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Archiv-Artikel

Der gefeuerte Populist

Juri Luschkow stand 18 Jahre an der Spitze der russischen Hauptstadt. Die Moskauer schätzten ihren Bürgermeister, der in den 90er Jahren blendende Wahlergebnisse erzielte. Mehr als 80 Prozent Zustimmung erhielt er in den ersten Jahren, auch ohne an der Wahlurne zu fummeln. Die Menschen achteten den zupackenden Stadtpatron, welcher der grauen dörflichen Hauptstadt des Sozialismus in wenigen Jahren einen Hauch globaler Urbanität verlieh.

In Moskau konzentrieren sich 80 Prozent des russischen Kapitals und Luschkow zeigte sich großzügig. Rentnern zahlte er aus der Stadtkasse 50 Prozent Zuschlag, auch notorisch unterbezahlte Lehrer und Ärzte erhielten ein Zubrot. Der Mann mit der schwarzen Schiebermütze sorgte für Ordnung und baute das Verkehrsnetz aus. Luschkow beherrschte die Klaviatur des Populismus. Der Chemieingenieur präsentierte sich als einfacher Mann aus dem Volk. Für feinere Manieren und differenziertes Denken konnte er sich auch als steinreicher Patrizier nie erwärmen. Erklärte er in Sewastopol auf der ukrainischen Halbinsel Krim hemdsärmelig die Marinebastion zu urrussischem Grund und Boden oder ließ er Moskau von Kaukasiern „säubern“, war er sich breiter Zustimmung sicher. Auch mit dem Kreuzzug gegen Homosexuelle traf der 74-jährige Familienvater den Zeitgeist.

Luschkow ist ein russischer Patriot, imperial, orthodox und autoritär. Er ließ keine Gelegenheit aus, seiner Familie Moskaus Filetstücke zuzuschanzen. Seine zweite Frau und frühere Sekretärin stieg während seiner Amtszeit zu Russlands reichster Frau auf. Ihr Ehemann stritt die Vorteilsnahme im Amt stets strikt ab: Wäre er nicht Bürgermeister, hätte die talentierte Gattin weit mehr verdienen können…

In den letzten Jahren sank Luschkows Stern nicht nur im Kreml. Seine Selbstherrlichkeit und unübersehbare Gier waren selbst den duldsamen Moskauern zu viel. Längst verschwand auch das in den 90er Jahren entwickelte Parfum Eau de Luschkow mit der Duftnote „frisch und maskulin“ aus den Parfümerien. Kremlchef Medwedjew enthob Luschkow am Dienstag des Amtes. KLAUS-HELGE DONATH

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