: Die große Baby-Baby-Balla-Balla-Revue
Die Geburt als Event und die ersten Babymonate als globales Entertainment: Tom und Katie machen ein großes Geheimnis draus, Brangelina inszenieren ihr Privatleben wie eine Reality-Soap. Für Fortpflanzungsgeschichten gibt es in den geburtenschwachen Gesellschaften ein großes Publikum
VON CHRISTIAN KORTMANN
Hätte Shiloh Nouvel, die jüngste Tochter von Angelina Jolie und Brad Pitt, einen Terminkalender, dann würden sich die Einträge seit ihrer Geburt im Mai dieses Jahres wie eine Prominentenagenda lesen: Kaum auf der Welt, nahm Shiloh bereits ihre Arbeit als Benefiz-Fotomodel auf – denn ihre auch Brangelina genannten Eltern verkauften die Bildrechte für über 7 Millionen Dollar und spendeten das Honorar für einen wohltätigen Zweck. Das Designer-Baby-T-Shirt, das Shiloh auf den Fotos trug, wurde sofort zum Verkaufshit. Dann traf sich Shiloh mit dem Baby der Popsängerin Gwen Stefani zum Spielen am Strand. Und seit kurzem ist Shiloh sogar im New Yorker Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds verewigt. Ganz schön begehrt die Kleine: Nach öffentlichen Star-Hochzeiten werden jetzt auch Geburten, einst intime Akte im Kreißsaal, zu Events, und die ersten Lebensmonate eines Babys zur glamourösen Show.
Plazenta zum Nachtisch
Die Shiloh-Show ist perfekt inszeniert und passt in die Gegenwart der geburtenschwachen Gesellschaften: Je weniger Kinder es gibt, desto aufregender ist das einzelne Exemplar. Vor diesem sozialen Hintergrund haben Brangelina als Avantgarde das neue Genre des Fortpflanzungsentertainment erfunden. In diesen Tagen setzen nun Tom Cruise und Katie Holmes die globale Unterhaltung gekonnt mit ihrer Suri-Show fort: Seit Monaten weigerten sich die beiden Schauspieler, Fotos ihrer im Frühjahr geborenen Tochter zu veröffentlichen. Diese angenehme Zurückhaltung passte so gar nicht zum missionarischen Scientologen Cruise, der während Holmes‘ Schwangerschaft für Aufsehen sorgte, als er ankündigte, unmittelbar nach der Geburt Plazenta und Nabelschnur verspeisen zu wollen. Jetzt wird klar, welche Strategie Holmes und Cruise verfolgten: Durch das scheinbare Bilderverbot schraubten sie das Interesse an den Fotos und deren Marktwert in die Höhe. Wie um die Leerstelle des unbefriedigten öffentlichen Interesses zu füllen, stellt eine New Yorker Galerie die Skulptur „Suri’s Bronzed Baby Poop“ von Daniel Edwards aus: Der Künstler hat den ersten Stuhlgang von Suri in Bronze abgebildet; das Werk soll bei Ebay versteigert werden. Edwards ist nicht dumm, denn aus Scheiße Geld zu machen, man denke an Piero Manzonis „Merda d’artista“, hat in der Kunst ja Tradition.
Alle schweigen außer Mutti
Und selbstverständlich wurde Suri abgelichtet, und zwar von der Star-Fotografin Annie Leibovitz; die Bilder sind letzte Woche im amerikanischen Magazin Vanity Fair erschienen. Leibovitz hat Erfahrung im Baby-Business: Für Vanity Fair porträtierte sie bereits die stillende Jerry Hall und Demi Moore nackt im 7. Monat. Während die öffentlichen hochschwangeren Prominentenbäuche von Moore, Madonna oder Heidi Klum quasi den Fluch der Gebärfaulheit bannen sollten, geht es auch beim Baby-Event nicht nur um Klatsch, sondern um Anregungen, wie man die eigene Fortpflanzung möglichst intensiv zelebrieren kann. Die Scientology-Geburt im Cruise-Style, bei der angeblich alle Anwesenden außer der Gebärenden schweigen mussten, dürfte allerdings nicht viele Nachahmer finden. Dafür sind Brangelina, die beiden weltberühmtesten Sexsymbole, die umso größere Inspirationsquelle: Die 31-jährige Jolie ist nicht irgendein Hollywood- Dummchen – sie eignet sich sowohl als Botschafterin des UN-Flüchtlingshilfswerks als auch als Vorbild für Akademikerinnen. Sie vermittelt ein ebenso idyllisches wie politisch korrektes Kinderkrieg-Komplettpaket: Jolie hat ein Qualitätsmännchen zur Paarung und eine tolle Geburtsklinik gefunden, dann unkompliziert per Kaiserschnitt entbunden und flugs die Schwangerschaftspfunde wieder verloren, dank Ingwertee: 11 Kilo in 3 Wochen!
Wir erinnern uns: Jolie und Pitt hatten sich ins namibische Swakopmund begeben, wo die Polizei die Geburt abschottete wie geheime Dreharbeiten, um Brangelinas hochwertiges Image zu schützen. Im Entwicklungsland Namibia konnten sie zudem zeigen, dass sie über das Elend in der Welt Bescheid wissen und fest entschlossen sind, dieses zu bekämpfen: „Wir freuen uns unglaublich über die Geburt unserer Tochter, aber gleichzeitig ist uns bewusst, dass in den Entwicklungsländern jedes Jahr zwei Millionen Babys geboren werden, die noch am ersten Tag ihres Lebens sterben.“ Namibia wurde zum Dank reich von ihnen bedacht. Sie spenden generell ein Drittel ihres Einkommens für wohltätige Zwecke, sagt Jolie und symbolisiert deshalb für die New York Times einen Trend zur Verantwortung bei den Hyperreichen. Andererseits können Popularität und Reichtum auch Mittel sein, die Welt global zu bespielen und sich die Menschen im Namen des Guten überall gefügig zu machen.
Brangelina inszenieren ihre Tochter in den Medien so, als sei sie nicht nur ein weiterer von sechs Milliarden Schreihälsen, sondern brächte ein besonderes Glücksversprechen in die Welt: Shiloh Nouvel bedeutet auch „Neuer Messias“. Und Messias-gemäß schenkte ihr ein Juwelier einen mit 279 Diamanten besetzten Goldschnuller – nur von Weihrauch- und Myrrhe-Gaben war noch nichts zu lesen. Bei Madame Tussaud liegt die Shiloh-Puppe in einer geflochtenen Wiege, die Figuren der Eltern stehen dahinter, und es läuft afrikanische Musik. Gegen Gebühr kann man sich vor der Szenerie fotografieren lassen, ein Dollar davon geht an die UNICEF: Es fällt schwer, darin keinen Gutmenschenkitsch zu sehen.
Eine weitere Protagonistin der öffentlichen Gebärkultur, Britney Spears, wolle ihr zweites Kind ebenfalls in Namibia zur Welt bringen: So hieß es vorübergehend, wurde dann aber dementiert. Nahe läge es: Gerade posierte Britney mit schwangerem Bauch auf dem Cover des Magazins Harper‘s Bazaar und in ihrem Videoclip „Someday“ zeigt sie sich im Umstandsnegligé. Nun hat sie ihre Wunschliste für die zu Halloween erwartete Geburt ihres zweiten Kindes öffentlich gemacht: Bei der Luxus-Baby-Boutique Petit Trésor in Los Angeles kann man online etwa die maßgeschneiderte „Bonne-Nuit“-Krippe für 2.200 Dollar bestellen, wenn man noch kein Geschenk für Britney hat. Daniel Edwards begeistert sich nicht erst seit Suris erstem Haufen bildhauerisch für Prominentenniederkünfte. Schon bei Spears erstem Kind hat der Künstler den Geburtskult konsequent aufgegriffen und eine Skulptur der gebärenden Britney gefertigt: Sie kniet nackt auf allen Vieren, zwischen ihren Beinen kommt der Kopf des Babys zum Vorschein. Manche mögen das geschmacklos finden, doch kunsthistorisch steht Edwards’ Werk in einer Reihe mit Gustave Courbets Gemälde „L’Origine du Monde“ aus dem Jahre 1866, das anatomisch genau einen weiblichen Unterleib zeigt, oder Lucian Freuds Aktportrait der schwangeren Kate Moss. Edwards sagt, er feiere mit seiner Skulptur die Schönheit der schwangeren Frau und begrüßt Spears’ Entscheidung, die Karriere für das Kinderkriegen zurückzustellen.
Der geplante Kinderkader
Doch hier ist der Pop der Kunst einmal mehr voraus: Denn die neun Monate Schwangerschaft sind längst keine Auszeit mehr, sondern vermarktbares Karrierepotenzial. Auch wenn Angelina Jolie momentan als Schauspielerin etwas kürzer tritt, ist sie als Vorzeigemutter und Benefiz-Beauty präsent wie selten zuvor. Das nächste Kind soll wieder adoptiert werden, ließ sie kurz nach Shilohs Geburt im CNN-Interview, einer Art Familienplanungspressekonferenz, verlautbaren. Seine Nationalität müsse gut mit ihren drei Kindern harmonieren. Shilohs Geschwister, Maddox Chivan und Zahara Marley Jolie-Pitt, adoptierte sie in Kambodscha und Äthiopien. Jolie stellt ihre Familie zusammen wie Fußballmanager die besten Vereinsmannschaften – und redet auch so: „Es wird eine Balance dessen sein, was für Mad und Z zur Zeit am besten ist.“ A la longue soll ein Kader von 12 Kindern angepeilt sein.
Vielleicht bekommen ja Brangelina bald ein Kind in der Südsee oder in Grönland. Sicher ist, dass es hinterher wieder heißbegehrte Fotos gibt. Und die Reihe der Glamourgeburten wird so schnell nicht abreißen, man gebärt sich gerade erst warm und entdeckt die verschiedenen Spielformen rund ums Baby-Event. Die Sache hat noch Potenzial, wie man heute sagt, und Madame Tussaud wird wohl noch eine Menge Baby-Puppen kneten müssen. Das Ganze wäre ja auch etwas für Dieter Bohlen und seine jeweilige Partnerin: Zusammen mit Bild, RTL und Johannes B. Kerner könnten sie eine tolle Babyshow auf die Beine stellen. Aber momentan geht es vorrangig um die Frage: Ist Jennifer Lopez, die mit einer Spinatdiät ihre Fruchtbarkeit steigert, schwanger oder nicht? Die aktuelle Faktenlage ist dem Boulevard immer mal wieder eine Meldung wert.
Ach ja, auch Gottfried Benn hat schon von Fortpflanzungsevents berichtet, im Gedicht „Saal der kreißenden Frauen“. Sein gnadenlos objektiver Befund gilt auch für Babys, die in Blitzlichtgewittern durch die Weltmedien krabbeln: „Durch dieses kleine fleischerne Stück / wird alles gehen: Jammer und Glück. / Und stirbt es dereinst in Röcheln und Qual, / liegen zwölf andere in diesem Saal.“