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Archiv-Artikel

Handgemenge, Herrenhosen

IRAN Negar Tahsili dreht unabhängige Filme in Teheran. In Köln, wo sie zurzeit ein Stipendium hat, erzählte sie, was man tun muss, um dabei nicht verrückt zu werden

„Du hast eine Erlaubnis? Ich geb dir gleich deine Erlaubnis! Aussteigen!“

EIN TEHERANER POLIZIST

VON AMIN FARZANEFAR

Sagen wir es unverblümt: Iran ist ein im Umgang mit seinen Kulturschaffenden und Filmemachern übel beleumundetes Land. Gut also, wenn eine rege Vertreterin des iranischen Independentkinos direkt Auskunft geben kann. Negar Tahsili ist zurzeit Fellow an der Kölner Akademie der Künste der Welt. Am Dienstagabend präsentierte die Teheranerin einen Videovortrag, ebenso pointiert wie kurzweilig moderiert von Ali Samadi: „10 tips on not going ‚mental‘ making an independent film!“ Die zehn Reglen erinnern weniger an Filmlehrbücher, eher an Anleitungen für den inneren und äußeren Kampf, wie sie sich beim Freiherrn von Knigge, im Ehrenkodex der Samurais oder in Graciáns „Handorakel“ finden.

Es ist kein Zufall, dass es im Titel der Veranstaltung ums Verrücktwerden geht. Der erste zitierte Film des Abends stammte nicht etwa von den Regiegrößen Abbas Kiarostami oder Asghar Farhadi, sondern betraf jene legendäre Szene aus „Asterix erobert Rom“, in der die widerständigen Gallier im „Haus der Verrückten“ den „Passierschein A 38“ besorgen müssen, ohne komplett durchzudrehen.

In der Tat steckt der Teufel im Iran im Detail, in einem Bürokratismus, der jede kreative Eigeninitiative ins Leere laufen lässt. Wer drehen will, bedarf einer Fülle verschiedenster Genehmigungen, zu beantragen über verschiedene Tage hinweg, bei verschiedenen Institutionen für unterschiedlichste Anlässe: Genehmigungen für den Dreh, das Abspiel auf inländischen und ausländischen Festivals, den Kinobetrieb und für die Produktion einer DVD. In der Praxis verwenden mehrere Teams das einmal mühselig erworbene Dokument für verschiedene Projekte. Tahsili präsentierte eine beeindruckende Fülle mehr oder weniger gefakter, an unterschiedliche Zwecke angepasster Zertifikate. Damit kann es dann losgehen. Eine Garantie jedoch gibt es nicht, wie ihr zweiter Film „ We – Men or Women“ belegt, der den Alltag einer Taxifahrerin dokumentiert: der Wagen wird angehalten, und ein Polizist brüllt: „Du hast eine Erlaubnis? Ich geb dir gleich deine Erlaubnis! Aussteigen!“ Cut – und Filmende.

Ein anderer drastische Schnitt findet sich in Tahsilis aktuellem Film: In „(P)rivate Parts“ betritt sie mit der Sängerin Mahsa Vahdat – weiblicher Gesang in der Öffentlichkeit ist verboten, wohlgemerkt – das Allerheiligste des persischen Patriarchats, ein „Zurkhane“. Das oktogonale „Krafthaus“ dient dem körperlichen wie spirituellen Training. Zu rhythmischer Trommelmusik, im Gedenken an die altpersischen wie schiitischen Helden, werden hier Übungen verrichtet, mit Holzkeulen und anderer kriegerischer Gerätschaft.

Als Vahdat ein 900 Jahre altes Lied von Hafiz anstimmt, kommt es zum Handgemenge und schließlich zu einer erregten Diskussion mit dem „Pishkesvat“, dem virilen Leiter der Stätte, darüber was eine Frau kann, darf und soll: „Ein Mensch kann ja auch bellen wie ein Hund! Muss er es deshalb auch tun?“ Diese Sequenz fiel der inneren Schere zum Opfer, in der zweiten Schnittfassung gibt es nach dem Abbruch des Gesangs Stimmengewirr und eine Fotostrecke beeindruckender goldbestickter Herrenhosen aus dem „Zurkhane“.

Auf die naheliegende Frage Samadis, ob sie es als Frau nicht besonders schwer habe, antwortet Tahsili: „Ich war ja nie ein Mann.“ Alle hätten es schwer, die unter solchen Bedingungen arbeiten. Ihre fünfte Regel – „Keiner hört gerne einem Opfer zu“ – bedeutet auch, nicht zu klagen, sich nicht von Autoritäten, von besorgten Verwandten, Geldproblemen, unzureichendem Equipment und dem inneren Frustteufel aufhalten zu lassen. Diese für viele Filmschaffende zutreffende Parole bekommt im sich gegenseitig ermunternden und hemmenden, Rückendeckung gebenden und kontrollierenden iranischen Kollektiv eine besondere Färbung.

Die berüchtigte Selbstzensur wird konkret, wenn das Gegenüber plötzlich beginnt, über Pornografie zu sprechen, oder wenn die Protagonistin nicht das obligatorische Kopftuch tragen will und fragt: „Willst du mich zensieren?“ Bleibt diese Szene drin, ist der Film draußen. Im Iran dürfen Tahsilis Filme offiziell nicht gezeigt werden. Wie verträgt sich das mit ihrer Forderung, dass iranische Filmemacher lokal filmen, aber immer auch global denken sollten? Immerhin gibt es den Underground, die eingeschworene Solidargemeinschaft der Kollegen, aufregende Privatvorführungen vor 60 Leuten. Mindestens fünf Monate Zeit hat die äußerst mutige Negar Tahsili nun, als Fellow der Kölner Akademie ein Projekt zu entwickeln, ohne innere und äußere Beschränkungen. Fast: Geld braucht man natürlich überall.