Diözese des Misstrauens

AUS REGENSBURG VON MAX HÄGLER

Es ist nicht so, dass man in den Räumen des Bistums Regensburg gar keine Kritik an der klerikalen Obrigkeit äußern kann. Man muss es nur still und unter dem Deckmantel des Gebets tun, wie ein Blick in das Fürbittenbuch der Regensburger Dompfarrkirche zeigt. Studenten bitten darin um gute Examensnoten, Kranke um Heilung, Verzweifelte um einen Weg – und Gläubige um die Versetzung ihres Hirten. „Lieber Gott“, hat etwa im Dezember 2005 ein Michael St. niedergeschrieben, „schick unseren Bischof G. L. Müller in eine andere Pfarrei! Vielleicht nach Papua-Neuguinea oder noch weiter. PS: Bitte Bald!!!“ Wieso, fragt ein anderer, gedrängt an den rechten Rand geschrieben. „Weil er ein A… ist“, steht als Antwort.

Das Bistum Regensburg ist mit 770 Pfarreien auf knapp 15.000 Quadratkilometern das größte Bayerns. Im Herrschaftsbereich von Bischof Müller leben 1,34 Millionen Katholiken, das sind 84 Prozent der Einwohner des Bistums. 300.000 Gläubige werden heute auf dem Islinger Feld eine Messe mit Papst Benedikt XVI. feiern, der lange Zeit in Regensburg gelehrt hat. Allein, dem Bistum fehlt die gesegnete Ruhe. Ein paar Schritte von der Pfarrkirche entfernt, vor dem gotischen Dom, der die gesamte Stadt bei weitem überragt, ist am Samstag – dem ersten Tag des Papstbesuches in Bayern – aus dem stillen Gebet eine Mahnwache geworden. Dreißig Katholiken – Kinder, Eltern und Senioren – stehen im Kreis und halten Schilder auf, denen steht: „Benedikt, hilf Regensburg!“ oder „Christenmut statt Bischofswut“. Ihre mit Megafon vorgetragenen Fürbitten sind in der Tonlage nicht anders als die Niederschriften im Gotteshaus. „In unserer Diözese herrscht Angst und Misstrauen. Kyrie Eleison. Lass nicht zu, dass unsere Kirche durch menschliches Fehlverhalten ins Abseits geführt wird. Kyrie Eleison.“

Auch hier geht es um G. L. M., Bischof Gerhard Ludwig Müller. Im Herbst 2002 wurde er vom damaligen Papst Johannes Paul II. zum neuen Oberhirten von Regensburg bestellt – seitdem kracht es im Bistum. Kritischen Theologieprofessoren und Religionslehrern mit eigener Meinung entzieht er die Lehrerlaubnis. Allzu pragmatisch seelsorgende Pfarrer versetzt er, kirchenkritische Berichterstattung lässt er durch die Anwälte seiner Münchner Kanzlei Romatka & Collegen bekämpfen – und kirchliche Laien setzt er vor die Tür.

Fritz Wallner und Johannes Grabmeier sind zwei von ihnen. Als man sich nach der Mahnwache im Biergarten am Domplatz zusammensetzt, beginnt das Gespräch beinahe flüsternd – am Nebentisch sitzt Johannes Frühwald-König, ein Adlatus des Bischofs. Kein Unrechter zwar, wie Grabmeier meint, aber eben doch jemand, der seiner Arbeit anständig nachgeht. Und der im Zweifel vielleicht wieder ein Puzzlestück beiträgt zum Kampf des Bischofs gegen kritische Stimmen und Laienengagement. Es ist eine Atmosphäre, die Regensburg beherrscht. Wenn man Passanten zum Bischof fragt und zu den Streitereien, heißt es meist: Irgendwie haben die Kritiker schon recht. Und dann geht man schnell und verschämt weiter.

Wallner ist einer, der stehen geblieben ist und seine Meinung sagt. Seit 1972 ist er CSU-Mitglied und arbeitet als geschäftsführender Beamter der Marktgemeinde Schierling. Zur Halbglatze trägt er Vollbart. „Zeit meines Lebens war ich kein Rebell“, sagt er, „und ich liebe die Kirche – nach wie vor. Aber ich hoffe schon, dass der Papst dem Bischof bedeutet, dass sein Weg nicht der rechte ist.“

Mit acht Jahren begann Wallners Laienarbeit in der katholischen Kirche als Ministrant, danach war er Jugendleiter, dann Kolpingvorsitzender und Dekanatsrat und schließlich wurde er Vorsitzender des Diözesanrats, des obersten Laiengremiums im Bistum. Hier in Regensburg ist das keine Pro-forma-Institution wie in den meisten anderen Teilen der Republik. „Gott sei dank hat die Kirche hier Bedeutung“, sagt Wallner zum ostbayerischen Katholizismus. „Hier ist man nicht nur in der Kirche, sondern man lebt mit ihr.“ 220.000 Katholiken hatten noch vor einigen Jahren mittels Entsendung von Pfarrgemeinderäten über die Besetzung dieses Gremiums entschieden. Als Diözesanrat war Wallner Repräsentant dieser gläubigen Basis und hat versucht, die Bedeutung der Kirche innerhalb der Gesellschaft deutlich zu machen. Man brachte Projekte mit der Prostituiertenhilfe Jana e. V. auf den Weg, traf sich mit Katholiken aus Tschechien zur grenzübergreifenden Arbeit und bezog Stellung vor allem in familienpolitischen Angelegenheiten.

Seit November 2005 ist Schluss mit dieser Arbeit. Bischof Gerhard Ludwig Müller hat den Diözesanrat aufgelöst und durch ein Diözesankomitee und einen Diözesanpastoralrat ersetzt. Von der Kirchenbasis gewählte Mitglieder hat dieser Kreis nicht mehr, und so ist Wallner nicht mehr dabei. „Der Bischof hat seit Anbeginn die Neuevangelisierung im Sinn, das bedeutet für ihn,“ so Wallner sarkastisch, „Zerschlagung der funktionierenden Strukturen – gepaart mit geringer sozialer Kompetenz.“ Wallner nennt Müllers Verhalten absolutistisch.

Früher, vor Müller, hätten sich in Regensburg Laien und Klerus zusammengesetzt, man besprach gemeinsame Aufgaben und hatte Respekt vor dem Ehrenamt auf der einen Seite und vor dem theologischen Wissen auf der anderen Seite. „Jetzt muss ich lesen, wie Bischof Müller über die Laienarbeit der letzten zwanzig Jahre sagt: Die haben alle vor sich hin gewurschtelt.“ Und man glaubt dem Mann, bepackt mit Transparenten und Flugblättern, wenn er sagt: „Das hat mich sehr getroffen.“

Aber Wallner ist nicht alleine. Da gibt es den Pfarrer Hans Trimpl, Mitglied im streitbaren Aktionskreis Regensburg, der vom Regensburger Bischof suspendiert wurde – inzwischen darf er zwar wieder arbeiten, wurde aber nach Linz in Österreich versetzt. Oder eben Grabmeier, Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Deggendorf, ehedem Dekanatsratsvorsitzender und ebenfalls Diözesanrat. Auch er ist der Gremienreform zum Opfer gefallen. Auch er wehrt sich. Als Vorsitzender der Laienverantwortung Regensburg e. V. hatte er Ende August einen offenen Brief an Benedikt XVI. gesandt. Auf zwanzig Seiten beschreibt er die Situation, belegt mit Zitaten aus theologischen und dogmatischen Schriften, erinnert an das II. Vatikanischen Konzil, das in den 60er- und 70er-Jahren eine Öffnung der Kirche in Gang setzte, und schließt mit den Worten: „Benedikt, hilf Regensburg!“

Es ist Kritik von Menschen, die den Glauben in die Amtskirche noch nicht verloren haben. Immer wieder hört man als Begründung für die Schwierigkeiten in der Diözese: „Der Bischof ist eine schwache Persönlichkeit, er muss sich Geltung verschaffen. Wir kriegen das schon hin: Bischöfe kommen und Bischöfe gehen, Gott bleibt.“ Es sind Menschen, die Gerhard Ludwig Müller eher als Einzelfall sehen.

Man kann Müllers Einsetzung, sein Ausmerzen jeglicher Kritik, sein ausführliches Zusammentreffen am heutigen Dienstag mit Papst Benedikt XVI. aber auch als Teil eines reaktionären Gesamtplans sehen. August Jilek denkt inzwischen so. „Die letzten zehn Jahre im Vatikan waren bereits Ratzinger-Politik“, sagt der Liturgieprofessor, „deswegen ist es eine Fehleinschätzung, wenn manche glauben, Papst Benedikt würde die Situation ändern, falls er davon erfährt. In der Sache stimmt der Papst dem zu, was hier passiert.“

Auch Jilek ist Bischof Müller zum Opfer gefallen. Einst hat der Wissenschaftler, der durch das II. Vatikanische Konzil für die Kirche begeistert wurde, katholische Theologie an der Uni Regensburg gelehrt. Dann wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen, sein Lehrstuhl wurde aus der theologischen Fakultät ausgegliedert, inzwischen unterrichtet er für fachfremde Studenten. Für Jilek ist Bischof Müller nur extremer Ausdruck eines Umsteuerns in Lehre und Haltung – hin zu den alten Zeiten vor dem II. Vatikanischen Konzil. „Schauen sie sich um in Bayern, der konservative Kardinal Wetter aus München gilt inzwischen als der liberalste, das sagt doch alles.“

An der Wand in Jileks Wohnzimmer in Aufhausen bei Regensburg hängt ein schlichtes Metallkreuz, darunter einige Kerzen und auf einem Holzständer die Bibel, aufgeschlagen bei Psalm 73. Er erzählt davon, dass in manchen Regensburger Pfarreien die Frauen nicht mehr den Altarraum betreten dürfen, er berichtet von dem Pfarrer aus Polen, der vor kurzem in Aufhausen, seiner eigenen Gemeinde, begonnen hat und der – wie viele andere neue Priester im Bistum – eine Moral aus dem 19. Jahrhundert verbreitet.

Wieso hat Jilek, der augenscheinliche christliche Freidenker, es so lange ausgehalten? „Weil man in der Vergangenheit, trotz allen Gegenwindes, Platz hatte in der Kirche. Jetzt ist dieser Platz nicht mehr da.“ Schauen sie, sagt er, Ratzinger hat die Polen – die erzkonservativen Polen – als die Wächter unseres Glaubens in Europa bezeichnet. „Jedem, der hinschaut muss klar sein, das Regensburg nur Teil eines großen Ganzen ist.“ Noch ist Jilek übrigens in der Kirche, aus familiären Gründen. „Aber das dauert auch nicht mehr ewig“, sagt er – und es klingt erleichtert.

Und der Bischof selbst? Der ist ein großer, breiter Mann – Format Fels in der Brandung, mit freundlichem, aber nicht allzu bestimmtem Händedruck und einem kleinen Bauch. Mit der selben Freundlichkeit, beinahe gütig, zugleich selbstsicher und ohne Zögern beantwortet er im Interview Fragen. Kritik sei durchaus erwünscht, sagt er, aber die müsse dann schon substanziell sein. Der offene Brief des Herrn Grabmeier sei eine „Ansammlung von Unwahrheiten und eine Verdrehung von Tatsachen“. Auf die demonstrierenden Laien treffe im Übrigen zu, was des Papstes Bruder Georg Ratzinger letzthin gesagt habe: „Splittergruppen im Schmollwinkel“. Natürlich, so Gerhard Ludwig Müller, seien diese in keiner Weise repräsentativ für die Kirchengemeinde. Und überhaupt habe er als Bischof keine besondere Linie, weiche nicht ab von vatikanischen Vorgaben. Ob der Papst von den Vorgängen in Regensburg Bescheid wisse? „Der heilige Vater kennt das.“