: Die Hölle auf Erden
Der kontroverse Film „Water“ von Deepa Mehta erzählt vom Leid indischer Witwen
Chuyia (Sarala) ist acht Jahre alt, als ihr Ehemann stirbt. Sie kannte den älteren Mann, mit dem man sie verheiratet hatte, kaum. Was es heißt, im Indien des Jahres 1938 eine Witwe zu sein, ahnt sie nicht. Deepa Mehtas Film „Water“ führt es vor. Chuyia kommt in ein Witwenhaus, das nichts anderes ist als eine Art offener Strafvollzug. Der traditionellen Auslegung der hinduistischen Lehre zufolge stirbt die Frau, als zum Mann gehörig, mit dessen Tod mit, sie wird aus allen familialen und sozialen Bezügen ausgestoßen. Sie führt als Witwe nur noch ein Nachleben, auf immer in der Trauerfarbe Weiß gekleidet. Dieses „lebenslänglich“ im Witwenhaus kommt, daran lässt der Film keinen Zweifel, der Hölle auf Erden recht nahe.
„Water“ ist der dritte Film in Deepa Mehtas Elemente-Trilogie. Mit „Fire“ (1996), in dem sie eine lesbische Liebesgeschichte erzählt, hat sich die in Kanada lebende Regisseurin großen Ärger mit den Hindu-Nationalisten eingehandelt. Von sexuellen Praktiken, die es in Indien ihrer Ansicht nach nicht gibt, wollten die vom einflussreichen Nationalisten Bal Thackeray angestachelten Reaktionäre schon gar keine Bilder sehen. Bei den Dreharbeiten zu „Water“, die im Jahr 2000 begannen, verwüsteten Vandalen das Set, die Produktion musste trotz von der Regierung bereitgestelltem Wachschutz abgebrochen werden. Es dauerte fast fünf Jahre bis zur Wiederaufnahme. Deepa Mehta begann in Sri Lanka von vorne, fernab von Mumbai. Auf der Insel im Süden des Subkontinents rekonstruierten sie die Stadt Rawalpur an den Ufern eines heiligen Flusses.
Diesem Fluss vor allem verdankt der Film seinen symbolischen Titel. Der Ashram der Witwen liegt in der Nähe des Wassers. Gezeichnet ist das Witwenhaus als ein eigener sozialer Kosmos. Die fette, alte Madhumati (Manorma) regiert mit beinahe unumschränkter Macht. Unter Ausgestoßenen ausgestoßen ist die schöne Kalyani (Lisa Ray). Man speist nicht mit ihr, denn sie schläft auf Befehl Madhumatis mit den reichen Männern der Stadt. Ihr Einkommen als Prostituierte finanziert das Leben im Witwenhaus. Dann aber fällt ein anderer Blick auf sie, ein Blick von außen, ein aufgeklärter Blick, der Blick des Gandhi-Anhängers Narayan (Bollywoodstar John Abraham). Narayan verkörpert die Position des Films, er plädiert für Befreiung von England und von den frauenverachtenden Sitten des eigenen Landes. Narayan verliebt sich in Kalyani, Kalyani verliebt sich in ihn. Narayan spielt in der Dämmerung unter einem uralt-vielarmigen Baum auf der Flöte.
Deepa Mehta aber, die alle Argumente auf ihrer Seite hat, trifft den rechten Ton oft nicht. In der Grundanlage ist „Water“ eher sozialrealistisch orientiert, dann nimmt Mehta Anleihen beim indischen Mainstreamkino. So gönnt sie zu Songs des Starkomponisten A.R. Rahman ihrer Geschichte minutenlange Auszeiten zu schwelgerischen Bildern. Getanzt wird aber nicht. Dem Zug ins Melodram gibt sie kurz nach und widersteht ihm im nächsten Moment. Zu Reibung oder Spannung führt das kaum.
Es ist nicht ganz klar, wohin ein Film wie „Water“ zielt. Dem westlichen Publikum hat er nichts zu beweisen. Das tut er in schönen, manchmal kitschigen Tableaus, aber ohne rechten Sinn für Rhythmusgefühl. Wie der überaus erfolgreiche Politfilm „Rang de Basanti“ (vgl. taz vom 3. 7.) beweist, ist das Hindi-Kommerzkino politisch und ästhetisch inzwischen oft gewagter als ein sozial engagierter Arthouse-Bilderbogen wie „Water“. Gewiss rennt der Film auch im Gegenwartsindien nicht nur offene Türen ein. Man sähe ihn aber gerne mit avancierteren Mitteln Anlauf nehmen. EKKEHARD KNÖRER
„Water“, Regie: Deepa Mehta. Mit Lisa Ray, John Abraham, Indien 2005