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Archiv-Artikel

Schicht für Schicht

Schüler haben die Betreuung des Joseph-Carlebach-Platzes im Grindelviertel übernommen. Und hoffen nun, dabei auf die Überreste der von den Nazis zerstörten Bornplatz-Synagoge zu stoßen

von Philipp Ratfisch

Es war schon Gras über die Sache gewachsen. Buchstäblich. Zwischen den kleinen Granitsteinen des Joseph-Carlebach-Platzes im Grindelviertel wucherte Unkraut hervor – nicht gerade ein positives Symbol am Ort einer jüdischen Gedenkstätte. Das sahen auch die Schüler der Grund-, Haupt- und Realschule Charlottenburger Straße so, als sie vor drei Jahren die Betreuung des Ortes übernahmen, an dem einmal die große Bornplatz-Synagoge stand.

„Irgendwann hat die Stadt den Platz nicht mehr so gepflegt, wie es angemessen wäre“, meint Realschullehrer Durmis Özen. Zwar ist nach wie vor die Stadtreinigung für das Areal zuständig. Die kümmere sich aber nicht genug darum, findet der 35-Jährige.

In diesem Schuljahr ist Özens achte Klasse an der Reihe, mit Harken, Schaufeln und Besen die Ritzen des Bodenmosaiks sauber zu halten. Mehrmals im Jahr will sie dafür herkommen. Das nötige Arbeitsgerät stellt der Arbeiter-Samariter-Bund zur Verfügung.

Doch zwischen den Steinen Unkraut zu jäten, reicht Özen noch nicht aus. Mit seinen Schülern will der Geschichtslehrer den Grünstreifen, der den Platz säumt, umgraben und neu gestalten – und ihnen so auch archäologisches Arbeiten näher bringen. „Mit etwas Glück stoßen wir auf Überreste der ehemaligen Synagoge“, hofft Özen. Denn deren Trümmer seien nach dem Abriss bloß oberflächlich planiert worden. „So können die Schüler Geschichte ganz anders erleben und begreifen“, sagt der Pädagoge. Die Abteilung Bodendenkmalpflege des Helms-Museums, die für solche Belange zuständig ist, hat das Vorhaben bereits genehmigt. Der Antrag bei der Garten- und Tiefbauabteilung des Bezirks Eimsbüttel soll demnächst folgen.

Unterstützung bekommen die Schüler dabei vom Museumspädagogen Thorsten Helmerking. Der Archäologe wird ein Auge darauf haben, dass die strengen Auflagen für die Pflegemaßnahme an dem sensiblen Ort eingehalten werden. „Bei diesen Umgrabungen kann ja allerlei passieren“, so Helmerking. Wenn ein Fundstück etwa aus seinem Zusammenhang gerissen werde, gehe die historische Aussage für immer verloren. „Daher beschränken wir die Maßnahmen auf die oberste Erdschicht, die sowieso durch die Planierung gestört ist“, erklärt der Experte. Hier könnten die Schüler nur auf lose Einzelstücke stoßen. „Sobald wir etwas finden, gehen wir sehr vorsichtig vor“, versichert er.

Im Vorfeld wird er mit den Schülern darüber sprechen, was erlaubt sei und was nicht. „Es geht zum Beispiel nicht, dass jemand etwas findet und dann einfach ein großes Loch drumherum gräbt“, erklärt Helmerking. Vielmehr müsse die Erde nach und nach in Schichten abgetragen werden, „um den historischen Befund nicht zu zerstören.“

Von dem Projekt ist der Archäologe begeistert. „Nur wenn die Schüler durch äußere Eindrücke angeregt werden, können sie sich in die Geschichte eines solchen Platzes einfühlen.“ Ein trockener Geschichtsunterricht könne dies nicht leisten.

Zunächst würden die Schüler nach Archivmaterial wie alten Bauplänen suchen, um den genauen Ausgrabungsort zu bestimmen, erläutert Özen. Schon vor den Herbstferien könnten sie dann anfangen. Ein bis zwei Wochen sollen die Arbeiten dauern. „Die Chancen, dass wir etwas finden, sind nicht so schlecht“, schätzt er. „Wenn das alles so läuft wie ich mir das vorstelle“, so der Pädagoge, „dann haben wir am Ende etwas Besonderes oder gar Spektakuläres gefunden“.

Auch Thorsten Helmerking schließt nicht aus, dass die Schüler auf die Überreste der Grundmauern stoßen könnten. „Das wäre ein voller Erfolg!“, so der Archäologe.

Aber auch ohne Sensation würde sich der Aufwand lohnen, findet Özen: „Wenn wir bei den Schülern ein kritisches Bewusstsein für die Geschichte des Ortes schaffen können, haben wir einiges erreicht.“ Gefördert wird das Projekt durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz im Rahmen der Aktion „denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule“. Die Jüdische Gemeinde in Hamburg hat bereits Wohlwollen signalisiert und ebenfalls ihre Hilfe angeboten.

Wie genau der Grünstreifen hinterher aussehen soll, ist noch offen. „Die Minimallösung wäre, dass wir diesen Platz etwas ansprechender gestalten“, sagt Özen, „damit man da auch verweilen und gedenken kann.“