Ortstermin: Der Bund der Vertriebenen trifft sich zum 25. Heimatmarkt : Ein Samstag in grau-weiß
Im Café Junge an der Mönckebergstraße gibt es kaum Platz, keine Teller und keine Tassen mehr. Es ist viel los. Auch draußen. Nur der Gerhart-Hauptmann-Platz ist bis auf ein paar Zelte leer. Die Vertriebenen bleiben beim Feiern unter sich.
Der Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr Willinghusen sitzt auf dem Platz und spielt, was man hier so für Musik hält. Und das falsch. In den Zelten werden Bücher, Broschüren und Karten verkauft, Kuchen, Likör und Schnaps. Erstaunlich viel Schnaps. Die Frauen, die hinter den Verkaufstischen stehen, tragen Schuhe in den Farben ihrer Haare – grau-weiß –, können aber trotzdem nicht mehr gut gehen. Die Männer schimpfen und haben ein Hörgerät. Etliche Gehwagen sind in Gebrauch.
In den vergangenen Wochen konnte man den Eindruck gewinnen, Erika Steinbach und die Vertriebenen seien noch irgendwie relevant in diesem Land. In Hamburg interessiert sich niemand für den „25. Heimatmarkt des Bund der Vertriebenen“.
Willibald Piesch, im Vorstand des Landesverbands Hamburg, pensionierter Kriminalhauptkommissar, kritisiert die Präsidentin des Bund der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach. Er tut das mit der gebotenen Vorsicht, schließlich ist sie die Chefin.
„Schlecht“ findet er das Wort „schlecht“, mit dem Steinbach den Charakter des 88-jährigen Wladyslaw Bartoszewski bezeichnete. Bartoszewski saß in Auschwitz, war früher Außenminister und ist heute Deutschland-Beauftragter der polnischen Regierung. „Das hätte sie nicht sagen sollen“, sagt der Oberschlesier Piesch, der Polnisch spricht und sich gut vorstellen kann, „dass die Polen da empfindlich reagieren“.
Steinbachs Satz: „Ich kann es auch leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hat“, der auf einer Klausurtagung der CDU-Fraktion fiel, hörte sich für einige Ohren so an, als wolle sie damit sagen, die Polen hätten den Zweiten Weltkrieg begonnen, und nicht das Deutsche Reich. Piesch dagegen weiß, was der Kampania wrzeniowa (Septemberfeldzug), so heißt der Überfall auf Polen bei den Überfallenen, vorausging. Etwa der am 26. Januar 1934 zwischen Polen und dem Deutschen Reich geschlossene Nichtangriffspakt, den Hitler, wie alle anderen Verträge, nie vorhatte einzuhalten.
Piesch, der 75 Jahre alt ist, trägt zum Festtag eine Alt-Bielitzer Tracht. Bielitz ist heute Polnisch und heißt Bielsko-Biaa. „Durch das l von Biaa geht so ein Strich, wissen Sie“, sagt er. Er findet, dass Frau Steinbach aufhören sollte, Frau Merkel zu „vergrätzen“, denn die CDU sei doch die Heimat, also die politische Heimat, der Vertriebenen. Sie sollte das Ganze jetzt mal „ruhen lassen“.
Steinbach hätte sich auch nicht hinter die BdV-Funktionäre Arnold Tölg und Hartmut Saenger stellen dürfen, sagt Piesch. Tölg, Träger der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg und von 1977 bis 2001 im baden-württembergischen Landtag, hatte gesagt, dass angesichts der Mobilmachung in Polen der Überfall durch die Wehrmacht nur der „zweite Schritt“ gewesen sei. Und Saenger vertrat in der von der Landsmannschaft Ostpreußen herausgegebenen Zeitung Preußische Allgemeine Zeitung, die auch auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz ausliegt, die Ansicht, „alle Großmächte“ hätten „eine erstaunliche Bereitschaft zum Krieg“ gezeigt. „Besonders kriegerisch führte sich Polen auf.“ Und: „Erst England“ habe „den Krieg um Danzig zu einem weltweit ausgetragenen Konflikt gemacht.“ Das ist historisch falsch und revanchistisch.
Piesch will noch was Erfreuliches loswerden und seiner Freude Ausdruck verleihen, dass Christoph Alhaus „seit 1293 der erste katholische Bürgermeister der Freien und Hansestadt ist“. Gottes Segen dem Katholiken Ahlhaus, auch die Vertriebenen können ihn brauchen. ROGER REPPLINGER