: „Watergate“ in Schweden
Oppositionspartei zapfte monatelang das vertrauliche Computernetzwerk der Sozialdemokraten an. Die illegale Parteienspionage könnte Wahlsieg kosten
STOCKHOLM taz ■ Eineinhalb Wochen vor den Parlamentswahlen hat Schweden einen handfesten politischen Skandal. Die oppositionelle rechtsliberale „Folkpartiet“ (Volkspartei) wurde des illegalen Eindringens in das vertrauliche Computernetzwerk der regierenden Sozialdemokraten überführt. Nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Pressechefin Niki Westerberg der Volkspartei eingeleitet hat und Generalsekretär Johan Jakobsson am Dienstagabend zurückgetreten war, verlangten fast alle führenden Medien in Stockholm am Mittwoch auch den Rücktritt des Parteichefs der Liberalen, Lars Leijonborg, weil er die Beteiligung führender Parteifunktionäre an dem Diebstahl über Tage verschwiegen hat.
Der Spionageskandal platzte zu einem Zeitpunkt in den Wahlkampf, an dem Meinungsumfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den regierenden Sozialdemokraten und den vier oppositionellen Parteien signalisierten. Letztere haben sich zu dieser Wahl als Regierungsalternative in einer „Allianz“ mit gemeinsamem Wahlprogramm zusammengeschlossen.
Seit mindestens Januar und vermutlich noch bis zur vergangenen Woche wurde aus der Parteizentrale der Folkpartiet die geheime Wahlkampfstrategie des politischen Gegners ausspioniert. Gelungen war dies, weil man an die „Inloggningsdaten“ eines Angehörigen des inneren sozialdemokratischen Führungszirkels gekommen war. Ob „zufällig“, wie die Verdächtigen bislang behaupten, oder etwa mit avancierter Hackertechnik ist noch unklar. Für die strafrechtliche Beurteilung würde dies auch keine Rolle spielen. Kriminell ist beides.
Aufgefallen war die Spionage im Computernetzwerk, zu dem lediglich zwei bis drei Dutzend führende Wahlkampfmanager der Sozialdemokraten rechtmäßigen Zugang hatten, als man in der Parteiführung einige Zeit mit wachsendem Misstrauen beobachten musste, dass die Opposition entweder bestimmte geplante Wahlkampfinitiativen zu ihren eigenen machte oder ausgesprochen prompt auf solche politischen Vorstöße reagierte. Als beispielsweise die Regierung einen 10 Punkte umfassenden Schulplan präsentierte, war die Folkpartiet mit ihrer eigenen ausgefeilten Zehn-Punkte-Alternative drei Stunden später in den Medien. Eine von den Sozialdemokraten beauftragte Computersicherheitsfirma fand über die IP-Adressen der spionierenden Rechner auch schnell die unerwünschten Eindringlinge in der gegnerischen Parteizentrale. Die Polizei wurde eingeschaltet und scheint bei Durchsuchungen in der Parteizentrale der Liberalen und einigen Privatwohnungen führender Mitglieder fündig geworden zu sein.
Der sozialdemokratische Ministerpräsident Göran Persson reagierte drastisch: „Das ekelt mich an.“ Er warf dem politischen Gegner vor, auch vor kriminellen Aktivitäten nicht zurückzuschrecken. Folkpartiet-Chef Lars Leijonburg entschuldigte sich persönlich bei Persson und beteuerte, nichts von diesen Aktivitäten gewusst zu haben. Diese Aussage wird jedoch von allen Medien in Zweifel gezogen, seit der Generalsekretär zurückgetreten ist und die Staatsanwaltschaft gegen Leijonborgs Pressechefin ein Ermittlungsverfahren eröffnet hat.
Die „Folkpartiet“ hatte sich in diesem Wahlkampf ausgerechnet als Law-and-Order-Partei und moralische Instanz profiliert. Auf einem ihrer Wahlplakate fordert sie umfassendere Rechte der Polizei zu – heimliche Abhöraktivitäten etwa.
REINHARD WOLFF