: Guantanamo in Bochum
Das Publikum durfte nur zuhören: Vanessa Redgrave als Zugpferd für eine Diskussion über Menschenrechte
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sich ausgerechnet auf Fidel Castros Kuba das bekannteste Foltergefängnis der USA befindet. Guantanamo ist das Symbol der Willkür der amerikanischen Regierung in ihrem „Krieg gegen den Terror“, der den Terror immer mehr verschärft. Guantanamo ist zugleich das Machtsymbol George Bushs, das mit jeder Verhaftung ohne Anklage der ganzen Welt signalisiert, dass mit Feinden der USA hart ins Gericht gegangen wird. Hier werden Menschen im Namen der Freiheit interniert und systematisch gefoltert und manchmal nach Jahren wieder als unschuldig entlassen. Jüngst geschehen im wohl spektakulärsten Fall des Bremer Murat Kurnaz.
Vanessa Redgrave ist eine Schauspielerin mit Haltung und ihr Engagement für die Häftlinge von Guantanamo unterstützenswert. So mag es ihr niemand anlasten, wenn sie sich als Zugpferd vor die Lesung und Diskussion “Guantanamo!“ der Triennale spannen lässt, um auf die unhaltbaren Zustände in diesem Lager aufmerksam zu machen. Allein: Wer die Tagespresse verfolgt, konnte der Lesung und Diskussion „Guantanamo!“ in der ausverkauften Jahrhunderthalle wenig Neues abgewinnen. Das Programm wirkte schnell gestrickt und konzeptlos. Bei der Verlesung der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen im ersten Teil der Matinee in verschiedenen westlichen Sprachen hätte man sich einen arabischen Sprecher gewünscht. Dass dieser fehlte, unterstrich im weiteren Verlauf der Diskussion auch die Tatsache, dass hier kein Dialog mit der muslimischen Welt stattfindet, sondern ein moralischer Schulterschluss der Hochkultur mit großen Namen und ohne Risiko. Kontrastiert wurden die paradiesisch anmutenden Menschenrechte mit Augenzeugenberichten ehemaliger Häftlinge aus Guantanamo, die fast nüchtern die Verbrechen schildern, die ihnen zugefügt wurden: psychisch und physische Folter, Willkür, brutale und sinnlose Verhöre, Freiheitsberaubung. Details eines oft jahrelangen Aufenthalts in der Hölle organisiert von der Regierung Bush die die Menschenrechte außer Kraft setzt vor den Augen der Staatengemeinschaft.
Während die Damen Vanessa Redgrave und Frau Kurnaz, Mutter des am 25. August aus Guantanamo entlassenen Bremers, mit einem kurzen gemeinsamen Auftritt für den emotionalen Teil des Programms zuständig waren, machten sich die Herren bereit für das anschließende Panel im Stile des Presseclubs. Hier durfte everybody‘s darling Jonathan Meese sich über sein inneres Kind ausbreiten und Klaus Harpprecht in einer historischen tour de force saftig Vergleiche mit dem Nazionalsozialismus ziehen. Man hört sich selbst gern sprechen und macht hier und da eine theatralische Pause. Lichtblicke sind die Beiträge der Journalistin Melinda Crane, die noch an die Selbstheilungskräfte der US-Gesellschaft und ihres Rechtsystems glaubt.
Die Bildungsbürger sind sich einig an diesem sonnigen Septembertag: Folter ist kein probates Mittel eines erklärten Rechtsstaates. Die Besucher verließen die Veranstaltung in der Bochumer Jahrhunderthalle mit einem schalen Gefühl. Möglicherweise ob der eigenen Machtlosigkeit gegenüber den Menschen unwürdigen und Menschen verachtenden Praktiken auf Guantanamo und anderswo, oder der Uninspiriertheit der Triennale dem eine künstlerisch unbequeme Intervention entgegen zu setzen.
BETTY SCHIEL