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Archiv-Artikel

Nichts geht mehr

Ein Glücksspieler erzählt vom Pech

VON GABRIELE GOETTLE

Addi H. wurde 1964 im Allgäu als Sohn eines Schuhmachers geboren, die Mutter war Sekretärin. Nach der Hauptschule Lehre als Raumausstatter und Dekorateur. Später private Ausbildung bei einem akademischen Maler. Versuche, sich als Kunstmaler selbständig zu machen, wechseln mit diversen Jobs, unter anderem in Fabriken, und mit längerer Arbeitslosigkeit. Jahrzehntelange Versuche, durch Glücksspiele ein Vermögen oder wenigstens ein Auskommen zu erwerben, scheiterten gründlich. Momentan bezieht er Hartz IV und versucht einen Neustart als Maler und Existenzgründer. Er plant, in die Hauptstadt umzuziehen. Addi ist geschieden und hat drei Kinder.

Am 8. Sept. 2010 wurde vom EuGH in Luxemburg das staatliche Glücksspielmonopol in Deutschland gekippt. Die Begründung war, Deutschland mache zu viel Werbung für Glücksspiele, um glaubhaft Glücksspielsucht verhindern zu wollen – was ja, laut deutschem Glücksspielstaatsvertrag (2008), der erste Zweck des Monopols ist – insofern sei das Monopol nicht mehr gerechtfertigt. Dem Europäischen Gerichtshof ging es aber nicht darum, Sucht und Glücksspiel einzudämmen, sondern um die Beseitigung von „Wettbewerbsverzerrungen“ auf dem europäischen Glücksspielmarkt. Das Urteil ebnet unter anderem den Zugang für deutsche Spielsüchtige zu bisher bei uns verbotenen Internet- und Europa-Lotterien wie „EuroMillions“, die mit Megajackpots zum Spieleinsatz verführen.

Es gibt immense, durch Experten gestützte Bemühungen der Politik, das Spielverhalten der Lotteriespieler nicht einer Spielsucht zuzuordnen, sondern als reines, staatlich geschütztes Freizeitvergnügen auszugeben. Dabei ist doch offensichtlich, dass ein solch milliardenschweres Geschäft die Spielsucht geradezu voraussetzt! Wenn Woche für Woche Millionen von Lottoscheinen verkauft werden, mit einem jährlichen Umsatz von 5 bis 6 Milliarden Euro, wenn mehr als die Hälfte der volljährigen Bevölkerung ein Leben lang wie in Trance Tippscheine kauft, ohne jeden Nutzen, bei einer Gewinnchance von 1:140 Millionen, bei einer Chance auf Nichtgewinn von 95,75 Prozent, ist das ja der unmissverständliche Ausdruck einer Zwangshandlung. Diese Sucht, besonders bei den sogenannten unteren Einkommensschichten, Woche für Woche auf den Riesenjackpot zu hoffen, wird durch massive Werbefeldzüge der Klassenlotterien und des Toto- und Lottoblocks geradezu erzeugt. Der Einsatz – immerhin im Durchschnitt etwa 4 Prozent vom jährlichen Haushaltseinkommen – für diese letzte Hoffnung auf soziale Veränderung, geht an die Betreiber und an den Staat verloren. Beim Roulette beträgt der durchschnittliche Verlust des Spielers 2,7 Prozent, beim Lotto sind es 50 Prozent.

Ein weiterer sich rasch vermehrender Glücksspielmarkt ist das Automatenspiel. Laut Statistik bringt es die höchste Suchtkrankenrate hervor. Geldspielautomaten unterstehen nicht dem staatlichen Glücksspielmonopol, sondern lediglich dem Gewerberecht. Sie zählen offiziell nicht direkt zu den Glücksspielen, sondern gelten, so der Bürokratenjargon, als „Unterhaltungsautomaten mit Geldgewinnmöglichkeit“. Es wird eine sogenannte Vergnügungssteuer auf das Einspielergebnis pro Automat erhoben. Der Prozentsatz schwankt von Gemeinde zu Gemeinde, im Durchschnitt zwischen 11 und 20 Prozent. Der jährliche Umsatz der Glücksspielautomaten beträgt mehr als 3,5 Milliarden Euro. Im Gegenzug wird ein wenig Fürsorgepflicht an den Tag gelegt, zum Schutz der Spieler. Der Spielablauf der Automaten ist gesetzlich geregelt und wird überwacht. Vorgeschriebene Mindestlaufzeit pro Spiel ist 5 Sekunden bei einem Höchsteinsatz von 20 Cent. Die Summe der Verluste darf 80 Euro pro Stunde, die der Gewinne 500 Euro pro Stunde nicht überschreiten. 60 Prozent der Gewinne muss wieder ausgegeben werden. An jedem Automaten muss deutlich sichtbar ein Aufkleber zu sehen sein, mit der Warnung vor Spielsucht und einer Hotlinenummer für Suchtberatung.

Unkontrollierbarer und vielleicht noch suchterzeugender sind in Zeiten sozialer Phobien die Internetglücksspiele. Für Gefährdete gibt es eine Software zum Herunterladen, mit der sich Internetpoker und Online Casino blockieren lassen. Kostenlos und nicht zu deinstallieren. Was aber wenig nutzen wird, denn gerade diese Einsicht ist den Spielsüchtigen ja vollends abhanden gekommen.

Seit 2001 ist Glücksspielsucht eine anerkannte Krankheit. Zu den Spielsüchtigen werden seit einiger Zeit auch Börsenzocker gezählt, die der Kick des totalen Risikos auf den globalen Finanzmärkten süchtig gemacht hat. Immer häufiger tauchen in den Selbsthilfegruppen und psychotherapeutischen Kliniken gescheiterte Spekulanten auf.

Spieler sind in der Regel unansprechbar, wenn sie an Spieltischen oder Automaten ihre hochkonzentrierte tägliche „Arbeit“ verrichten. Sie sind eine sehr scheue Spezies und möchten weder über sich noch das Spielen reden. Selbst anderen Spielern gegenüber herrscht eine gewisse Reserviertheit. Deshalb war ich nach längerer vergeblicher Suche sehr froh, als ein alter Bekannter mir Addi H. empfahl, der sich sofort bereiterklärte.

„Nennen Sie mich einfach Addi. So unterschreibe ich meine Bilder. Wenn ich noch male, was selten vorkommt. Vom Malen kann man ja nicht leben. Die wollen alle nur haben, haben. Am liebsten umsonst. Aber da steckt ja Arbeit drin und Material! Ich hab schon alles hinter mir, auch Dalí. Das darf ich ja, wenn ich meinem Namen drunterschreibe. Ich male alles, alle Stile, alle Richtungen. Für Salzburg, da habe ich mal für eine Bank eine Serie gemacht, von einer ganz berühmten Balletttänzerin aus dem Bolschoitheater. Verschiedene Tanzposen. Solche Aufträge sind leider viel zu selten. Das ist auch der Grund, weshalb ich nach Berlin will. Dort unten im Allgäu, unter den Schwaben, da ist die Kunst ganz klar brotlos. Airbrush mache ich, jedes Motiv. Und Illusionsmalerei auf Wände mache ich natürlich auch, Architektur, Landschaften, Pflanzen, Tiere.

Der unauffällige Spieler

Aber Sie wollten ja das andere wissen. Als Erstes will ich mal sagen, was das Wichtigste ist bei einem Spieler. Dass er nicht auffällt als pathologischer Spieler. Spielsucht hat ein ganz schlechtes Ansehen, außerdem kann man eine Casinosperre kriegen. Ja, also ich bin schon in der Schule damit groß geworden, das fing an so mit Münzenwerfen gegen eine Wand und dann ging das weiter mit Flippern. Und wie! Freispiele! Aber da war ja noch Geschicklichkeit gefragt. Habe auch mal am Automaten ein bisschen gespielt. Da hat man 20 Pfennig reingeschmissen und dann gingen die Walzen und die Lichter an, klack, klack, klack. Äpfel, Birnen, Pflaumen! Die Bildchen waren damals sehr filigran, nicht so grob wie heute. Das sah einfach auch schön aus. Die ganz alten Automaten, die konnte man auch noch manipulieren, ein 5-Mark-Stück an einem Faden reinlassen usw. Heute ist alles manipulationssicher, ja, alles digitalisiert. Keine Walzen mehr, nichts. Da ist nur noch etwas, das der vorgaukelt. Digitale Bilder. Heute weiß ich nicht mehr, was der mit mir macht, der Automat. Die elektronischen Automaten damals liefen am allerbesten. Da konnte man noch hochdrücken bis auf 100 Sonderspiele. Ich hatte einen Automaten, den habe ich gut gekannt, an dem konnte ich jeden Tag 200 bis 400 Mark gewinnen. Investiert habe ich maximal 50 Mark. Eines Tages war er weg. Abgehängt! Du kommst rein, und dein ‚Schmusi‘ ist weg und da hängt ein anderer. Das ist bitter. Wenn einer zu viel gespuckt hat, wurde der einfach ausgetauscht.

Beim digitalen Automaten, da habe ich 32 Spiele zur Auswahl auf einem Touchscreen. Vorher waren dafür viele Automaten nötig. Die Hersteller lassen sich laufend was Neues einfallen. Spiele, die man gar nicht mehr durchschaut. Man hat keine Übersicht mehr. Also wählt man immer nur die paar, die man gut kennt. Die Hersteller haben sich das so gedacht, geben wir doch die populärsten Spiele alle in einen Automaten, dann hat jeder immer gleich das vor sich, was er braucht, macht den voll und muss nicht erst weit laufen. Und das gilt landauf, landab. Wenn ich hier in Berlin bin, da finde ich genau dasselbe Spiel wieder wie zu Hause. Auch wenn es nur in einem Imbiss ist. Jeder hat so seine Vorlieben bei den Spielen. Ich habe letztes Jahr auch wieder viel ‚Früchte‘ gemacht. Ich mag so ein Freispielgezeter einfach nicht. Das muss bei mir gleich ‚rauchen‘. Wenn es klingelt, dann muss das Geld auf dem Konto sein.

Gut. Also mit 14 habe ich schon an Automaten gespielt, mit meinem Taschengeld. Man konnte maximal 50 bis 100 Mark gewinnen, theoretisch. Während der Lehrzeit dann bin ich mittags in der Pause los, ganz klar! Los und zocken. Am Automaten. Dann bin ich weggezogen, nach Aichach, das ist eine kleine Stadt in der Nähe von Augsburg. Da ging’s dann richtig los. Ich habe nicht nur Automat gespielt, da fing das auch schon mit Karten an. Pokern am Tisch. Damals gab es ja diese modernen Formen noch nicht, Pokern im Internet und solche Sachen. Da gab’s auch noch kein Internet. Gespielt habe ich aber in der Hauptsache an Automaten. Und irgendwann hat mal jemand gesagt, komm, schauen wir doch mal ins Casino. Und da bin ich rein, habe mich orientiert, wie das dort alles läuft. Habe gleich 250 Mark gewonnen und natürlich weitergespielt. Ich kannte das ja schon von den Automaten, gewinnen, verlieren, gewinnen, verlieren. Und das ging dann über Jahre, immer mal wieder ins Casino. Meistens verloren. Aber einmal, da habe ich 50.000 Mark gewonnen!! Ich habe weitergespielt und 14.000 Mark verloren – aber mit 36.000 Mark bin ich dann trotzdem nach Hause gegangen. Na, wenn man nur 200 Mark dabei hatte, dann ist das schon eine große Sache. Um die 14.000 hat es mir nicht leidgetan, Verluste tun einem Spieler nie leid, auch dann nicht, wenn alles weg ist. Ich weiß nicht, das kann ich nicht erklären. Gut, man kotzt immer ab, wenn man verliert. Aber der Reiz beim Spiel, der ist unglaublich. Das Verlangen? Ja, es ist eine schwere Sucht! Der Reiz und das Geld, das ist eine ganz üble Kombination. Natürlich spielt man, um zu gewinnen, nicht um zu verlieren, ganz klar, logisch. Aber man muss als Spieler bereit sein, alles zu verlieren. Alles!

Man träumt schon davon, man freut sich, morgens aufzustehen, gepflegt seinen Kaffee zu trinken, und dann auf zum Zocken! Gut, dann geht man am Ende mit einem meterlangen Hals, für den man eine Schubkarre braucht, wieder nach Hause, wenn man verloren hat. Ich schätze, so ist es meistens. Aber das Gefühl, heute gewinne ich! Das ist immer wieder da. Und deshalb kann ich gar nicht zu Hause bleiben, denn es überwältigt mich. Diese Gewissheit ist da. Gebremst werde ich höchsten durch Ebbe in der Kasse. In dem Fall leiht man sich eben Geld. Meine Spielschulden habe ich immer gleich zurückbezahlt. Da ist nichts offengeblieben. Kann mich überall sehen lassen. Gut. Und wenn ich also dann losgehe, muss ich mich nur noch entscheiden, wohin ich will. An einen Automaten, ins Casino, oder pokern. Oder es gibt was, das ich jetzt noch gar nicht gesehen habe, da gehe ich dann auch mal rein. Aber letzten Endes ist es ja wurscht! Jedenfalls sitze ich unter Umständen 10 bis 12 Stunden und bin dann fix und fertig. Hundemüde, Kopfschmerzen. Habe fast schon Blasen an den Fingern. Und dann ist dauernd diese Geräuschkulisse, wie in einem Maschinenraum. Es ist, als ob man am Fließband gearbeitet hätte, den ganzen Tag, plus Überstunden. Und das alles unbezahlt!

Aber ich gehe am nächsten Morgen wieder aus dem Haus, bei Wind und Wetter! Und ich werde wieder spielen. Ich habe ein gutes Gefühl. Aber auch wenn ich ein schlechtes Gefühl habe, werde ich spielen. Denn manchmal hat man ein schlechtes Gefühl und gewinnt, manchmal hat man ein gutes und verliert. Aber das tut dem Spiel keinen Abbruch. Und sagen wir mal, ich habe nur noch 20 Euro, dann überlege ich, wie viel möchte ich trinken, das tu ich mir weg. Und was übrig ist, dieser Rest, geht baden. Der Hintergedanke, heute wirst du wieder rauskommen aus der Spielhalle als der totale Verlierer, der ist gar nicht mehr relevant. Das habe ich schon tausendmal erlebt. Ich muss es gar nicht mehr vergessen, weil es mir zu einer Gewohnheit geworden ist. Rauszugehen und nichts zu haben, das kenne ich. Das ist letzten Endes der Grund fürs Spielen. Also man wird süchtig, weil man verliert, nicht weil man gewinnt.

Und auch diese Atmosphäre in den Spielhallen, die ist direkt zugeschnitten auf die Spieler. Ich habe ja selber Spielhallen entworfen. Habe Aufträge gehabt. Die auch bemalt. Den Eingangsbereich hell, zum Beispiel mit einem auffallenden Muster, so dass jeder gleich sagt: Wow! Und wenn man vom Hellen ins Eigentliche kommt, da muss dann sofort dieses Dämmrige, Wohlige, Flauschige sein. Da musste das dann auch rübergebracht werden mit der Beleuchtung, so eine Gefühlsfläche mit gedämpftem Licht. Wie abends in einem gemütlichen Wohnzimmer. Weihnachten, mit vielen bunten Lichtern. Und es gibt ein bisschen Ähnlichkeit mit der Rotlichtatmosphäre, auch weil von außen die Läden ja blickdicht sein müssen. Alles, damit der Kunde, der da reinläuft, sich auf der Stelle wohlfühlt und sicher. Manche geben kleine Snacks und kostenlose Getränke ohne Alkohol aus, andere nicht. Es muss einfach perfekt sein. Und für den Körper superbequem. Gepolsterte Ledersitze mit Rücken -und Armlehne, mit Beinstützen, damit das Blut nicht gestaut wird beim langen Sitzen. Da kostet einer leicht 1.000 Euro. Also wenn das ein kahler Raum mit Neonlicht wäre, in dem die Maschinen sind, und die Leute davor müssten stehen beim Spielen, da würde kein Mensch so lange da drinbleiben. Nie! Aber diese Spielhallen- oder höllen, die sind halt komfortabel für die einfachen Schichten, die fühlen sich von dieser Automatengemütlichkeit da angezogen.

Geräuschloses Casino

Die oben, die haben ihre Spielbanken. Das sind getrennte Welten. Meistens haben die Leute, die in eine Spielhalle gehen, nicht viel zu tun mit Leuten, die ins Spielcasino gehen. Casinospieler werden niemals eine Spielhalle betreten. Auf die Idee würden die gar nicht kommen! Der kleine Zocker wiederum, der würde sich komisch fühlen in einer Spielbank. Man muss ja auch mehr Geld dabeihaben, es gibt Ausweispflicht und Anzugspflicht fürs große Spiel. Und es ist alles aus Gold und Marmor im Eingangsbereich, prunkvoll und echt. Allein diese Kronleuchter! Es sieht wunderschön aus. Da ist halt alles roter Teppich, so dick, als ob man auf Socken schweben würde. Und an den großen Tischen sitzen Leute, die teilweise mit unvorstellbaren Einsätzen spielen. Es gibt Jetons, die kosten 500 Euro, der höchste kostet sogar 1.000 Euro. Der niedrigste Einsatz ist 5 Euro. Das Spiel dauert so 10 bis 15 Sekunden. So lange etwa läuft die Kugel, der Kessel dreht sich, glaube ich, 2 Sekunden ungefähr. Und die Geräuschkulisse, alles supergedämpft. Das sind halt so die Unterschiede. Ich musste mich damals auch erst daran gewöhnen. Aber nach einer Weile achtet man gar nicht mehr darauf. Ich muss nur wissen, wie die Regeln sind, ich mache mein Spiel, und wenn ich gewinne, bekommt das Personal ein Stück als Trinkgeld.

In den Casinos gibt es ja auch immer die ‚kleinen Spiele‘, also die Automatenspiele, Slot-Maschinen, einarmige Banditen, meistens im Untergeschoss – in Wiesbaden sind die nebenan in den Kurhauskolonnaden. Manche Automatenräume haben verspiegelte Decken oder so eine Art Himmel mit kleinen Lämpchen, bei manchen sind die Wände dunkelviolett. Das ist wohl die Farbe, die irgendwie das Spielzentrum beeinflusst, die kommt auch bei der Automatenbe-leuchtung oft vor. Jedenfalls, alles funkelt und glitzert. Die normalen Spielhallen auf der Straße sind mir aber meistens lieber. Da sitzt man entspannter, wenn man verliert.

Es ist ja so. Es steht zwar auf keinem Automaten drauf, aber er muss bei einer Million von Spielen eine Gewinnausschüttung haben von 60 Prozent. Wenn ich spiele, dann weiß ich ja nicht, wann komme ich in eine Ausschüttungsphase, in einen Lauf rein? Da frage ich mich natürlich, wo sind die 60 Prozent? Wenn man sich gut auskennt, dann kann man dem Automaten ein bisschen ansehen, ob er schon ausgeschüttet hat oder nicht. Manchmal brennen bestimmte Lichter, die einem ansagen, das ist machbar, das kannst du holen. Oder aber es gibt Lichter, da, wo man die Scheine reinmacht. Wenn die aus sind, hat er kein Kleingeld. Es sind nur ganz kleine Anzeichen. Es passiert ja, dass der Automat sich leergespielt hat. Das erkenne ich, wenn ich das Geldstück reinwerfe, obwohl das alles digital ist. Dann ist er auch ruhig. Beim Füttern macht er ja keine Geräusche, nur beim Gewinn. Also ich höre das, wenn die Münze fällt. Ich höre genau, wie weit fällt die. Und wenn die bis unten durchfällt, dann weiß ich, der ist voll, voller geht’s nicht! Die Röhren sind voll. Weil, wenn die Röhren voller Geld sind, dann fällt das Geldstück nicht mehr in die Röhre, sondern gleich nach unten in so ein Behältnis, wo es dann ‚hmms‘ macht. Daran erkenne ich, der ist fällig. Und dann bleibe ich dran, denn sonst holt es sich ein anderer, was auch schon oft passiert ist. Das ist dann richtig übel. Klar!

Trapp, trapp – alles ist weg

Die Automaten in den Casinos sind anders, da hört man gar nichts. Da können kleine Anzeichen bei 20 Euro leicht in die Irre führen. 20 Euro, das dauert eine Minute, und dann ist nichts mehr übrig. Gut, wenn da was kommt, dann rummst es richtig! Aber in der Regel, das geht trapp, trapp, trapp, und alles ist weg. Es sei denn, ich komme in eine Serie, in einen Lauf, oder in so eine Reihe – und dann kracht’s! Klar. Aber ansonsten sind 400 Euro, 500 Euro, ruck, zuck weg. Obwohl es keinen Automaten gibt, in den mehr als 2 Euro reingehen pro Spiel, pro digitaler Umdrehung von ‚Walzen‘, also 5 Sekunden lang. Dann sind die weg. Oder es scheppert halt und es sind 60. Das klingt jetzt alles nach Hektik. Beim Spielen gibt es aber auch so eine Art Ruhe. Alles andere wird unwichtig und verschwindet. Auch die Zeit. Das Zeitgefühl. Es ist ja auch dämmrig. Da vergehen Stunden, unter Umständen, ohne dass ich was davon merke, Dann wird es manchmal sogar eintönig, wenn ich längere Zeit nichts gewinne. Da könnte ich mich genau so gut vor eine Waschmaschine setzen.

In den Phasen, wo es zu lange dauert, wird es stressig. Auch weil ich höre, wie andere gewinnen, und bei mir frisst der nur weg, was ich ihm reinfüttere. Deshalb habe ich mir mit der Zeit angewöhnt, ich gucke einfach weg. Ich habe gelernt, mich zu entziehen. Gucke überall hin, auf keinen Fall aber zu meinem Automaten. Viele verstehen das nicht. Aber ich gewinne einfach nichts, wenn ich immer hingucke! Wenn ich mich wegdrehe, dann warte ich praktisch auch nicht. Erst wenn es klirrt, dann schau ich hin und gucke, wie viel. Denn mich interessiert das NULL! Sonst regt man sich ja nur auf. Klar bilde ich mir da was ein. Nirgends gibt es so viel Aberglauben wie bei den Spielern. Das ist völlig abnorm. Systeme, alle haben irgendwelche Systeme, todsichere! Oder man setzt auf ‚Glück‘, auf Intuition. Man glaubt an alles und an nichts, manchmal hilft es, manchmal nicht. Bei mir ist es so. Wenn ich Hunderter und Tausender in der Tasche habe, dann KANN ich nicht verlieren. Ich spiele so lange, bis ich gewinne, und wenn ich 1.000 Euro reinschmeiße. Er muss es geben, das Geld! Und wenn er dann im Verlauf wieder 1.000 gibt, na gut, dann ist zwar nichts gewonnen, ich habe aber auch nichts verloren, obwohl es recht eng war. Man hat so eine Art Selbstbestätigung. Das ist natürlich ein Selbstbetrug. Klar! Jeder kann ja gewinnen, das ist keine persönliche Leistung. Aber im Prinzip ist es so, dass jeder Spieler immer in der Hoffnung lebt, ein kleines Vermögen zu gewinnen, oder dass er mindestens das wieder rauskriegt, was er mal reingesteckt hat. Aber meistens verliert man eben, hat seine Pechsträhne und investiert vergeblich sein Geld. Richtig viel Geld!

Ich glaube, der zahlendste Bürger ist der, der spielt. Da hängen Existenzen dran, ganze Familien, die das oft gar nicht wissen. Bei uns war es so: Meine Frau hat ja auch gespielt. Beide saßen wir da, einer links, einer rechts. Woher wir das Geld hatten? Sozialgelder vom Sozial-und Arbeitsamt. Bei drei Kindern hatte man schon so viel Geld, dass man nicht verhungern muss. Und wenn man hergeht, am 1. des Monats richtig einkauft und ein bisschen kalkuliert, dann bleibt ganz schön was zum Spielen übrig. Sie war auch noch Alkoholikerin, musste ihren Frust ja ersäufen. Unsere Ehe hat natürlich nicht gehalten, unter diesen Umständen. Ich habe auch getrunken, war eines Tages in der Uniklinik als Notfall, eine Gelbsucht, von heute auf morgen. Klar! Leberschaden. Das war dann der Grund, wo ich gesagt habe: Jetzt ist Schluss!

Genauso mit dem Glücksspiel. Mein ganzes Leben hat das bestimmt und geprägt, das Spiel. Ich hatte Glück und Pech. Mit allem! Ich habe mich an alte Zeiten erinnert, als ich in der Fabrik gearbeitet habe, richtig hart gearbeitet. Und wenn es Lohn gegeben hat, dann bin ich ins Casino gegangen und kam abends mit 20 Mark nach Hause. Am Ersten! Pech gehabt! Da stand mir der Schweiß auf der Stirn. Ich dachte immer, irgendwann kommt er mal, der große Moment. In der Spielhalle genauso. Aber der Automat macht sein Programm runter. Man ist als Mensch für ihn gar nicht vorhanden. Nur, ich habe mit dem ja eine Kommunikation. Das ist wie ein Zwang. Ist doch komplett irre! Ich habe Geld da reingewälzt, in die Spielerei, über Jahrzehnte, grob gerechnet war das so eine Dreiviertelmillion. Bis zur totalen Pleite. Geld, das mir fehlt letztlich, bis heute. Früher habe ich mir immer gesagt, ich will mein Geld zurück, das die gefressen haben, und dann höre ich auf. Aber Tatsache ist einfach, man kann gar nicht zurückgewinnen. Es geht nicht!

Und deshalb spiele ich auch nicht mehr. Ich lasse mich doch nicht mein Leben lang verarschen! Vor einem Jahr habe ich das Spielen schleichend abgesetzt. Wenn ich einen Hunderter in der Tasche hatte, habe ich mir gesagt: Gut, 10 Euro, mehr kriegt er nicht. Wenn ich gewonnen habe, hab ich es rübergebucht und so lange weitergespielt, bis das weg war. Oft hat er nicht aufgehört. Hat mich immer wieder gewinnen lassen. Aber ich wusste, ich muss den Gewinn und das Limit verzocken. Dann geh ich mit meinen 90 nach Hause, und was das Wichtigste daran ist: ICH bestimme jetzt, wie es läuft. Meine Spielsucht ist befriedigt und ich bin nicht ruiniert. ICH mache den Automaten fertig, und nicht der mich! So halte ich meine Sucht unter Kontrolle. Geld interessiert mich auch einfach nicht mehr so wie früher. Es hat komplett an Bedeutung verloren. Ich kämpfe jetzt nicht mehr so darum. Ich hatte genug Geld in meinem Leben, stellenweise. Also das ist es nicht. Aber der Zwang ist immer noch da. Wenn ich einen Automaten sehe, egal welchen, dann ist er da, dieser Zwang, haltlos mein Geld reinzuschmeißen. Nach einem Jahr, immer noch!“