

Die Bush-Regierung übersah allerdings, dass die Zuverlässigkeit Israels durch den gescheiterten Versuch, die palästinensischen Gebiete unter Kontrolle zu bringen, und erst recht durch den Rückzug aus dem Libanon im Jahr 2000 stark in Frage gestellt war. Israel hatte im Libanon nach 18-jähriger Besetzung bereits sein eigenes Vietnam erlebt. Und wie das Pentagon nach Vietnam, so sind auch Israels Kriegsplaner seit Libanon auf eine „post-heroische Militärpolitik“ eingeschwenkt. Sie vertrauen viel mehr auf ihr weitaus überlegenes Gerät als auf ihre Bodentruppen.

Israels Überzeugtsein von der Unbesiegbarkeit seiner überlegenen militärischen Ausrüstung ließ die politische und die Militärführung glauben, sie könnten die Hisbollah zur Kapitulation zwingen. Zumindest sollten die Libanesen an den Rand eines neuen Bürgerkriegs geführt werden, indem ganz Libanon zur Geisel Israels gegen die Hisbollah genommen, die zivile Infrastruktur des Landes zerstört wurde und die schiitisch bewohnten Gebiete mit einem Bombenhagel eingedeckt wurden. Zudem machte Israel bewusst ganze Stadtteile und Dörfer dem Erdboden gleich und übte so Rache an der einzigen Bevölkerung, die Israel je zum bedingungslosen Rückzug aus einem besetzten Gebiet gezwungen hat.

Trotz alledem war der israelische Krieg kein Erfolg. Statt einen Bürgerkrieg unter den Libanesen zu provozieren, hat er bisher nur dazu geführt, die libanesische Bevölkerung in ihrer gemeinsamen Ablehnung gegen die Brutalität des Angriffs zu einen. Statt die Hisbollah zur Kapitulation zu zwingen, hat er die fundamentalistische Schiitenorganisation zum angesehensten Gegner Israels seit dem Sieg über Ägypten 1967 gemacht. Statt die Bemühungen Washingtons und seiner arabischen Gefolgsleute zu erleichtern, einen tieferen Keil zwischen Sunniten und Schiiten zu treiben, hat der Krieg nach einer jüngeren Umfrage zum Beispiel Hisbollah-Chef Nasrallah zur beliebtesten Persönlichkeit in Ägypten gemacht, gefolgt von Irans Präsidenten Ahmadinedschad!

Was auch immer bei dem Krieg Israels gegen den Libanon am Ende herauskommt, eines steht fest: Anstatt Hilfe zu bieten, um das sinkende Schiff des US- Imperiums im Nahen Osten vor dem Untergang zu bewahren, hat das israelische Rettungsboot die Havarie noch schlimmer gemacht. GILBERT ACHCAR

Übersetzung: Birgit Althaler