: „Atta war ein ruhiger Mieter“
Immobilienmakler Thorsten Albrecht verwaltet das Haus in der Marienstraße 54. Er hat 1998 den Mietvertrag mit dem Todespiloten Mohammed Atta geschlossen. Heute plagen ihn die Medien
INTERVIEW SILKE BIGALKE
taz: Warum haben Sie damals, 1998, die Wohnung in der Marienstraße 54 an Mohammed Atta und seine beiden Komplizen vermietet?
Die drei kamen zu einer offenen Wohnungsbesichtigung und wollten als studentische Wohngemeinschaft einziehen. Es gibt viele Studenten in Hamburg. Doch bei diesen Herren stimmte die Bonität. Der eine hatte sogar ein Stipendium bekommen. Die waren also absolut in Ordnung.
Achtet man als Makler nicht auf den persönlichen Eindruck?
Doch, natürlich. Nichts ist schlimmer, als wenn Mieter ein Haus in Aufregung und Schrecken versetzten. Aber Mohammed Atta hat sich nicht von anderen Menschen unterschieden. Als Mieter waren er und die anderen ruhig, hatten nur immer viel Besuch. Auch ich hatte freien Zutritt zu der Wohnung, selbst wenn ich ohne Voranmeldung kam. Das einzig Besondere: ich musste meine Schuhe vorher ausziehen. Und diese Regel würde ich mir von allen Mietern wünschen, dann bleibt der Fußboden länger heile.
Wie haben Sie davon erfahren, wer Atta in Wirklichkeit war?
Schon am Tag des Attentats wurde gemeldet, dass die Spuren nach Hamburg führen. Zwei Tage später hieß es: Hamburg - Harburg. Ich bin in Gedanken durchgegangen, welche Wohnungen zeitnah vermietet waren. Da brauchte ich kein Prophet sein. Ich habe nur noch gehofft, dass es nicht die Mieter aus der Marienstraße sind.
Aber dann waren sie es doch.
Ja. Als ich am selben Tag um 22 Uhr nach Hause kam, fuhr die Polizei mit einer größeren Mannschaft vor. Da wusste ich bereits von meinem Büro, dass sich Polizei und diverse Übertragungswagen auch in der Marienstraße tummelten. Ich habe den Polizisten alle Unterlagen, auch die Kopien der Personalausweise von den Attentätern, gegeben. Aber als die mich mitnehmen wollten, habe ich mich strikt geweigert.
Warum?
Ich hatte einen 16-Stunden-Tag hinter mir. Und das alles ist überstürzt worden und hätte besser koordiniert werden können. Die Polizei hat ja sogar zuerst das falsche Haus gestürmt, weil die Amis die falsche Adresse nach Hamburg geschickt hatten.
Wie haben die Bewohner in der Marienstraße auf den Trubel reagiert.
Die waren erschrocken. Aber ausgezogen ist deswegen keiner. Mieterwechsel hat es erst dann gegeben, als die Bewohner von den Medien so penetrant genervt wurden. Weder das Fernsehen noch die schreibende Zunft haben Rücksicht auf die Menschen genommen. Das fand ich befremdlich und erschreckend.
Wie sind die Medien aufgetreten?
Die kamen zum ersten Jahrestag, zum zweiten, und immer wieder zum 11. September. Wenn dann beim ersten Klingeln niemand aufmacht, läuten die einfach weiter. Die Menschen in der Marienstraße 54 sind ständig belästigt worden. Der Begriff „zu Hause“ verliert dann irgendwann seine Bedeutung. Das ist keine Zufluchtsstätte mehr. Die Wohnung Atta stand über ein Jahr lang leer, weil keiner ungestört darin wohnen konnte. Immer wieder sind genervte Mieter ausgezogen.
Einem Terroristen eine Wohnung zu vermieten – ist das das Schlimmste, was einem Makler passieren kann?
Wir haben nicht ausgerechnet, wie viel Geld wir dadurch verloren haben. Weil wir ständig im Zusammenhang mit den Anschlägen durch die Zeitungen geisterten, haben wir weniger Aufträge bekommen.
Sind Sie jetzt vorsichtiger neuen Mietern gegenüber?
Nein, wir arbeiten mit derselben Technik wie vorher. Wir suchen Mieter, die regelmäßig zahlen können und in die Hausgemeinschaft reinpassen. Uns interessiert der wirtschaftliche Background. Psychologische Tests haben wir noch mit niemandem gemacht.
Was empfinden Sie, wenn Sie vor der Wohnung Marienstraße 54 stehen?
Wir reden über eine Wohnung: vier Wände, ein paar Fenster und eine Tür. Natürlich löst es bei mir Betroffenheit aus, wenn ich Berichte höre über Menschen, die die Anschläge in New York miterlebt haben. Aber hier sind wir weit weg davon. Und wo die Anschläge tatsächlich geplant worden sind, weiß man bis heute nicht. Die Marienstraße ist kein Tatort. Sie ist nach wie vor nur eine Hausnummer in Hamburg.