: Mit Glück und Köpfchen
240 geistig behinderte Sportler aus Berlin nehmen an den National Games der Special Olympics teil. Morgen werden die Wettkämpfe in der Schmeling-Halle eröffnet. Das Team „Lokomotive Lebenshilfe“ hofft auf eine Medaille im Basketball
von Christine Schmitt
Podolski trifft nicht. Der Basketball prallt gegen den Ring. „Mist“, ruft Benjamino Vaccarezza und macht eine wegwerfende, etwas steife Armbewegung. Doch der 21-Jährige im Podolski-Trikot lässt sich nicht entmutigen und erkämpft sich den Ball zurück. Detlef Große stürmt mit. Jacqueline Löser hingegen sitzt auf der Bank, traut sich nicht so recht und schaut schüchtern zu.
In der Sporthalle am Königshorster Weg in Reinickendorf kämpfen die Athleten der Ballsportgruppe „Lokomotive Lebenshilfe“ konzentriert um Punkte. Doch wenn einer in Richtung Korb läuft, kann es schon mal sein, dass alle ihm den Weg freihalten. Und wenn ein Sportler einen anderen gefoult hat, geschieht es nicht selten, dass er zum Schiri geht, das Foul gesteht und sich entschuldigt. Die 15 Sportler, die hier in Richtung Körbe stürmen, gelten als geistig behindert. Sie trainieren für die National Games der Special Olympics, die morgen beginnen.
Eröffnet werden die Spiele in der Max-Schmeling-Halle von Bundespräsident Horst Köhler. Teilnehmen dürfen nur geistig und schwerbehinderte Menschen ab acht Jahren, deren Intelligenzquotient unter 75 und damit deutlich unter dem Durchschnitt liegt. Zu den viertägigen Spielen, die in der Max-Schmeling-Halle, im Friedrich Ludwig Jahn-Sportpark, im Europasportpark Landsberger Allee, im Olympia-Park und im Wassersportzentrum Grünau statt finden, werden mehr als 2.700 Athleten aus Deutschland, Israel, USA, England und Polen erwartet. Darunter fast 240 aus Berlin, sagt Pressesprecherin Maria Stark. 15 olympische Sportarten wie Badminton, Judo, Roller Skating, Gewichtheben, Leichtathletik, Kanu und Voltigieren stehen auf dem Programm.
„Wir trainieren gerade etwas härter als sonst“, sagt Trainer Arnold Frie, „denn wir wollen eine Medaille holen.“ Da er festgestellt hat, dass seine Sportler besser Basketball als Fußball spielen, wollen sie in dieser Disziplin in der unteren der drei Leistungsgruppen mitmachen.
Benjamino Vaccarezza kann es kaum noch erwarten. Schon seit Wochen löchert er seine Eltern, wann die Wettbewerbe endlich losgehen. Bereits am Morgen beginnt er mit Gymnastik, berichtet seine Mutter Monika Freidling-Vaccarezza. „Ich war schon vor zwei Jahren in Hamburg dabei“, sagt der 21-Jährige. Die Silbermedaille, die er dort im Fußball gewann, hat in seinem Zimmer einen Ehrenplatz. Es war seine erste Reise in einer Gruppe ohne Eltern.
Mit verdrehten Füßen, einer Skoliose und einem Schiefhals kam er auf die Welt. Er lernte wesentlich später laufen und sprechen. Sobald er konnte, wollte er bei „Trainer Arnold“ bei der Lokomotive Lebenshilfe mitmachen. Mit neun Jahren ging es los. Zu Beginn sei es schon mal vorgekommen, dass er auf das falsche Tor schoss. „In einem normalen Verein hätte er keine Chance gehabt, mitzuspielen“, meint seine Mutter. Diese Erlebnisse seien wichtig für ihn, der Sport tue ihm einfach gut.
„Kurze Pause“, ruft Arnold Frie. Erst Warmlaufen, dann Basketball und schließlich eine Stunde Fußball – so sieht der Trainingsplan aus. Aus Spandau, Lichtenrade, Zehlendorf und Kreuzberg kommen die Athleten. Sie kennen sich schon lange, so Frie. Der Sonderpädagoge betreut die Gruppe seit 18 Jahren.
Detlef Groß geht schwerfällig zu seiner Wasserflasche. Er ist seit zwölf Jahren mit von der Partie. „Hier ist es besser als woanders“, sagt der 43-Jährige knapp. Denn es sei abwechslungsreich. Das mag er. Er hat eine Minderbegabung und ist an seinen Knochen erkrankt, beschreibt er sich selbst. Unter den „Special Olympics National Games“-Teilnehmern ist Groß ein alter Hase – es werden seine dritten sein. Viele Reden gebe es bei der Eröffnung, das gefalle ihm.
„Komm, spiel mal mit“, fordert der Trainer Jacqueline Löser auf. Sie ist erst 17 Jahre alt und die einzige Frau unter den Akteuren. „Aber das ist mir egal.“ Nun lässt sie sich bitten und erhebt sich langsam, diesmal zum Fußballspielen. Manchmal sei ihr der Sport zu anstrengend, gesteht sie. Bewegungen fallen ihr schwer. Was der Grund für ihre Behinderung ist, weiß sie nicht. Jetzt läuft sie erst einmal dem Leder hinterher. Ungehindert führt sie den Ball zum Tor, schießt – doch der Torwart hält.
Mit verschwitzten Haaren sitzt Benjamino Vaccarezza auf der Bank und feuert ausnahmslos alle an. Jacqueline Löser greift erneut an und – trifft. „Tor!“, schreit sie und reißt jubelnd ihre Arme hoch. Und das wollen die Berliner Sportler auch bei den Special Olympics National Games tun – Medaille hin oder her.